Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe.
Matthäus 10,7
„Wie hast du’s mit der Religion?“, fragt Gretchen den Dr. Faust in Goethes Drama. Der Gefragte windet sich, macht Ausflüchte. Doch Gretchen wünscht sich ein klares christliches Bekenntnis von Faust und beharrt: „Das ist nicht recht, man muss dran glauben.“ Damit aber beißt sie bei Faust auf Granit: „Muss man?“, fragt er spöttisch.
Durch den Mund von Faust spricht der Dichterfürst der Deutschen selbst, der nach eigener Aussage dem „Märchen von Christus“ nicht viel abgewinnen konnte. Seit Goethes Tagen ist in unserem Land die Distanz zum christlichen Glauben noch deutlich gewachsen. Jahr für Jahr verlieren die beiden großen Kirchen Hunderttausende ihrer Mitglieder. Im Osten Deutschlands sind bereits über drei Viertel der Bevölkerung konfessionslos. Der Großteil von ihnen bezeichnet sich selbst als „religiös unmusikalisch“. Und auch im Westen schreitet die Erosion des christlichen Glaubens unaufhaltsam fort.
Ist Deutschland mittlerweile ein Missionsland? Ich denke ja. Dabei ist mir durchaus bewusst, dass der Begriff Mission nicht unbelastet ist. Er lässt an die Zwangsbekehrungen vergangener Jahrhunderte denken oder auch an die unselige Verquickung von Mission und gewaltsamer Kolonialisierung. Umgekehrt steht aber zugleich außer Frage, dass das Christentum schon von seinem Ursprung her einen missionarischen Impuls in sich trägt. Der Ruf Jesu, der über dem Monat August steht, macht es deutlich: „Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe.“
Dieser Auftrag zur Verkündigung richtet sich innerhalb des Matthäusevangeliums zunächst an die zwölf Apostel. Unmittelbar zuvor erst hat Jesus sie zu seinen Jüngern gemacht. Und nun sollen sie schon ausschwärmen, in die Dörfer und Städte des Landes. Die Angelegenheit ist so wichtig, dass sie keinen Aufschub duldet. Der ferne, verborgene Gott kommt den Menschen nahe. Diese gute Nachricht sollen die Jünger verbreiten, aber nicht nur das. Sie sollen das Volk auch sehen und spüren lassen, dass sich Himmel und Erde berühren: „Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus.“ Freudenboten sollen die Jünger sein und die Herzen der Menschen aufschließen für Gottes Gegenwart.
Damit bin ich bei dem, was „Mission“ eigentlich ist. Das lateinische Wort bedeutet nichts anderes als Sendung. Gesandte waren die Apostel, und Gesandte sollen auch wir Christen sein. Boten der Wirklichkeit Gottes inmitten einer Welt, die ihn weitgehend vergessen hat oder nicht (mehr) spürt. Es geht also nicht darum, anderen den eigenen Glauben aufzuzwingen. Schon gar nicht geht es darum, den verfassten Kirchen neue Mitglieder zuzuführen. Sondern es geht darum, den Menschen Gottes Liebe näher zu bringen.
Als ich einmal als junger Vikar in einer Straße den Gemeindebrief in die Briefkästen verteilte, meinte ein Mann zu mir, der gerade aus der Haustür eines Mehrfamilienhauses trat: „Können Sie nicht lesen? Hier steht es klar und deutlich: Bitte keine Werbung einwerfen.“ – „Das ist doch keine Werbung, das ist der Gemeindebrief!“, empörte ich mich. „Na und? Ist das etwa keine Werbung?“, konterte er.
Der Mann hatte recht. Ja, ich bin ein Werbeträger des Evangeliums. Und zwar deshalb, weil ich der Meinung bin, dass seine Schätze und Traditionen das menschliche Leben bereichern. Das hat nichts mit Hochmut gegenüber anderen Lebensentwürfen und Weltanschauungen zu tun. Arroganz ist in der Mission ohnehin fehl am Platze und ebenso kontraproduktiv wie der exklusive Anspruch, den einzig richtigen Heilsweg zu vertreten. Nicht sozusagen von oben herab, sondern nur im Dialog lassen sich die Schätze des Glaubens angemessen vermitteln. Immer in der Hoffnung, dass auch andere ihren Wert erkennen und sich darüber freuen.
Jemand hat es einmal so ausgedrückt: „Missionieren heißt anderen zeigen, was man liebt.“ Stimmt.