Ihr sät viel und bringt wenig ein; ihr esst und werdet doch nicht satt; ihr trinkt und bleibt doch durstig; ihr kleidet euch, und keinem wird warm; und wer Geld verdient, der legt’s in einen löchrigen Beutel.
Haggai 1,6 (L)
Überlegt doch einmal, wie es euch geht! Denkt doch einmal über eure augenblickliche Lage nach! Was bewegt euch?
Ihr seid aus dem Exil in die Heimat zurückgekehrt und seid erschrocken. Das Land eurer Väter und Mütter sah in euren Träumen anders aus. Schöne Häuser und Gärten, ein Haus, in dem Gott wohnt, nährten eure Sehnsucht nach diesem Land.
Bei eurer Ankunft aber war alles anders. Das Land ist verwüstet. Der Tempel liegt in Trümmern. Gottesdienst und Gotteslob sind in weite Ferne gerückt.
Statt aber darüber zu weinen und den Wiederaufbau des Tempels zu eurem ersten und vordringlichen Anliegen zu machen, kümmert euch das Haus Gottes überhaupt nicht. Ihr seht nur euch. Ihr seht eure Not und versucht mit allen Mitteln, dieser Not ein Ende zu setzen. Die Trümmer am Haus Gottes sind dabei eure geringste Sorge.
Wo sollen wir wohnen? Was sollen wir essen und trinken? Womit sollen wir uns kleiden? Wie kommen wir schnell wieder zu einem gefüllten Geldbeutel? Das sind Fragen, die euch bewegen. Darauf richtet sich euer ganzes Tun und Lassen. Aber trotz Arbeit und Mühe geht der Wiederaufbau des Landes nicht voran. Der Erfolg eurer Arbeit stellt sich nicht so ein, wie ihr euch das wünscht. Gefangen in den Alltagssorgen meint ihr, mit noch mehr Einsatz müsste sich das ändern. Mit noch mehr Saatgut müssten die Felder doch bald wieder die guten Früchte tragen, die dem Boden des Landes entsprechen. Eure Erwartungen aber werden enttäuscht.
Ihr jammert und klagt: Warum greift Gott nicht ein? Warum lässt er uns ohne Gewinn arbeiten? Ein Gott der Liebe müsste sich doch um uns kümmern. Ein Gott der Liebe müsste doch dafür sorgen, dass es uns bald wieder besser geht.
Muss Gott das wirklich? Muss Gott seine Liebe mit Wohlstand und einem sorgenfreien Leben beweisen? Und noch etwas: Muss Gott sich mit eurer Gottvergessenheit zufriedengeben? Kann Gott nicht auch von euch einen Beweis eurer Liebe erwarten?
Liebe ist nie einseitig. Auch die Liebe Gottes nicht. Wie menschliche Liebe sich nach Gegenliebe sehnt, so sehnt sich auch Gott nach Gegenliebe.
Die Liebe zu Gott aber bleiben die aus dem Exil zurückgekehrten Israeliten ihm schuldig. Sie bauen an ihren Häusern und verwehren Gott den Wiederaufbau seines Hauses. Längst haben sie den Zusammenhang zwischen Wohlergehen und Gottesdienst vergessen.
In ihre Misere hinein fragt der Prophet: Wie könnt ihr euch reich verzierte Häuser bauen, während der Tempel noch in Trümmern liegt?“ Mit seiner Mahnung stellt er einen Zusammenhang zwischen ihrem eigennützigen Streben und ihrer Gottvergessenheit her. Die Lösung ihrer Probleme bringt nicht ihr unermüdliches Arbeiten. Die Lösung geschieht durch eine veränderte Blickrichtung. Ihre Wertvorstellungen müssen sich verändern. Nicht die eigenen Häuser haben den Vorrang. Vorrang hat das Haus Gottes. Sobald sie die Arbeit am Tempel aufnehmen, wird auch ihrem persönlichen Tun Erfolg beschieden sein. Schon damals gab es einen Zusammenhang zwischen dem Tun des Menschen und dem Handeln Gottes.
Und wie ist es in der Gegenwart? Ich höre Haggai auch heute rufen:
Überlegt doch einmal, wie es euch geht! Denkt doch einmal über euch nach! Ihr klagt über Corona und seine Folgen und bringt beides weder mit euch und eurem Verhalten noch mit Gott und seinem Plan in Verbindung. Hat Gott wirklich nichts mit der Pandemie zu tun? Sollte es auf dieser von ihm geschaffenen Welt tatsächlich etwas geben, das nichts mit ihm zu tun hat?
Das Gottesbild der Bibel kann für diese Annahme nicht herhalten. Aber auch die Annahme, Gott habe die Pandemie zur Strafe gesandt, ist mit dem Gottesbild der Bibel nicht vereinbar. Dass die Pandemie ein Weckruf Gottes ist, das allerdings lässt sich mit dem Gottesbild der Bibel vereinen.
Das Streben nach einem Leben, in dem es Einzelnen ohne Rücksicht auf andere immer besser geht und Wohlstand und ein dickes Bankkonto leitend sind, entspricht nicht dem Willen Gottes. So wie die Israeliten den Aufbau des Tempels dem Streben nach einem guten Leben opferten, so wird heute der Gottesdienst – und dabei meine ich nicht nur den Gottesdienst am Sonntagmorgen – vielfach der eigenen Bequemlichkeit geopfert.
„Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit“ – dieses Wort Jesu wiederholt die Botschaft des alttestamentlichen Propheten. Beides ist in diesem Satz enthalten, die Aufforderung zum Gottesdienst und zum Dienst am Nächsten. Wo diese beiden Säulen gelingenden Lebens ins Wanken geraten, da kann Gott auch mit Krisen zur Veränderung mahnen. Die dahinterstehende Absicht ist eine Welt, in der Gerechtigkeit und Liebe wohnen. Ihren Anfang nimmt diese Welt, wo Menschen sich Gott öffnen und von ihm verändern lassen.