3. Mai 2020
Jubilate
Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.
2. Korinther 5,17
In Korinth ging es drunter und drüber. Nicht nur, weil der 2. Korintherbrief wohl eher in eine ganze Reihe brieflicher Korrespondenz des Paulus mit der Gemeinde gehört. Was war da los? Korinth war 44 v. Chr. durch Cäsar als Kolonie für seine Veteranen neu gegründet worden. Seit 27 v. Chr. war die Stadt Hauptstadt der senatorischen Provinz Achaia und Sitz des Statthalters. Sie lag verkehrstechnisch sehr günstig an einer Landenge und hatte zwei Häfen, die sie zu einer wirtschaftlichen Drehscheibe zwischen Asien und Rom machten. Handel, Finanzgeschäfte und handwerkliche Produktion bestimmten das Leben der Stadt. Als Handels- und Hafenstadt hatte Korinth eine bunt gemischte Bevölkerung, in der es ein starkes römisches Element gab. Ebenso sind eine Vielzahl hellenistisch-orientalischer Kulte belegt. Die kulturelle, religiöse und soziale Vielfalt der Stadt spiegelte sich auch in der christlichen Gemeinde wider. Die Mehrzahl der Gemeindeglieder waren ehemalige Heiden, daneben hat es auch Judenchristen gegeben. Ein großer Teil der Gemeinde gehörte sozial zu den unterprivilegierten Schichten, aber es gab in der Gemeinde auch Angehörige der Oberschicht. So ging es im wahrsten Sinne drunter und drüber in Korinth, nicht nur sozial, sondern auch religiös kamen verschiedenste Themen zusammen, die kaum miteinander vereinbar schienen. Paulus versucht nicht einen Ausgleich oder Kompromiss, sondern er richtet den Blick nach außen, über die Gemeinde hinaus. In aller Unterschiedlichkeit versammeln sich die Korinther als Christen. Im Blick auf Christus tritt das Alte, das, was den Alltag bestimmt, zurück. Im Blick auf Christus wird Neues, nicht, weil die Unterschiede nicht zählen, sondern weil ein gemeinsamer neuer Fokus möglich wird, in und mit aller Unterschiedlichkeit. Dieser gemeinsame Blick auf Christus verbindet und wird dann auch die Wahrnehmung der Unterschiede in der Gemeinde verändern. Aus dem Alltag hinaus auf Christus zu schauen lässt den Blick weit werden für den anderen neben mir.
10. Mai 2020
Kantate
Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder.
Psalm 98,1
Natürlich gehörte zum Gottesdienst von Anfang an immer schon die Musik. Das Buch der Psalmen ist das Gesangbuch der hebräischen Bibel und war ein zentrales Moment des Tempeldienstes. Auch in Folge der Reformation entwickelte sich ein umfassendes musikalisches Liedgut, mit dem die Christen ihrer neuen Hoffnung auf eine veränderte Kirche starken Ausdruck verliehen. Der russische Komponist Igor Stravinsky war sich sicher, dass die Kirche die Überzeugung der Psalmisten teilte, nämlich die Musik als Gotteslob zu verstehen. Musik, so Stravinsky, lobt Gott viel besser als jedes Kirchengebäude und dessen noch so voluminöse Ausstattung. Ohne Musik war für ihn das Gotteslob schlicht nicht vorstellbar. Musik ist eine Sprache über Worte hinaus, sie ist die Sprache des Herzens. In vielen Kirchen der amerikanischen Südstaaten ist dies bis heute ganz heutnah und unter die Haut gehend zu spüren. Durch die Lieder aus der Sklavenzeit bricht sich die unbändige Hoffnung der Versklavten eine oft herzzerreißende Bahn. Aus den fürchterlichsten Lebensverhältnissen heraus bricht die Hoffnung auf ein besseres Morgen hervor. „Swing Low, Sweet Chariot, comin’ for to carry me home ...“ Der Glaube an die letztgültige Gerechtigkeit ist bis heute ungebrochen im „We shall overcome, we shall overcome, we shall overcome someday“ nachzuspüren. Die Sprache des Herzens schafft sich Raum in und mit Musik.
Auch heute erleben wir dies in vielen der fast 100 Auslandsgemeinden, die mit der Evangelischen Kirche in Deutschland verbunden sind. In den weltweiten Gottesdiensten erlebe ich an vielen Sonntagen im Jahr Menschen, die auf Englisch, auf Französisch, auf Spanisch, auf Deutsch und oft auch in der jeweiligen Landessprache die vertrauten Lieder singen. Sprachlich verstehen wir uns oft nicht, aber im Gesang verbinden sich unsere Herzen zum Lobe Gottes. Alte und Junge, Große und Kleine singen in ihren Muttersprachen aus vollem Herzen und erspüren in aller Unterschiedlichkeit Gottes einende Nähe.
17. Mai 2020
Rogate
Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft noch seine Güte von mir wendet.
Psalm 66,20
Bei einer Befragung von Gemeindemitgliedern erfuhren wir als Pastoren sehr viel über Lebens- und Glaubenseinstellungen. Als wir zur Auswertung zusammenkamen, waren wir über ein Thema doch sehr überrascht. Wir hörten oft von frustrierenden Erfahrungen mit dem Gebet. Viele hatten persönlich aufgegeben, weil ihre Hoffnungen getrübt waren und ihre Lebenspläne durchkreuzt. Wir erinnerten uns sofort an Jesu Jünger, die ihn in verschiedensten Situationen immer wieder nach dem Gebet fragten. Allerdings war der genaue Blick in diese biblischen Texte für uns erhellend. Jesus hielt keine Vorträge zum Gebet oder bot Gebetskurse an oder empfahl bestimmte Gebetsformen. Die Fragen der Jünger sind immer bezogen auf Gebetserfahrungen. Sie erlebten den betenden Jesus, fragend und gewiss, skeptisch und kraftvoll, erschrocken und gestärkt. Die Jünger erlebten das Beten Jesu. Daraus erwuchsen ihre eigenen Fragen nach dem Gebet.
Vor einiger Zeit traf ich meinen damaligen Kollegen wieder und ich fragte ihn, ob er dem Thema Gebet noch weiter nachgegangen sei. Daraufhin erzählte er mir von einer berührenden Begebenheit beim Besuch eines Schwerkranken. Im Schlafzimmer neben dem Bett stand ein leerer Stuhl, allerdings seltsam herumgedreht, sodass der Kranke direkt auf den leeren Stuhl schauen konnte. Der Kranke schilderte, dass ihm vor vielen Jahren das Gebet sehr schwerfiel. Der damalige Pastor empfahl ihm, den leeren Stuhl sich gegenüber zu platzieren und sich vorzustellen, Gott säße dort. Und dann solle er so sprechen wie mit einem Freund, der ihn besuchen würde. Seit dieser Zeit würde er so betend mit Gott durchs Leben gehen. Einige Tage später rief die Tochter des Erkrankten an und teilte dessen Tod mit. Als mein Kollege zu Besuch kam, schilderte die Tochter eine erstaunliche Begebenheit. Ihr Vater hätte tot im Bett gelegen, aber mit einer Hand auf der Armlehne des Stuhls. Das verwunderte sie sehr. Meinen Kollegen nicht, und er antwortete: „Ihr Vater starb im Frieden, denn er hat seine Hand zu seinem Freund ausgestreckt.“
24. Mai 2020
Exaudi
Christus spricht: Wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen.
Johannes 12,32
Auf dem Wanderweg zur höchsten Erhebung der französischen Alpen gibt es ein Rasthaus. Dort können sich Wanderer erholen, essen und trinken und sich auch etwas ausruhen und übernachten. Der Name der Gaststätte ist „Mediocre Inn”, was einfach mit „halber Weg” übersetzt werden kann. Der Blick von dort ist nicht so spektakulär wie vom Gipfel, aber doch schon sehr eindrücklich, die Verpflegung ist hervorragend und die Zimmer sind sehr schön eingerichtet. Das Rasthaus liegt so hoch in den Alpen, dass die meisten Wanderer auf der letzten Strecke bis dorthin bereits eine längere Zeit durch eisiges, windiges Wetter geklettert sind, durchgefroren und sichtlich ermüdet. Wer freut sich dann nicht auf eine heiße Dusche, ein köstliches Essen und ein bequemes Bett? Und wenn am nächsten Morgen der beindruckende Blick in die Alpen schon für viele Qualen belohnt, fällt das Weiterwandern sichtlich schwer. Es wird erzählt, dass über 80 Prozent der Wandernden so beeindruckt von dem bereits erreichten Ziel sind, dass sie den restlichen Aufstieg zum Gipfel nicht mehr antreten. Eine verführerische Situation, denn leider lassen sich Gipfel in der Regel nicht mit gemütlicher Ruhe und in entspannter Atmosphäre erklimmen. Wer den Gipfel erreichen will, muss wieder aufbrechen und sich der rauen Natur aussetzen, um dann schließlich am Ziel anzukommen. Viele, ob Wandernde oder nicht, kennen diese Lebenserfahrung.
Wie oft hielten wir uns schon im „Mediocre Inn“ unseres Lebensweges auf? Nicht nur die zahlreichen Vorsätze, die wir zum Jahreswechsel oder bei anderen Gelegenheiten fassten und die schnell wieder verflogen sind, auch berufliche und private Ziele enden bisweilen auf halbem Wege, versacken und versanden, und was so entspannt klang, das frustriert uns doch auf längere Sicht. In der St. Paul’s Kathedrale in London findet sich auch die Gedenktafel von General Charles Gordon. Auf ihr ist zu lesen: „Seine Kraft gab er den Schwachen, seine Stärke den Armen, sein Mitgefühl den Leidenden und sein Herz schenkte er Gott.“ Um nicht auf halbem Wege stehen zu bleiben, hilft der Blick über uns hinaus. Christus wurde erhöht und stärkt uns auf dem Weg weit über die Hälfte des Weges hinaus, unser Ziel zu erreichen.
31. Mai 2020
Pfingstfest
Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth.
Sacharja 4,6
Das Thermometer zeigt es uns nicht nur in Deutschland an, sondern fast überall auf der nördlichen Erdhalbkugel: Der Sommer naht. In vielen Regionen ist damit nicht nur eine Sommer-Freude verbunden. Für immer mehr Menschen wird der Sommer zu einer besonderen Herausforderung, die mit zunehmender Sorge verbunden ist. Die Trockenheit setzt der Landwirtschaft zu, das Grundwasser sinkt und die Wasserversorgung wird knapper, die Hitze erfordert für viele Menschen, die eigenen Lebensbedingungen anzupassen. Für die Bewohnenden in Mittel- und Nordeuropa ist dies eine neue und vielleicht auch verstörende Erfahrung, weil das Gewohnte sich deutlich verändert. In anderen Teilen der nördlichen Erdhalbkugel sind solche Erfahrungen eher Alltag. Im südlichen Florida wissen die Menschen seit vielen Jahrzehnten um die beginnende Hurrikan-Saison im Juni. Sie bereiten sich jedes Jahr intensiv auf diese Zeit vor. Wasser und haltbare Verpflegung wird für mindestens zwei Wochen auf Vorrat eingekauft. Ein größeres Depot an Kraftstoff wird angelegt und die Funktionstüchtigkeit von Generatoren wird überprüft, Hausdächer werden gereinigt und Gärten aufgeräumt. Die Behörden überprüfen ihre Alarmsysteme und die Menschen haben ihre persönlichen Notfallpläne zur Hand. Dies läuft eingeübt und professionell ab, jedes Jahr von Neuem. Doch gleichzeitig wissen alle, dass die Anzahl der Hurrikane, ihre Intensität und ihr exakter Verlauf nicht im Detail vorhersagbar sind. In den letzten Stunden vor dem Auftreffen des Sturmes kann sich alles auch verändern und sich vollkommen überraschend entwickeln.
Mit dieser zwiespältigen Lebenserfahrung werden wir an Pfingsten konfrontiert. Es ist der Geist Gottes, über den wir nicht verfügen können, der uns im Sturm oder im Hauch begegnen wird. Wir haben Gottes Geist bei allem Wissen um Gottes liebende Zuwendung zur Welt in seinem Sohn Jesus Christus nicht verfügbar. Wir wissen aber um Gottes Geist, und indem wir uns für ihn öffnen, können wir uns getrost auf Gottes Dasein verlassen.