6. Juni 2021
1. Sonntag nach Trinitatis
Wer euch hört, der hört mich; und wer euch verachtet, der verachtet mich.
Lukas 10,16a
Innerhalb der ersten 10 Sekunden entscheiden Menschen in der Regel über das Annehmen oder Ablehnen eines Gegenübers. Das Ergebnis spüren wir emotional unmittelbar. In uns regt sich scheinbar aus heiterem Himmel emotionale Nähe oder Distanz. Wir drücken das dann in Interesse oder Desinteresse am Gegenüber aus. Wenn wir im Nachhinein über solche Begegnungen nachdenken, wundern wir uns doch, wie schnell wir eigentlich eine erste emotionale Reaktion verspürten, ohne dass wir bewusst Angenehmes oder Störendes miteinander abgewogen haben. Von Personalverantwortlichen aller Branchen wissen wir, dass mehr als die Hälfte innerhalb der ersten fünf Minuten über den Erfolg oder Misserfolg einer schriftlichen Bewerbung entscheiden. Für mehr als zwei Drittel aller Personalverantwortlichen spielt weder das Anschreiben noch die Textgestaltung oder die Motivation des Bewerbenden die wesentliche Rolle, sondern sie schauen als Erstes auf den Lebenslauf. Dabei muss nicht alles aalglatt aussehen, sondern verschiedene Erfahrungen an unterschiedlichen Orten und in unterschiedlichen Zusammenhängen machen den Lebenslauf interessant. Spannend sind auch Brüche oder Kurskorrekturen, Neuausrichtungen und Veränderungen. Das reizt zum Gespräch und weckt Interesse am Gegenüber. Wenn sich dann in der Begegnung noch zeigt, dass eine Person die bisherigen Wege reflektiert hat, berufliche Stationen und Veränderungen mit persönlichen Interessen in Verbindung bringt und daraus Perspektiven entwickeln kann, steht einer gelingenden Bewerbung kaum mehr etwas im Wege. Die Aussendung der Jünger Jesu ist kein Bewerbertraining. Sie werden ausgesandt mit dem Hinweis, dass das Verhalten der Menschen ihnen gegenüber unmittelbar etwas über deren Gottesbeziehung ausdrückt. Gleichsam im Moment der Begegnung entscheidet sich Nähe oder Distanz. Seien wir aufmerksam bei unseren Begegnungen.
13. Juni 2021
2. Sonntag nach Trinitatis
Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.
Matthäus 11,28
In den Rocky Mountains gibt es auch eine zweisprachige evangelische Gemeinde, die zur Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika gehört und ihr Gemeindeleben in englischer und deutscher Sprache gestaltet. Im Sommer laden die imposanten Felsformationen nicht nur Kanadier und Amerikaner, sondern auch unzählige Asiaten und Europäer fernab der Zivilisation zu Wander- und Klettertouren ein. Der schnelle Jahreszeitenwechsel übt dann eine große Attraktivität für alle am Wintersport Interessierten aus. Die Menschen dort und auch die zweisprachige Pfarrerin dieser Gemeinde scheinen wohl im Paradies zu leben. Die Attraktivität aller Jahreszeiten ist seit vielen Jahrzehnten für Besuchende aus aller Welt ungebrochen.
Die Einladung des Wochenspruches klingt auf diesem Hintergrund fast wie Hohn. Mühselige und Beladene stellen wir uns anders vor. Flüchtlinge, Kranke, Menschen in schwierigen persönlichen Umständen, Obdachlose und die immer stärker zunehmende Zahl an Menschen weltweit, die von Krieg, Vertreibung und Ausbeutung betroffen sind. Aber für 400 Christen und eine Pfarrerin im vermeintlichen Paradies ist dieser Wochenspruch wohl nicht geschrieben worden. Zumindest nicht so offensichtlich. Seit mehr als einem Jahr gibt es keinen einzigen Besuchenden mehr in der Region. Die Corona-Pandemie hat im März letzten Jahres zu einem vollständigen Erliegen des Tourismus geführt, und auch seit Impfbeginn und diversen Lockerungen von Reisebeschränkungen zeigt sich bisher keine Besserung. Fast alle Betriebe haben mittlerweile dauerhaft geschlossen, die Gemeinde hat sich reduziert auf rund 60 Mitglieder, die ortsansässig sind und hauptsächlich von der Landwirtschaft und dem Forstbetrieb leben. Die Pfarrerin arbeitet in einem Forstbetrieb mit, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Ein Notfonds der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika hat die Unterstützung der Gebäudekosten übernommen. Mühselige und Beladene können auch überraschend andere sein. Mögen wir sie erkennen.
20. Juni 2021
3. Sonntag nach Trinitatis
Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.
Lukas 19,10
Die letzten eineinhalb Jahre waren eine besondere Zeit. Eine kleine Gruppe unserer Gesellschaft, nämlich die deutlich über Achtzigjährigen, haben noch Erinnerungen an die letzten Jahre des Zweiten Weltkrieges, die dann folgende Zeit der Besatzungsmächte und den Beginn des Wiederaufbaus. Meine Vorfahren stammten aus dem Ruhrgebiet. Sie erzählten im Alter oft von den Fliegerangriffen, den ausgebombten Zechensiedlungen und dem Bangen und Beten in den Luftschutzkellern. Sie berichteten vom Einkauf mit Wertmarken statt Geld, vom blühenden Handel mit dem Schnaps und den Zigaretten, die die Bergleute erhielten, und dem Eintausch gegen Brot, Butter und etwas Kaffee. An Toilettenpapier war gar nicht zu denken. Es galt als purer Luxusartikel. Die Tageszeitung vom Vortag reichte vollkommen aus, um sich zu reinigen.
Für einen großen Teil unserer heutigen Gesellschaft waren das Erzählungen nicht nur aus einer anderen Zeit, sondern gefühlt aus einer vollkommen anderen Welt. Die meisten kannten nur das aufstrebende und wirtschaftlich wie sozial starke Deutschland. Ungeahnte Möglichkeiten und Freiheiten waren selbstverständlich. Deutschland als Export- und Reiseweltmeister war eine Selbstverständlichkeit. Bis im Frühjahr vergangenen Jahres die Welt sich auf den Kopf zu stellen schien. Nicht nur Reisebeschränkungen und Homeoffice, sondern ein Jahr lang eine fast vollkommene Beschränkung jedweder Begegnungen waren die Folge der Corona-Pandemie. Wir alle spürten auf einmal, wie wichtig uns Begegnungen im Leben sind. Dabei ging es nicht nur um die engste Familie und einen kleinen Freundeskreis, sondern auch um das gemeinsame Gestalten des gesellschaftlichen Lebens. Die Sehnsucht nach Begegnung wuchs zunehmend, und die Bedeutung, die das Begegnen für uns hat, wurde vielen schmerzlich bewusst.
In diese Erfahrung hinein sagt uns der Wochenspruch zu, dass Gott unentwegt auf der Suche nach Begegnung mit uns ist. Gottes Aufsuchen des Menschen hat keine Beschränkung. Er kommt uns täglich nahe.
27. Juni 2021
4. Sonntag nach Trinitatis
Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.
Galater 6,2
Die Tragfähigkeit von Lasten ist in unserem Alltag immer eine Frage der Begrenzung. Gebäude, Brücken, Kräne und Fahrzeuge sind auf eine maximale Tragfähigkeit von Lasten ausgelegt. Aber nicht nur bei diesen offensichtlichen Dingen bedarf es der Beachtung des Gewichts einer Last. Auch Straßen, Werkzeuge und Haushaltsgeräte bis hin zum eigenen Körper unterliegen immer der Frage nach der Belastbarkeit. Und selbst nicht offensichtlich messbare Gegenstände unseres Alltages unterliegen Belastungsgrenzen, angefangen bei der persönlichen emotionalen Belastbarkeit von Körper und Geist bis hin zu Beziehungen im privaten und beruflichen Umfeld.
Wenn wir dem Thema Last und Belastung nachspüren, merken wir, wie es vom ganz Großen bis zum winzig Kleinen unser Leben bestimmt. Fast alles in unserem Leben scheint mit der Frage nach Last und Belastung verbunden zu sein. Irgendwie ist in unserem Leben allem und jedem eine Grenze gesetzt, bis wohin etwas tragfähig ist und ab wann es zu brechen oder zerbrechen droht. Sogar dem Leben selbst ist diese Grenze der Last und Belastung gesetzt, die wir durch eigene Kraft nicht überschreiten können.
Der Wochenspruch für den 4. Sonntag nach Trinitatis führt uns heute darüber hinaus, und zwar in vielfacher Hinsicht. Er ermutigt uns, Lasten zu teilen und somit gemeinsam mit anderen Lasten zu tragen, auch damit sie leichter werden. Aber nicht nur dies. Wer anderen tragen helfen will, muss auch selbst tragfähig sein. Das wirft uns auf uns zurück und lässt uns kritisch unsere eigene Lebensgestaltung anfragen. Sind wir ständig an der eigenen Belastungsgrenze unterwegs, dann fehlt uns die Tragfähigkeit für unsere Mitmenschen. Am Ende zerbrechen wir alle unter den Lasten, die wir uns oft auch selbst auferlegen. Der Wochenspruch ermutigt uns, auf eigene Belastungsgrenzen zu achten und tragfähig zu bleiben für Lasten anderer. Geteilte Last ist halbe Last, kommt uns ein abgewandeltes Sprichwort in Erinnerung. Gottes Ermutigung macht unser Leben tragfähig.