Viele sagen: „Wer wird uns Gutes sehen lassen?“
Das kommt mir bekannt vor. Ein wenig anders formuliert lauten die Fragen heute: Wer hilft uns in der Pandemie? Wer tut etwas gegen die wirtschaftlichen und sozialen Schäden, die das Virus verursacht? Wer führt sinnvoll aus all den Einschränkungen wieder heraus? Wem können wir vertrauen? Und: Wie kann Gott es zulassen, dass weltweit Hunderttausende erkranken oder durch das Virus sterben? Wo ist Gott in der Pandemie?
Ich weiß, dass Krisen manche latent vorhandenen Fragen aufdecken und zuspitzen. Doch manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich mich anstecken lasse von der Verzagtheit und dem Unmut, die die schweren Zeiten über viele Menschen bringen. Antworten auf die Fragen nach Gott habe ich dann auch nicht leicht auf der Zunge.
Aber jetzt ist nicht die Zeit für schlüssige Erklärungen zu Gottes Handeln. Vielleicht ist das überhaupt nicht unsere Aufgabe. Stattdessen verweist uns der Psalmbeter auf das Bitten.
Seine Antwort auf die Frage seiner Zeitgenossen ist die Bitte: „Herr, lass leuchten über uns das Licht deines Antlitzes!“ Die besonderen Umstände, in die hinein der Beter spricht, sind nicht mehr zu erkennen. Deutlich ist jedoch, dass er den Blick von der sichtbaren Not auf den unsichtbaren Helfer lenken will. Er selbst hat schon die Erfahrung von Gottes Hilfe gemacht. „Der du mich tröstest in Angst“ (Vers 2). „Allein du, Herr, hilfst mir“ (Vers 9). Daher rühren seine Zuversicht und sein Vertrauen, dass Gott Menschen in der Not nicht verlässt.
Der Psalmbeter nimmt in seiner Bitte auch uns vertraute Worte auf. Es ist der zweite Wunsch im aaronitischen Segen, der uns am Ende eines Gottesdienstes mitgegeben wird. „Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.“ Wo Gottes Angesicht über einem Menschen leuchtet, spürt er, dass er nicht allein ist. Das Leuchten ist stärker als jede Dunkelheit. Es weckt neue Hoffnung und schenkt Zuversicht, auch in Sorgen und Ängsten.
Wir bewegen uns noch im Umkreis, sozusagen im Lichtkegel von Weihnachten. Von daher können wir das Licht von Gottes Antlitz sogar weiter beschreiben. Das Licht ist erschienen in einem neugeborenen Kind. Der erwachsene Mann Jesus von Nazareth hat später von sich gesagt: „Ich bin das Licht der Welt“ (Johannes 8,12). In den Worten und Taten Jesu, in seinem Leben und Sterben und seiner Auferstehung ist das leuchtende Angesicht Gottes konkret geworden.
Jesus hat nicht nur von sich als dem Licht gesprochen. In der Bergpredigt sagt er zu seinen Jüngern und Jüngerinnen: „Ihr seid das Licht der Welt“ (Matthäus 5,14). Das ist ein großer Auftrag und gleichzeitig der starke Zuspruch: Ihr könnt das; ich traue es euch zu.
Wie kann das gehen? Am besten wohl so, dass wir versuchen, das Licht von Gottes Angesicht widerzuspiegeln. Dazu gehört, dass wir die Sorgen und Ängste der anderen ernst nehmen und uns bemühen, ein Stück ihres Weges mit ihnen zu gehen. Wir sollten aber auch erzählen von unseren tröstlichen Erfahrungen, von unserer immer wieder gestärkten Zuversicht und von erneuerter Einsicht und Geduld im Umgang mit den Einschränkungen durch die Pandemie. Und wir sollten uns gegenseitig ermuntern, nicht nachzulassen in der Solidarität und der Unterstützung derjenigen, die es jetzt besonders schwer haben. So leuchten in dunklen Situationen kleine Lichter auf.
Impfstoffe und Medikamente gegen Covid-19 sind und bleiben die große Hoffnung. Aber am wichtigsten ist, was unsere indonesischen Freunde schreiben: Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben. Das fällt uns leichter, wenn wir uns vergewissern, in wessen Hand unser Leben und unser Sterben letztlich liegen. Ihn, unsern Gott, wollen wir auch am Beginn dieses Jahres bitten, sich uns liebevoll zuzuwenden und bei uns zu bleiben. „Herr, lass leuchten über uns das Licht deines Antlitzes!“