Gott ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir. (Apostelgeschichte 17,27)
Beim Lesen dieses Satzes muss ich an mich halten, um nicht spontan ein loriothaftes „Ach was?“ auszustoßen. Dieses „Ach was?“ verwendet Loriot in seinen Sketchen häufig als Reaktion auf völlig banale Aussagen seines jeweiligen Gegenübers. Er selbst wirkt dabei wie aus einer anderen Welt und ist erstaunt und entrüstet zugleich. „Ach was?“ ist bei Loriot eine Reaktion darauf, wenn einer belanglosen Aussage in der Konversation mehr Bedeutung beigemessen wird, als es sachlich berechtigt ist. Bei Loriot ist dieses „Ach was?“ auch ein Signalwort für das Scheitern und den Zusammenbruch der zwischenmenschlichen Kommunikation. Es ist der Augenblick, in dem klar wird, dass da zwei Menschen gerade völlig aneinander vorbeireden. Das ist tragisch und komisch zugleich. Es darf gelacht werden.
Paulus legt sich mit seiner Areopag-Rede schwer ins Zeug und erntet ausgerechnet mit diesem Satz ein nachhaltig überzeugtes „Ach was?“ bei seinen Zuhörern. Gut vorstellbar, dass da der eine oder andere Lacher zu hören war. Der Monatsspruch ist das Dokument eines gescheiterten Verständigungsversuchs. Mag sein, dass ihm dieser Satz von der Apostelgeschichte in den Mund gelegt wurde. Der Brückenschlag, den dieser Satz zur Glaubenswelt der Zuhörer/innen sein soll, misslingt. Die Brücke der Verständigung trägt nicht. Sie kann nicht tragen. Sie trägt auch heute nicht, wenn ich meine, jemandem mit einer gewissen oder eher ungewissen Gottesvorstellung auf diese Weise den Glauben nahebringen zu können. Dieser Satz macht die ungewissen Gottesvorstellungen nicht besser, weil es nur ein Irgendwie-Gott ist, der da nebulös beschrieben wird.
Ich bin froh, dass dieser Satz als Verständigungsversuch gescheitert ist. Ich bin deshalb froh, weil es im Glauben immer beides gibt: die Erfahrung der Nähe Gottes und die Erfahrung, dass er weit weg zu sein scheint. Nur wenn ich von beidem erzählen kann, werden sich mögliche Zuhörer/innen ernst genommen und mit ihren Fragen über Gott und die Welt verstanden fühlen. Die Erfahrung von Nähe mache ich nur mit einem klaren Gegenüber. Das mit dem „leben und weben“ ist eine untaugliche Metapher. Sie suggeriert Verschmelzung und lässt ein Gegenüber nicht zu. Ein solcher Gott wäre nicht spürbar oder erfahrbar. Ich kann mich nicht an ihm reiben. Ein Gott, in dem ich lebe und webe und bin, lässt mich in den konkreten Fragen meiner Lebensbewältigung noch mehr im Stich als ein abwesender Gott, nach dem ich verzweifelt schreien kann.
Ich wünsche es mir sehr, meine Glaubenserfahrung mit Menschen teilen zu können, auch mit denen, die meine Weltsicht als glaubender Christ nicht teilen. Meine Erfahrung unterscheidet sich nicht von der anderer Menschen. Wie jeder Mensch habe ich meine Sorgen und Ängste, hege Herzenswünsche, bin verzweifelt, habe Hoffnungen, erlebe Gelingen und Scheitern, spüre meine Grenzen. Dies kann ich mit anderen teilen. Wenn ich das tue, bin ich zugleich ganz bei mir und auch beim anderen.
Paulus hätte es nicht nötig, die Athener Hinterhöfe nach brauchbarem weltanschaulichem Gerümpel zu durchstöbern. Er hätte es deshalb nicht nötig, weil er wiederholt in seinen Briefen den anderen Weg der Verständigung wählt. Dort gibt es viele Passagen, in denen er seine Erfahrung, seinen Überlebenskampf, Grenzen, sein Scheitern teilt und sie mit seiner Glaubensüberzeugung verbindet. Die Brücke zu den Menschen mit einer anderen Ansicht führt über die geteilte Erfahrung. Wer Erfahrung teilt, öffnet sich für den anderen und ermöglicht es anderen, sich zu öffnen. Wer Ansichten vertritt, errichtet Mauern. So könnte der erzählte misslungene Verständigungsversuch aus der Apostelgeschichte ein Hinweis sein, was man bleiben lässt und stattdessen tun kann, wenn man möchte, dass die eigenen Worte eine Brücke zum Du werden. Man kann es ja mal ausprobieren. „Ach was?!“