Frühling. Endlich. Die Welt streckt sich zum Leben. Köpfe richten sich auf, suchen das Blau in Himmel und Weite. Die Tage werden länger. Die Halme auch. Um dich herum fängt es an zu blühen und zu wachsen. Überall rumoren Frühlingsgefühle. Wunderbar. Von den Kirchtürmen wehen die Glocken herüber. Mit der Natur werden auch die Lieder bald wieder fröhlicher; nach der Karwoche kommt das Ostererleben, auch in Ton und Klang. Halleluja! Die Welt streckt sich zum Leben.
Nur die Trauergruppe auf dem Friedhof sieht zu Boden, blickt in ein ausgehobenes Grab, wirft Erde und Blüten hinein. Schwarz, schweigend, stumm, dieses Häuflein im bunten Frühlingswirbel. Martin Luther übersetzt den schwarzen Fleck im hellen Bild aus einem alten Choral: Mitten im Leben sind wir umfangen vom Tod.
Wie geht das zusammen: Leben und Tod? Die uralte Frage. Wer trauert, wundert sich, warum die Welt sich einfach weiterdreht und so tut, als wäre nichts gewesen. Warum nicht alles stillsteht und mitstirbt. Fragt nach dem Sinn des Weitermachens, des ständigen Blühens und Vergehens ringsumher; fragt nach dem Woher und dem Wohin. Was hat es zu bedeuten, dass wir uns einmal zufielen für ein paar Jahre Lebenszeit; was hat es zu bedeuten, dass wir uns dann wieder verlieren? Wie geht das zusammen: Leben und Tod?
Die Natur, unsere christliche Religion sagen uns, dass etwas weitergeht. Ostern bringt mitten im Frühjahr die Botschaft der Auferstehung. Im Hier und Jetzt. Und im Danach. Und Martin Luther, der eben noch den alten Choral übersetzte, sagt nun: Ei, mitten in dem Tod will ich das Leben finden. – Und bringt da etwas zusammen, was der Mensch ganz gerne trennen möchte. Hier das Leben. Dort der Tod. Für den Tod gibt es besondere, abgeschirmte Bereiche. Der Rest ist das Leben. Sagt der Mensch und schirmt ab. Die Abschirmung des Todes ist bekannt: Einzelzimmer, Pflegeheim, Krematorium, Friedhof, Himmel. Der Rest ist das Leben. Sagt der Mensch, und stirbt tausend kleine Tode, weil sich das Leben dummerweise nicht genauso abschirmen lässt wie der Tod. Leben kennt keine abgeschirmten Bereiche, ist überall und nirgends, oben und unten, drunter und drüber; ist Rennen und Schlafen, das Größer-Werden und das Wieder-kleiner-Werden, das Bauen und Abbauen, das Lieben und Ent-Lieben, Vertrauen und Enttäuschung, das Finden und Verlieren. Und umgekehrt.
Unsere Bibel, unser Glaube nimmt uns an der Hand, führt uns spazieren durch dieses Leben. Zeigt uns die Jahreszeiten. Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Hört nur nicht mit Winter auf wie wir kalendergeübten Menschen, fügt immer noch hinzu: Frühling. Lässt so den Tod im Leben und das Leben in den Tod. Bringt zusammen, was offenbar zusammengehört. Liest uns aus dem Leben vor, aber eben nicht von vorne nach hinten, sondern am liebsten von oben nach unten und von unten nach oben. Und endet immer im Frühling. Woher du auch kommst, Menschlein, aus dem Westen und Osten, Norden und Süden, es wird weitergehen. Du wirst sitzen am Tisch des Reiches Gottes. Tod und Leben gehören zusammen wie Winter und Frühling, wie Christus und die Auferstehung, wie dein Leben hier und die Geborgenheit bei Gott. Du liest dein Leben von vorne nach hinten, lies heute einmal von oben nach unten und von unten nach oben, so bist du im Leben und im Tod vom Leben umfangen. Von vorne nach hinten ist verwesliches Säen, von oben nach unten und unten nach oben ist unverwesliches Auferstehen. Oder wie in einem leicht abgewandelten Gedicht, das 2018 in den Netzwerken kursierte:
Leben heißt auferstehen
Nein, die Wahrheit ist
Dass das Leben nur Arbeit und Mühe und vergänglich ist.
Ich glaube nicht
Dass ich in diesem Leben zur Ruhe kommen kann
Dass ich den Weg nach innen finde
Dass ich mich ausrichten kann, auf das, was kommt
Es ist doch so
Dass die Zeit rast
Ich weigere mich zu glauben
Dass etwas Größeres in meine Welt hineinscheint
Dass ich mit anderen Augen sehen kann
Es ist doch ganz klar
Dass das Leben endet
Ich kann unmöglich glauben
Nichts wird sich verändern
Es wäre gelogen, würde ich sagen
Christus ist auferstanden!
Und nun lies den Text von unten nach oben!
(Text nach: Iris Macke; aus: Der andere Advent; 2018)