Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.
Psalm 139,14
Gott, guten Morgen!
Danke, dass du mich in der Nacht behütet hast und mir diesen Tag schenkst! Du weißt ja, dass ich manchmal nachts wach liege und grübele, und du kennst die Zeiten, in denen meine Tage dunkel sind, weil ich Sorgen habe. Du weißt viel mehr über die Welt als ich. Wenn ich Nachrichten höre, passiert es manchmal, dass ich mir vorstelle, wie das sein muss: Wenn es mein Mann wäre, der in dem abgestürzten Flugzeug saß. Wenn es mein Kind wäre, das verhungert ist, weil wir einfach nichts, gar nichts hatten. Wenn ich es wäre, die die allerschlimmste Diagnose bekommt. Dann stockt mir der Atem und ich werde mutlos und verzagt und finde mich selbst zum Kotzen, weil ich es so gut habe, aber so wenig daraus mache. Die Welt ist ein schauerlicher Ort, Gott, das weißt du, und meine Schauerlichkeiten kennst du auch. Und trotzdem scheint heute deine Sonne hell auf unsere Stadt und ihre Strahlen wärmen mein Herz. Das Gras ist unglaublich grün und scheint danach zu rufen, dass jemand mit einem Ball barfuß darüberläuft. Winzige Insekten leben ihre ganz eigenen großen kleinen Leben zwischen den Halmen. Die Bäume halten ihre Wurzeln tief in die kühle Erde, ihre Blätter knistern im Luftzug, o Wunder der Photosynthese! Irgendwo im Norden weit oben in den Bergen gluckert das Wasser einer Quelle aus dem Stein, kristallklar und erfrischend, löscht Tieren den Durst und einem Wanderer, der zum Gipfel will, bildet ein Rinnsal, wird zum Bach, zum Fluss, zum Strom. Ist Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Ein stattlicher Hecht zieht seine Bahnen. Der Fluss mündet ins Meer, und was gibt es da nicht alles zu entdecken! In der Tiefsee hausen Kreaturen, die sich kein Mensch hätte ausdenken können. Der Lampenfisch lockt mit seinem Leuchtorgan Beute an. Viele Meter weiter oben bewegt sich ein Koloss elegant an die Oberfläche. Eine Walkuh bläst ihre Fontäne in die Luft. In den Tropfen bricht sich das Sonnenlicht in Millionen kleine Regenbogen. In der Ferne braut sich ein Sturm zusammen. Die Wellen gehen meterhoch. Am Festland kommt der Sturm als sanfte Brise an. Die Wellen laufen weich auf weißen Sand. Ein paar hundert frisch geschlüpfte Schildkröten sind auf dem Weg: „Hallo Wasser!“
Gott, deine Welt ist einfach unglaublich! So reich an den köstlichsten Dingen: Mangos! Erdbeeren! Äpfel! Kirschen! Rotkohl! Feldsalat! Vanille! Oregano! So reich an Tieren: Kühe! Schnabeltiere! Blattschneideameisen! Erdmännchen! Eisbären! Mistkäfer! Und natürlich der Mensch! Unvorstellbar, dass er wirklich funktioniert. Mit diesen 100.000 km von Adern, durch die das Blut fließt. Und das Herz schlägt und schlägt und hört nicht auf. Leber und Milz machen ihre Arbeit, ohne dass die meisten Menschen überhaupt wissen, worin die genau besteht. Was für ein Wunder unsere Haut ist! Sie schützt uns so gut und gleichzeitig lässt sie uns so viel empfinden. Wärme, Kälte, Streicheln … Und dass es Liebe gibt! Freundschaft! Kunst! Mitgefühl! Feste! Träume! Musik! Allein die Musik! Leise, laute, gezupfte, geblasene, getrommelte, wilde, traurige, Erinnerungsmusik und Musik, die einen von der Zukunft träumen lässt, Musik, bei der das Denken aufhört und wir nur tanzen. Der Muskelkater am nächsten Morgen ist ein schöner Schmerz. So wie wenn man im Kino vor Rührung weinen muss.
Ich danke dir dafür, dass die Welt so wunderbar gemacht ist. Deine Werke sind wunderbar gemacht. Das erkennt meine Seele. Ich danke dir dafür, dass der Mensch so wunderbar gemacht ist. Ich bin auch wunderbar gemacht. Mit meinen Schauerseiten. Mit meinen Höhen und Tiefen, mit meiner Hasenherzigkeit und meinen Mutausbrüchen, mit meinen Wünschen und meinen Grenzen, mit dem, was war, was ist und was kommt. Ich bin wunderbar gemacht. „Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.“ (Psalm 139,14)