Ninive! Mit einem Auftrag beginnt eine der schönsten Geschichten der Bibel. Tausendfach gemalt, vielfach als Musical vertont, haben Jona und der Wal Einzug in unser kollektives Gedächtnis gehalten. Hören wir den Anfang dieser Geschichte:
Lesung Jona 1–2
Auf, geh nach Ninive! Jona. Jona Jedermann oder Jederfrau. Jona ist ja eine literarische Person. Sie lebt überall und zu allen Zeiten. Es könnte also auch heißen: Jona, geh dahin, wo Korruption herrscht, Mord und Totschlag. Geh dahin, wo Geld und Macht wichtiger sind als Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Geh in die Börsenhäuser dieser Welt. Geh dorthin, wo krumme Geschäfte gemacht werden auf Kosten der Umwelt und der Ärmsten dieser Welt. Geh dorthin, wo Kriege geplant und Waffen zur Vernichtung geschmiedet werden. Denn dafür steht Ninive in der biblischen Erzählung Geh nach Ninive – und sag allen: „Unser Gott spricht: So geht es nicht weiter! So werdet ihr alle untergehen! Kehrt um!“ Los, Jona, mache dich auf! Lauf, denn die Zeit ist knapp!
Ninive gibt es nicht nur im Großen. Ninive ist zum Beispiel auch da, wo in unseren Beziehungen Hochmut und falscher Stolz herrschen. Da, wo Menschen ausgenutzt und unwürdig behandelt werden. Geh nach Ninive könnte dann heißen: Schau dahin, wo deine Beziehungen verkorkst sind, wo mehr Schmerz als Freude ist. Geh genau dorthin! Denn dort wartet eine Aufgabe auf dich, vor der du schon so lange wegläufst:
Ich telefoniere mit einer Freundin, deren Ehe schon jahrelang schwierig ist, deren Mann zu viel trinkt und der ihr das Leben zur Hölle macht. Immer wieder und wieder hat sie verziehen, ausgehalten und konnte sich nicht durchringen, sich von ihm zu trennen. Vielleicht ist ihr Auftrag, nun endlich in ihr „Ninive“ zu gehen, hinzusehen und eine Entscheidung zu treffen: So geht das nicht weiter. Es ist Zeit umzukehren, sonst werden beide untergehen.
Auch das Umgekehrte kann ein Auftrag sein: aufeinander zugehen, Versöhnung anbieten, barmherzig sein– wie es uns die Jahreslosung ans Herz legt. Los, Jona, mach dich auf!
Was hält ihn ab, was lässt ihn zögern? Nun, Ninive ist kein Wellness-Ort. Der kleine Jona soll nach Ninive! In diese große, fürchterliche Stadt. Wo Millionen Menschen durch die Straßen rennen, die Wolkenkratzer den Himmel verdecken, wo alle von einem zum anderen hetzen in ihren schicken Anzügen. Wo die Autos rasen und die Leuchtreklamen um die Wette blinken? Wo die Schlote rauchen und den Himmel verdunkeln, sodass man keine Sterne mehr sieht, wo man alles für Geld bekommen kann (Klischee?). Wie soll das gehen? Niemand wird auf den kleinen Jona hören, und er denkt: „Was hast du dir dabei gedacht, Gott? Sie werden mich auslachen oder mundtot machen. Denn ich störe. Niemand wird auf mich hören. Keine Frage, der Auftrag ist wichtig und richtig. Aber: Nimm jemand anderen, Gott, lass mich mit diesem Auftrag in Ruhe.“
So ist das bei unseren Ninives, den großen und den persönlichen: Da wartet unangenehme Arbeit auf uns, da wird es schmerzlich. Da stoße ich auf Ablehnung und Spott – oder auf meine eigenen Abgründe und verkorksten Geschichten: „Will ich mir das wirklich anschauen und antun? Wie soll mein Leben denn dann weitergehen? Ich weiß doch nicht wohin und was werden soll.“
Jona also läuft– nein, nicht nach Ninive – sondern in die entgegengesetzte Richtung. Ziel: Ende der Welt, dort, wo Gottes Arm nicht hinreicht. Ein Schiff soll ihn dorthin bringen … Fahrkarte gelöst, Kabine bezogen. Anker lichten. Und es kommt, wie es kommen muss: Die See wird rau, dann stürmisch, bis schließlich der Orkan losbricht. So ist das, wenn wir die Augen verschließen– vor den Folgen unseres Wirtschaftens und Lebens für Umwelt und Gerechtigkeit. Vor den Störungs-Anzeichen in Beziehungen. Wir verschließen die Augen – aber der Sturm lässt sich nicht aufhalten. Er wird nur noch schlimmer. Irgendwann hilft nur noch: hinsehen und handeln.
Ein letzter Ausweichversuch ist dann häufig: Hinsehen und verhandeln. Also nicht wirklich etwas tun, sondern fragen: Wen können wir verantwortlich machen? Und damals wie heute fragen die Menschen an Bord: Wer ist schuld? Es muss doch jemanden geben, der für diese Misere verantwortlich ist. Welcher Gott hat uns das eingebrockt? Deiner oder meiner? Oder gar der merkwürdige Gott des Hebräers?
Ich bin schuld – sagt Jona. Und mit diesem Satz hat er seine Flucht eigentlich schon beendet. Vor meinem Gott, vor seinem Auftrag kann ich nicht davonlaufen – merkt er. Vor mir und meiner Verantwortung kann ich nicht davonlaufen.
Jona gibt die Flucht auf, aber stellt sich der Aufgabe noch nicht: Wenn ich schon nicht fliehen kann, dann eben untergehen? Die anderen sind einverstanden! Ein Opfer muss her – das hat doch bisher meistens geholfen. Ein Sündenbock – her damit! Werft mich ins Meer! Lieber einer stirbt – als alle zusammen.
Und so werfen sie ihn, nach vergeblichem Versuch, gegen den Sturm anzurudern, in des Meeres Rachen.
Und es wird still, ganz still. Der Sturm legt sich, spiegelglatt das Meer und Jona sinkt in die tiefe Stille.
Und auf einmal kommt da ein Fisch, groß wie ein Haus, mit weit aufgerissenem Maul. Und er verschluckt den Jona mit einem Happs! Das dürfte dann wohl wirklich das Ende sein. Was er noch hört, das ist der merkwürdige Gesang dieses Riesentiers … dann fällt er in einen tiefen Schlaf.
Doch anstatt in die Hölle zu versinken, wacht er wieder auf. Im Bauch des Fisches – umgeben von, ja was eigentlich? Er erinnert sich an dieses Gefühl – damals, als er noch nicht geboren war. Im Bauch geborgen, geschützt vor allen Gefahren der gleißenden Welt da draußen.
Und in dieser Tiefe beginnt es in ihm zu singen:
„Ich rief zu Gott in meiner Angst, und er antwortete mir. Ich schrie aus dem Rachen des Todes, und du hörtest meine Stimme. Du hörtest mich, auch hier am Ende der Welt, in der tiefsten Tiefe. Dort, wo ich glaubte, dass du dort nicht mehr bist.
Alle deine Wogen und Wellen gingen über mich, dass ich dachte, ich wäre verloren. Doch da bist du und hörst mich. Ich spüre deine Gegenwart – so wie damals im Mutterleib. Hinter mir schlossen sich die Riegel der Erde, aber du hast mein Leben aus dem Verderben geführt.
Ich weiß jetzt, dass es keinen Ort gibt, an dem du, Gott, nicht bist! Du verlässt mich nicht – auch wenn ich vor dir weglaufen will. Du bist da und hältst mich in deiner Hand!“
Und der Wal stimmt ein in diesen Gesang der Melancholie und der Zuversicht.
Jona weiß, dass er nicht vor Gott fliehen kann. Nicht vor seinem Auftrag, nach Ninive zu gehen. Davonlaufen ist zwecklos. Noch nicht verstanden hat er, dass der Auftrag selbst gut ist, lebensnotwendig. Aber er weiß schon – was er vorher nicht wusste –, dass Gott mit ihm geht. Dass er sich nicht zu fürchten braucht.
Wir sind nicht nur Jona. Wir sind auch die Leute in Ninive. Verstrickt in einen Lebensstil, der schadet: uns selbst, den Mitmenschen, der Schöpfung. Wir sind angewiesen auf Menschen wie Jona, die uns die Augen öffnen und uns für andere Wege öffnen.
Vielleicht erkennt Jona das in unserer Erzählung. Und auch das nimmt ihm die Angst vor den Menschen in Ninive. Auch sie: bloß Menschen, wie er. Auch sie – die Korrupten, die Geschäftemacher und Waffenschmiede: voller Sehnsucht nach Glück, etwas Freude und Heilsein. Auch sie: voller Sehnsucht nach Leben. Und ja, er wird dorthin gehen und Gottes Botschaft weitersagen: Kehrt um – und ihr werdet leben! Ohne Angst. Wieder geboren, um den Auftrag Gottes zu erfüllen.
Und so sprach Gott zu dem Fisch, und der spie den Jona an Land!
Da stehen wir nun mit Jona: an Land gespuckt mit dem Auftrag, von der Liebe Gottes zu reden, von der Sehnsucht nach Leben, von Barmherzigkeit und Gottes Begleitung.
Wir stehen da mit dem Auftrag, auch von Umkehr zu reden und Veränderung, davon, die Augen zu öffnen und dann anzupacken, zu handeln. Das wirkliche Leben zu suchen, vor Ninive nicht auszuweichen. Gerechtigkeit, Frieden und Liebe zu suchen für uns und die ganze Welt.
Was das konkret für jede Einzelne von uns bedeutet? Das steht nicht in der Bibel. Wohl aber die Aufforderung, immer wieder in uns hineinzuhorchen: Wo lebe ich in Ninive? Wo bin ich zur Veränderung gerufen? Und wo bin ich die Stimme, die andere zur Veränderung ruft?
Bei alldem gilt:
Auch für uns gibt es keinen Ort, an dem Gott nicht ist und uns umgibt. In der tiefsten Tiefe und auf den höchsten Höhen: „Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.“
Kollektengebet:
Guter Gott, manchmal laufen wir davon. Vor unseren Aufgaben, vor Problemen und Konflikten. Vor uns selbst.
Wir kommen zu dir mit all unseren Irrwegen,
all unseren Umwegen.
Zeige du uns Ziel und Richtung.
Leite uns auf den richtigen Weg, das Leben zu finden,
begeistere uns, tröste uns, sei bei uns,
wenn wir lachen und wenn wir weinen.
Vorschläge für Fürbitten:
Gott, der du unsere Stimmen hörst,
wir bitten dich für uns und unsere Welt:
Lass uns umkehren zu mehr Frieden und Gerechtigkeit.
Lass uns umkehren zu mehr Barmherzigkeit und Nachsicht.
Wir bitten dich für die Menschen um uns:
für die Fröhlichen und Traurigen,
für die Abgehetzten und Gelangweilten,
für die Mutlosen und die, die überschäumen vor Glück.
Bewahre und begleite sie.
Sei bei den Menschen, die in den Stürmen des Lebens drohen unterzugehen.
Psalmvorschlag: |
Psalm 139,1–18.23–24 |
Lesung: |
1. Johannes 4,16–21 |
Liedvorschläge: |
445 (Gott des Himmels und der Erden)
|
|
272 (Ich lobe meinen Gott) |
|
365,1–3.5–6 (Von Gott will ich nicht lassen) |
|
322 (Nun danket all und bringet Ehr) |
|
2170 (Komm, Herr, segne uns) |