Die Wochensprüche im Mai 2021

2. Mai 2021

Kantate

Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder.
Psalm 98,1

Singen. Ein Lied. Als junges Mädchen hat sie gerne und leidenschaftlich gesungen. Doch der Pfarrer sagte irgendwann vor ihrer Konfirmation zu ihr: Du stellst dich dann in die hinterste Reihe, wenn wir beim Gottesdienst unser Konfirmandenlied singen. Dann machst du den Mund auf und zu. Tu einfach so, als würdest du mitsingen! Heute, so erzählt die ältere Dame mit zitternder Stimme, traut sie sich manchmal dann doch. Und stimmt mit ein, obwohl die Worte von damals noch immer wehtun. Ein Wunder, dass sie es geschafft hat. Ein Wunder, dass ihr der Glaube nicht verloren gegangen ist auf ihrem Weg.
Singen. Ein Lied. Er geht dazu hinaus in die Rheinauen. Da hat er sein Plätzchen gefunden. Mindestens dreimal die Woche, so erzählt er mir, fährt er mit dem Fahrrad zu diesem Flecken Erde, den er für sich gefunden hat. Schnaken und allerlei Getier machen ihm nichts aus. Er übt. Probiert, was seine Stimme hergibt. Er möchte sich ausdrücken und spüren, wie das klingt. Meine Seele atmet dabei auf!, sagt er. Weil ihn hier keiner stört oder korrigiert oder schräg anschaut wie der Mitsänger im Chor. Wie gut, dass er seinen geheimen Ort gefunden hat. Sein dürfen, singen dürfen, nicht beurteilt werden. Ein kleines Wunder auch das. Singen. Ein neues Lied. Mein Lied. Den eigenen Ton finden im Lärm des Alltags. In vertrauten Klängen Heimat finden, neue Melodien ausprobieren. Und dazu stehen, auch wenn es vielleicht schräg klingt. Denn er tut Wunder.

9. Mai 2021

Rogate

Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft noch seine Güte von mir wendet.
Psalm 66,20

Beten und schweigen. Stammeln und loben. Klagen und schreien. Die Welt und das eigene Leben vor Gott ausbreiten. All das macht Beten aus. Dann eine Durststrecke. Eine Vertrauenskrise. Irgendwann beginnt es. Ganz schleichend. Fast so, wie wenn im Haus die Heizung ausfällt. Zuerst bemerkst du es nicht. Doch nach und nach wird es kühler. Du zündest eine Kerze an. Aber es wird nicht wirklich gemütlicher dadurch. Die bohrenden Fragen geben keine Ruhe. Es wird kälter. Die klugen Texte aus dem hoch gepriesenen Andachtsbüchlein erreichen das Herz nicht. Es ist kalt geworden in dir und um dich. Nach jahrelanger Praxis einer Stillen Zeit am Morgen mit Bibellese und Gebet bleibt dir jetzt nur noch Stille. Und Zeit. Das Aushalten. Das Hinhalten. Irgendwann entdeckst du, dass dein Leib sich nach Bewegung sehnt. Aus der wortgefüllten Stillen Zeit von damals wird nun ein schweigsamer morgendlicher Spaziergang, ganz ohne tiefsinnige spirituelle Gedanken. Der Orthopäde empfiehlt zudem einige Übungen – Leibesübungen für den Tagesbeginn. So verbindet sich auf einmal, was Leib und Seele wohltut. Das alte Feuer kommt nicht wieder. Aber hier und da entdeckst du, wie warme Sonnenstrahlen deine Nase kitzeln. Wie ein Funke, kaum zu sehen, dir Hoffnung gibt für den neuen Tag. Wie die Stubenfliege, die sich zu dir setzt, dir auf dem Kopf herumtanzt, dich wach macht und sensibel für alles, was lebt. Und wie du im Schmerz durch deine Krisenzeit hindurch getragen worden bist. Von manch anderen, die für dich gebetet haben. Und von Gott selbst. Gelobt sei sein Name.

16. Mai 2021

Exaudi

Christus spricht: Wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen.
Johannes 12,32

Aufrecht. Zwischen Himmel und Erde scheint er gleichsam hin- und hergerissen. Der johanneische Christus, von Anfang an ein himmlischer Typ, begegnet mir im vierten Evangelium wohltuend anders. Die Erzählungen von der Hochzeit zu Kana, von der Heilung des Gelähmten am Sabbat beim Teich von Bethesda, bis hin zur Auferweckung des Lazarus, diese Geschichten haben eine ganz eigene Logik. Immer schon schimmert bei Johannes durch, dass dieser Jesus von Nazareth ein besonderer Typ ist. Der Typus eines Menschen, dessen Energien gleichsam auf himmlische Weise gespeist werden. Leben im Sinne des Erfinders wird mir hier vorgestellt als Leben in engster Verbindung mit dem Höchsten. Zwischen Himmel und Erde geht eine Bewegung hin und her. Mit den Worten der Gesangbuch-Tradition gesungen: irdisch noch schon himmlisch sein (EG 384,1). Und umgekehrt: Himmlisch schon noch Erdling sein und bleiben. Die produktive Spannung, die sich in dieser Hin- und Herbewegung aufbaut, muss sich nicht immer spektakulär im Blitz entladen. Und es ist gut, dass es auch den nahbaren Menschen Jesus von Nazareth gibt, wie ihn die anderen Evangelien zeichnen. Wie die Spannung zwischen den Überlieferungen, so gibt es auch in mir das Hin und Her zwischen dem ganz nahbaren Jesus von Nazareth und dem Christus auf dem Weg zur Erhöhung. Je nach Lebenssituation und Stimmungslage. Hin- und hergerissen sein zwischen Himmel und Erde. Nicht nur beim Hören der Nachrichten oder beim Anblick eines neugeborenen Kindes. Auch in einer dunklen Nacht, wenn ich mich unter das sich drehende Sternenzelt stelle. Aufrecht. Mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Den Blick in die unendlichen Weiten der Galaxien gerichtet. So stehe ich da. Aufrecht zwischen Himmel und Erde.

23. Mai 2021

Pfingstsonntag

Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth.
Sacharja 4,6b

Geistesgegenwart. Gottes Geist als empfangene Gabe erinnert an Jesus Christus, damals wie heute. Dieser Geist macht lebendig, macht unruhig, lässt sich nicht in Armeen und nicht in Potenzen fassen. Sein Kennzeichen ist ja gerade seine Unverfügbarkeit und zugleich seine Wandlungsfähigkeit. Und indem wir die Geschichte Jesu je neu erzählen in unserer Zeit, ereignet sich Kirche. In der Kraft des Geistes wird jede neue Auslegung an die Geschichte des Nazareners zurückgebunden. So hält der Geist die christliche Erinnerung elastisch (Christian Danz). Identität und Kontinuität erlangt die christliche Religion gerade durch ihre Elastizität. Elastisch und agil sind wir, wenn wir suchen und fragen nach dem, was Kirche im 21. Jahrhundert sein kann. Elastisch und agil bleiben wir, wenn wir ringen um Prioritäten und Aufgaben in den Kirchengemeinden und an den kirchlichen Orten. Elastisch und agil wird Kirche immer dort erfahren, wo Menschen ihre Herzen und Türen für andere öffnen. Wo sie sich berühren lassen und in Geistesgegenwart handeln. Die Zukunft wird zeigen, welche Wege wir als Menschen des Glaubens innerhalb und außerhalb der Kirchen noch geführt werden. Dabei ist unsere christliche Erfahrung von Geistesgegenwart nicht nur eine unter vielen anderen geworden. Sie ist auch in sich selbst hochgradig pluralisiert und vielfältig. Umso bedeutsamer wird es sein, dass wir als Gemeinschaften und Gemeinden offen bleiben, nach oben offen. So stelle ich mir das vor. Wie ein Gefäß, das gefüllt werden kann. Manchmal ist es dazu notwendig, auf- und auszuräumen. Pfingsten macht mir Lust dazu!

30. Mai 2021

Trinitatis

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.
2. Korinther 13,13

Als sogenannter Kanzelgruß stehen diese Worte oft am Anfang einer Predigt. Bevor die Pfarrerin sich dem Sonntagsthema oder dem biblischen Text widmet, erklingt der dreifach aufgefächerte Gruß. Gnade. Liebe. Gemeinschaft. Zugesagt von dem Ort aus, an dem Sonntag für Sonntag um Worte gerungen wird, um Trost, um Zuspruch, um Aktualisierung der biblischen Erzählungen. Gnade. Liebe. Gemeinschaft. Noch vor allen manchmal mühsamen Versuchen zu verstehen erklingt ein kräftiger Zuspruch.
Mich als Prediger hat es dabei immer wieder nachdenklich gemacht, dass in unserer Ortsgemeinde die Kanzel nur ein Provisorium ist. Nach der letzten großen Renovierung hatte man die alte hoch über den Köpfen thronende Kanzel entfernt. An anderer Stelle im Kirchenraum, näher bei den Menschen, wurde aus schlichtem Holz jenes Provisorium errichtet, von dem aus nun gepredigt wird. Gnade. Liebe. Gemeinschaft. Angesagt, ausgerufen, verkündet von einem Provisorium aus. Starke Worte mit Ewigkeitscharakter. Gesprochen von einem Ort aus, der nur vorübergehend seinen Zweck erfüllen soll. Von Predigerinnen und Predigern, die nur vorübergehend in der Gemeinde sind. Ich habe mich manchmal gefragt, ob nicht auch die Kanzelrede, die Predigt – jedenfalls klassisch von der Kanzel aus – zu jenen vorübergehenden Erscheinungen gehört. Die ihre Zeit haben und kommen und gehen. Wenn die Kanzel wie in meiner Kirche ein Provisorium bleibt, erinnert sie daran, dass es jenseits der kirchlichen Verkündigung Orte zu entdecken gilt, in denen Gnade, Liebe und Gemeinschaft wirksam sind. Das fängt bei mir selber an. Vielleicht schon beim morgendlichen Blick in den Spiegel: Gnade dem, der mich da so seltsam verschlafen anschaut. Und das geht weiter zu den anderen. Vielleicht beim Gespräch mit der Nachbarin im Flur: Man muss sie einfach lieb haben. Und dann erlebe ich das in den kleinen Gruppen und Netzwerken: Echte Gemeinschaft trägt und stärkt trotz allem. Ich will mich auf Spurensuche begeben. Und darauf achten, dass aus dem Kanzelgruß immer wieder ein Alltagsgruß wird.

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