Gemeinschaft - Kontakt mit Abstand - Glocken

Es ist und bleibt wohl die Quadratur des Kreises, auch wenn findige Zeitgenossinnen und Zeitgenossen dann doch rasch Wege gefunden und – gelegentlich stöhnend, gelegentlich staunend – durchgehalten haben. Wie gelingt Gemeinschaft auf Abstand?

Aus den persönlichen Erfahrungen, die ich gemacht habe, schält sich neben dem anfangs eingestellten, dann mehr und mehr zögerlich, schließlich wieder körperlich nahen und spürbaren Kontakt mit vier Kindern und sechs Enkeln etwas heraus, was mir als schon länger im „Homeoffice“ Tätigen durchaus bewusst war: die gemeinschaftsstiftende Funktion unserer Kirchenglocken.
Recht schnell waren sich evangelische und katholische Verantwortliche beider Kirchengemeinden, in denen meine beiden Arbeitsplätze verortet sind, einig, abends um 19.30 Uhr die Glocken zu läuten. Volles Geläut. Zehn Minuten lang. Es waren zehn Minuten, in denen niemand, der hörte und dem Gehörten traute, allein war. Ich habe selbst wahrscheinlich bis heute kein Glockengeläut zu dieser Zeit ausgelassen ohne Gebet.
Glocken: Die Kranken der Gemeinde hören sie und falten die Hände. Auch die Gesunden hören sie und lassen sich das eine oder andere Mal aufhalten in ihrer ichbezogenen Betriebsamkeit. Wohl alle Menschen lassen sich von Glocken rühren und spüren bei ihrem Klang ab und zu die Sehnsucht nach diesem Glanz in ihrem Leben.
In ihrer Stetigkeit und Verlässlichkeit erzählen sie beim Totengeläut vom Sieg des Lebens durch die Auferstehung Christi.
In ihrer Stetigkeit und Verlässlichkeit erzählen sie bei der Taufe von Lebensfreude und Vertrauen in Gottes Güte.
In ihrer Stetigkeit und Verlässlichkeit mahnen sie uns beim Vaterunser. Rufen nicht nur zu Gebet und Einhalt in der Geschäftigkeit. Sie mahnen uns auch an die Einheit der Christen.
Es ist wichtig, dass die Glocken ihren steten und verlässlichen Rhythmus behalten. Sie predigen das Evangelium zur Zeit und zur Unzeit.

Ich hatte 1982 in unserer Gemeinde in Wiesloch die Freude, neue Glocken einweihen zu dürfen. Als ich dort 1981 zum Pfarrer gewählt wurde, waren Glockenturm und Glocken ein strittiges Thema. Als ob es nichts Wichtigeres gäbe.
Innerhalb weniger Monate kam durch Spenden das Geld für Turm und Glocken zusammen. Wahrscheinlich wäre das heute nicht anders. An Pfingsten 1982 wurden die Glocken geweiht. In meiner Predigt damals sagte ich jung und etwas vollmundig u. a.:
„Wir haben Glocken, die weit zu hören sind und einladen. Wir haben einen Glockenturm, der auf Pfählen steht, die 9 Meter ins Erdreich hineinragen. Fest. Wir haben Glocken, die sind schwer. Wir erwarten eine Bewegung der Leute auf uns zu. Das war nicht immer so und hat der Kirche auch sehr viel geschadet. Unsere Glocken laden Menschen ein. Jetzt sieht man durch das Kreuz und hört durch die Glocken, dass sich hier Christen versammeln. Ich spüre, dass die Menschen unserer Zeit eine solche Gemeinschaft suchen. Wer so laut einlädt, und wer dazu noch im Namen Jesu einlädt, darf glauben, dass jeder, der kommt, wie immer auch seine Geschichte vorher war, von Gott geschickt ist, zu uns. Keinen wollen wir wieder wegschicken, den unsere Glocken eingeladen haben.
Wir sind eine reiche Gemeinde. Wer die Welt gesehen hat, weiß, wie reich wir sind. Wir sind dankbar, dass es uns so gut geht. Reichtum kann aber auch eine Versuchung sein. Und deshalb erinnere ich in unserem Dankgottesdienst daran, dass wir nun nicht dem Fehler verfallen dürfen, Kirchturmpolitik zu machen oder Kirchturmzeugnis abzulegen. Ich brauche die Not in der Welt nicht aufzuzählen. Aber sie muss in einem solchen Gottesdienst angesprochen werden, weil wir sonst an Jesus Chris­tus vorbeifeiern. Weltweit gilt die Botschaft, die unsere Glocken nur wenige Kilometer weit tragen können, den Rest des Weges, zu den Armen der Welt, müssen wir selbst gehen. Und dort können wir viel lernen über Gemeinschaft, über die Kraft des Evangeliums.“

Wochenlang waren in diesem Jahr Kirchen – wenn überhaupt – nur für ein stilles Gebet des Einzelnen geöffnet. Ein wesentliches Zeichen des Miteinanders in der Gemeinde war das verlässliche Läuten der Kirchenglocken. Seit Mai und Juni rufen sie wieder zum Kommen und zur Gemeinschaft. Ich habe schon Ende April einen meiner Gebetstexte in unsere PASTORALBLÄTTER-Seite „Kirche in Zeiten von Corona“ eingestellt:

„Die Glocken läuten, Herr, nun gib uns Stille.
Wir sind ein kleiner Ton im Lobgesang.
Wir wollen Danklied sein. Es ist dein Wille,
dass aus der Stille wächst ein großer Klang.

Die Glocken läuten, Herr, nun gib uns Weite.
Wir sind ein kleiner Ort im Erdenrund.
Nimm uns die Furcht, die Enge, Herr, und leite
aus kargem Boden uns auf guten Grund.

Die Glocken läuten, Herr. Nun sei uns Segen,
das Singen, Beten, Schweigen und das Wort.
Wir sind beschwert, komm du uns selbst entgegen.
Gib uns Gewissheit, trag die Zweifel fort.

Die Glocken läuten, Herr. Woher wir kamen,
was gestern war, was uns die Woche bringt:
Wir feiern Gottesdienst in deinem Namen.
Die Glocken läuten, Herr. Die Schöpfung singt.“

In Zeiten von Corona wurden die Verkündigungsteile in den sozialen Medien etc. in der Regel kürzer. Die PASTORALBLÄTTER stellen seit vielen Jahren Kurztexte zur Verfügung: Auslegungen zum Monatsspruch und zu den Wochensprüchen, Miniaturen und die jeder Ausgabe kostenlos beiliegenden Bausteine. Sie konnten häufig den „medialen“ Dienst unterstützen. Das ist mir an dieser Stelle eine eigene Hervorhebung wert.

Die für die Oktober-Ausgabe der PASTORABLÄTTER angefragten und zahlreich eingesandten „Kasualansprachen für eine komplizierte Trauerfeier“ (Suizid, Unfall, Tod von Kindern …) mussten aus gegebenem Anlass in den Februar 2021 verschoben werden. Die Bestandsaufnahme zu „Kirche in Zeiten von Corona“ am Ende der aktuellen Ausgabe wurde umfangreicher als geplant, ist aber spannender und vielfältiger als erwartet.

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