2. Oktober 2022
16. Sonntag nach Trinitatis
Aller Augen warten auf dich und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit.
Psalm 145,15
Es war im Frühling. Die Hoffnung keimte auf. Sie blühte auf den Wiesen und sie hatte die Farben gebracht. Gelb leuchtete sie im Rapsfeld. Rosarote Knospen am Baum ließen Äpfel erahnen. Grün drang sie durch den Weizenacker. Die Hoffnung auf eine reiche Ernte. Ein gutes Jahr. Eine erfüllte Sehnsucht. Ein Friedenszeichen. Und Speise zur rechten Zeit. Aller Augen warteten auf dich. Unsere Hoffnung wurde Gebet.
Es war im Sommer. Wie viel wird wachsen? Wird es Regen geben? Nicht zu viel und nicht zu wenig? Werden die Lieferketten halten? Bleibt das Vieh von der Seuche verschont? Ob der Bauer den Diesel noch bezahlen kann? Es wird schon werden, sagt der Volksmund. Muss ja, sagt der Bauer. Die Hoffnung wächst mit. Jedes Jahr wieder. Jetzt ist Herbst. Erntedank. Die Ernte war nicht vorhersehbar, als ich im Frühling durch den Garten ging. Doch schon eine ausreichende Ernte ist eine reiche Ernte. Ich sehe Trauben, Tomaten, Kartoffeln und Mais. Reichtum ist, wenn es für alle reicht. Aber manche Augen warten noch immer. Laut schreit ihre Hoffnung um Hilfe.
Meine Augen haben noch keinen Mangel sehen müssen. Vielleicht nur ein bisschen weniger Überfluss. Eingeschränkte Verfügbarkeit. Meine Augen sind das Warten nicht mehr gewohnt. Sie sehen Erdbeeren im Winter und Melonen im Mai. Auch haben meine Augen das Schiff mit dem Getreide noch nicht ausbleiben sehen. Sie haben nicht sehen müssen, wie die hoffnungsvolle Saat im ausgetrockneten Boden verdorrt.
Meine Augen sind an die Farben der Früchte gewöhnt. Aus meiner Erfahrung ist Vertrauen gewachsen. Durch meine Jahre und Zeiten. Ich lebe aus der Zuversicht des Psalmbeters, ohne dass ich es mir bewusst mache. Gott gibt zur rechten Zeit. Bislang war es nie anders und noch nie war es mein Ver-dienst. Manchmal habe ich mehr, als ich brauche. Mehr, als mir zusteht. Und die Frage keimt auf: Ist das, was mir zu viel gegeben ist, für einen anderen bestimmt? Bin auch ich ein Teil von Gottes Verteilungsplan? So wird die Hoffnung zum Auftrag. Und die Speise kommt vielleicht gerade noch zur rechten Zeit.
9. Oktober 2022
17. Sonntag nach Trinitatis
Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.
1. Johannes 5,4c
Es ist eines der Themen, die der 1. Johannesbrief aus dem Johannesevangelium aufgreift: Die Welt ist überwunden durch unseren Glauben. Das ist kein Auftrag und keine Wegweisung, sondern eine Feststellung. Mit einem gefühlten Doppelpunkt am Schluss. Und zweifellos fühlt es sich gut an, selbst in dieser Aussage verortet zu sein.
Anders als die vorangegangenen zeigt uns das vierte Evangelium Jesus als den Überwinder der Welt. Nicht als den Leidenden am Kreuz, nicht als den verzweifelten, von Gott und der Welt verlassenen Menschen, nicht als den Scheiternden am Ende des Lebens. Und so spricht der Verfasser des Briefes von unserem Sieg über die Welt. Erreicht aus dem Glauben.
Unser Glaube. Was ist das eigentlich? Lässt er sich mit einem besitzanzeigenden Fürwort vereinheitlichen? Auf einen Nenner bringen, abgefasst in Lehrsätzen? Stellt er Bedingungen, nennt er Voraussetzungen? Gewissheiten verbinden uns Christen. Schöpfung, Kreuz, Auferstehung. Doch ist der Ver-such des vereinheitlichten Glaubens nicht gleichzeitig eine Grenzziehung? Mitten hindurch durch unsere Welt? Zerteilt ein solches Wort die Welt?
Es sind Worte wie das vom Sieg unseres Glaubens, die Konfliktpotenzial in sich tragen. Das war zu beobachten in der Diskussion mit dem Islam, als 2015 viele Menschen nach Europa kamen. Da wurde das Wort mitunter zum Wort gegen den anderen Glauben. Und das war zu beobachten in der Debatte zum Umgang mit der Pandemie.
Jesus ist unser Glaube, keine Frage. Nur er gibt dem Wort Sinn. Die Begegnung mit ihm ist uns trotz der Auferstehungsberichte noch vorenthalten. Wir sind noch auf dem Weg zwischen leerem Grab und Gottes Verheißung. Überwindung der Welt hat Johannes den Weg genannt. Glaube. Auf diesem Weg sind wir an Jesu Wegweisung gebunden. Die Wegweisung der Liebe. Und diese Wegweisung schafft es, einen Frieden zu denken, der weiter reicht als nur zwischen uns. Diese Wegweisung schafft es, eine Welt zu erdenken, in der aus Glaubensgrenzen Verbindungen werden. Und womöglich hat sie die Kraft, Krieg, Hunger und Konflikte zu überwinden. Finden wir es heraus! Ich glaube, dazu sind wir in der Welt.
16. Oktober 2022
18. Sonntag nach Trinitatis
Dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt,
dass der auch seinen Bruder liebe.
1. Johannes 4,21
Du heißt Florian. Und du warst Offizier. Sorry, Florian, aber ich habe dich gegoogelt. Das macht man heute so. Du warst der Befehlshaber einer Feuerlöscheinheit in der römischen Armee. Im 3. Jahrhundert war das. Und es ist lange her. Deinen Nachnamen kennt bei uns kaum jemand. Bleiben wir also beim Florian. Und beim Feuer.
Sag mal, Florian, kanntest du ihn eigentlich? Jenen Leitspruch, den ich mal in einem Feuerwehrhaus gelesen habe. „Gott zur Ehr – dem Nächsten zur Wehr.“ Also dieses: Gott ehren mit dem Dienst für den Nächsten. Mit der Abwehr des Unheils für den anderen. Bruder, Schwester, Nachbar, Freund oder Fremder. Ich kann mir gut denken, dass du den Spruch zumindest irgendwie verinnerlicht hattest, als du mit deiner Truppe losgezogen bist. Deine Vita gibt das her.
Ich habe keine Ahnung, wie ihr das damals bewerkstelligt habt, mit der Brandbekämpfung und so. Als du schließlich – dann schon als Pensionär – auch deinen verfolgten Glaubensbrüdern in der Not beigestanden bist, hat man dich gleich mit ihnen hingerichtet. Es war die Zeit, als Christen auch in Europa verfolgt worden sind. Glaubensgeschwister von mir hatten dich später heiliggesprochen. Ja, das ist alles lange her.
Des Nachts fahren sie los. Oder am Sonntag, wenn alles zu Mittag schläft. In ihren Funksprüchen, von denen außer ihnen selbst kaum jemand etwas mit-bekommt, benutzen sie deinen Namen als Kennung. Sie kalkulieren das eigene Risiko, sie wehren ab, was abzuwehren ist, sie leisten Beistand, sie retten, bergen und helfen. Eines heißen Sommers haben sie die Dimension des Wald- und Flächenbrandes kennenlernen müssen. Eines nassen Sommers die Dimension der Flut am Fluss.
Dass hinter ihrem „Gott zur Ehr – dem Nächsten zur Wehr“ das höchste Gebot des christlichen Glaubens steht – zitiert im ersten Johannesbrief –, wissen vermutlich nur wenige von ihnen. Aber sie tun es. Sie handeln da-nach. Danke, ihr Frauen und Männer von der Feuerwehr. Gott segne euch und euren Dienst. Und kommt gesund nach Hause!
23. Oktober 2022
19. Sonntag nach Trinitatis
Heile du mich, Herr, so werde ich heil; hilf du mir,
so ist mir geholfen.
Jeremia 17,14
Das Gebet in Anfechtung. So ist der Abschnitt überschrieben, aus dem der heutige Wochenspruch entnommen ist. Verzweiflung klingt darin an. Keine Tür ist offen. Kein Weg gangbar. Er ist an das Ende der eigenen Kräfte gelangt. An das Ende seiner Möglichkeiten. Nicht zum ersten Mal zweifelt Jeremia, fürchtet sich, hadert mit seinem Auftrag, seinem Geschick. Dabei hatte er nur das getan, was ihm aufgetragen war. Zurückgeworfen ist er jetzt, auf den tiefsten Grund seines Glaubens, der, so scheint es, nichts mehr mit den eigenen Kräften zu tun hat.
Das Gebet in Anfechtung. Heilungsgeschichten werden erzählt an diesem Sonntag. Heiligungsgeschichten. Mose bittet auf dem Wüstenweg für das halsstarrige Volk. Und hört die Verheißung eines Wunders. Vier Mann, vier Ecken – so tragen sie einen Kranken zu Jesus; er ist die letzte Instanz, die noch helfen kann, und notfalls geht es durchs Dach, wenn keine Tür mehr offen ist. Der mir unsagbare Zusammenhang zwischen Krankheit und Sünde wird aufgemacht. Und, ja, bis zur Fürbitte für den Kranken gehe ich den Jakobusbrief mit. Nicht weiter. Welche Schuld sollte der kleine Junge an seiner Krebserkrankung denn haben?
Das Gebet in Anfechtung. Die Not ist groß und der Zweifel auch. Und die Frage wird überlaut: Warum? Warum diese Krankheit? Warum dieses Unglück? Warum der Angriffskrieg und mit ihm noch immer der Brudermord? Und die Frage findet keine Antwort. Auch das ist die Erfahrung unseres Lebens. Nach der Warum-Frage wird Stille sein. So oft. Eine Stille, die die Macht hat, uns tief fallen zu lassen. Entlang am Zweifel, an der Resignation, an der Angst. Dass dennoch Grund ist, ist der Glaube Jeremias.
Hilf du mir, Herr, so ist mir geholfen. Das Gebet, wenn nichts mehr geht. Möge dieser Grund uns allen gelegt sein. Mögen wir uns auf diesen Grund geworfen wissen, wenn Zweifel und Not uns drängen. Sie bleiben nicht aus, wir wissen das alle. Aber mögen wir dann aus unserem Glaubensgrund heraus den Weg sehen. Das gesunde Leben. Die offene Tür. Und in allem Vergebung.
30. Oktober 2022
20. Sonntag nach Trinitatis
Es ist dir gesagt, Mensch, was gut für dich ist und was der Herr von dir fordert; nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.
Micha 6,8
Zeitenwende. Nicht selten ist dieser Begriff in den letzten Monaten und Jahren gebraucht worden. Umdenken, Umbruch, Veränderung, das sind Synonyme für das Wort, mit dem wir ausdrücken, dass es so nicht weiter-geht, wie es bisher ging. Ja, es stimmt: Vieles werden wir verändern müssen. In vielem werden wir eine neue Orientierung brauchen. In manchem werden wir zurückrudern müssen. Gewohntes wird anders werden und es wird Einschnitte geben, soweit ich das einschätzen kann.
Es könnte sein, wir befinden uns in einer Zeitenwende. Man wird das erst nach uns beurteilen können, denke ich. Ich bin kein Prophet wie Micha, der eine Zeitenwende vorhersehen kann. Ich bin kein hellsichtiger Politiker, der aus gesellschaftlichen Tendenzen Veränderungen ableiten kann. Und ich weiß auch nicht viel von Gottes Plan für uns. Ich bin wie du nur ein Mensch, der aus den Wahrnehmungen, die er macht, ein paar Wahrheiten ableitet. Und es ist längst nicht gesagt, dass ich das auch kann. Dass meine Wahrheiten auch für dich gültig sind.
Zeitenwende: Ja, der Planet verlangt danach. Gottes Schöpfung verlangt danach, wir buchstabieren das schon geraume Zeit. Die Temperatur steigt und der Meeresspiegel auch. Gottes Schöpfungswort verlangt nach unserer Demut.
Zeitenwende: Als der Krieg Russlands gegen die Ukraine losgetreten war, lag das Wort in aller Munde. Es meinte ein Umdenken in Fragen der Bewaffnung unseres Kontinentes, meinte Abschreckung als Friedensgarantie, ein Umdenken des alten Begriffes vom Wandel durch Handel.
Jesus hat die Zeiten für uns gewendet. Das ist in aller Veränderung die Konstante für uns. Und insofern will ich unseren heutigen Begriff von der Zeitenwende infrage stellen. Ist es nicht vielmehr so, dass wir zwar zurückgeworfen sind bei dem Versuch, Frieden ohne Waffen zu schaffen, ja dass das Maß der Bewaffnung aktuell ein anderes sein muss.
Aber ist Abrüstung nicht immer noch der Weg, zu dauerhaftem Frieden zurückzufinden? Diese Orientierung hat uns der Prophet gegeben. Lange vor unserer Zeit.