Neulich hab ich aufgeräumt. Sogar in dem alten Schrank, den ich von meiner Mutter geerbt habe. Da fiel mir ein Heftchen in die Hände. Es war mit viel Phantasie gestaltet worden, vor langer Zeit. Ein Poesiealbum aus den 70er Jahren für Mädchen. Für Jungens gab es bestimmt auch irgendso etwas – eventuell in Blau. Neugierig blätterte ich in diesem historischen Dokument. Was hat man mir denn da ins Büchlein geschrieben? Und wen habe ich gebeten, dass er etwas hineinschreiben soll? Spannende Zeitreise!
Ich entdecke meine Patentante. Die weiß etwas vom Mutterherz zu schreiben, das ich achten soll, solange dieses noch schlägt. O.k.! Dann kommt meine Lehrerin mit viel Klugheit: „Glaube nicht, fertig zu lernen, wenn auch die Schulzeit vergeht. Dann erst beginnt die Schule des Leben, die uns mit Strenge zum Menschen erzieht.“ Oha! Das geht ja ganz schön ins harte Leben hinein. Viel davon kann ich mehr lesen. Einen noch! Mein Pastor hat bestimmt was aus der Bibel genommen: „So sieh nun sorgfältig darauf, wie du dein Leben führst, nicht als Unweise, sondern als Weise, und kaufe die Zeit aus.“
Geschickt verändert hat das mein Konfirmations-Pastor. Habe das Heftchen über mindestens zehn Jahre geführt. Heute heißen diese Dinger Freundschaftsbuch oder so ähnlich. In den letzten Jahren wurde ich selten von einem Kind aufgefordert, selbst etwas zu schreiben. Wenn ich es kenne, fällt mir auch was ein. Meist ist es ein Wunsch. Etwas, was ich mitgeben möchte. Aber im Grunde erzähle ich bei der Auswahl des Textes mehr von mir als über das Menschenkind, für das ich schreibe.
Mein Pastor hat mit dem Auskaufen der Zeit sein eigenes Lebensmotto benannt. Er war schon älter und hatte die schrecklichen Jahre das Krieges in den Knochen. Ein liebenswerter Kerl, der mir den Nachsatz erspart hat: „… und kauft die Zeit aus, denn die Tage sind böse.“
Meine Tante, die sich um das Mutterherz mühte, war um ihren Sohn besorgt. Meine Lehrerin wollte mich zum fleißigen Weiterlernen ermutigen. Hat aber die Härte des Lebens selbst sehr gespürt. Jeder und jede Schreibende hat sich selbst zu erkennen gegeben. Das ist so, wenn man jemandem etwas ins Stammbuch schreibt.
Das ist auch selbst dann so, wenn andere Autoren zitiert werden. Klar: Ein bisschen kann man sich hinter großen Namen verstecken. Goethe: Edel sei der Mensch, hilfreich und gut. Im Epheserbrief ist das ähnlich. Da verbergen sich kluge Menschen hinter Paulus und tragen so ihre eigenen Erfahrungen ein. Sie schreiben einen Text, der irgendwie kein Brief ist – aber einer sein soll. Von Paulus. Wenn der schreibt, dann ist es auch richtig. Gegen Ende dieses Textes stehen die Poesiealbum-Verse meines Pastors.
Nicht unweise – sondern weise leben. Ich würde zu gern wissen, welcher Art von Weisheit der Schreiber den Vorzug gibt. Aber er betont diesen Umstand so, dass er wichtig zu sein scheint. Genauso wichtig wie das Auskaufen der Zeit. Nicht ausweichen, nicht wegschauen, sondern wahrnehmen. Der Zeit-punkt ist von Gewicht. Es geht hier um die Wirklichkeit, die wahrgenommen werden muss. Denn das ist sicherlich weise – im Sinne von klug.
Im Monat Oktober des Jahres 2022 ist das ebenso weise wie um 100 nach Christus herum. Die Wirklichkeit können wir uns als Christinnen und Christen nicht schönreden. Denn die Tage sind in der Tat böse und der Krieg klopft laut an die Tür. Der aber kommt ohne Bezug zu einem Gott aus, der als Richter auftritt.
Was aber ist der Mensch, der ohne Regeln und ohne Achtung vor Gott lebt? Er ist ein Egomane, der nur um sich selbst kreist. Ein Aggressor – schlimmstenfalls ein Kriegstreiber. Es ist deutlich, dass Menschen Regeln brauchen, nach denen sie leben. Bei allem Nachdenken über Gesetz und die Freiheit eines Christenmenschen wird klar, dass das gute Gesetz Gottes dem Leben dient. Denn Menschen, die mit Gott rechnen, können verlässlich leben wie im Psalm 1 der Baum, der dasteht. Gepflanzt am Wasser! Verlässlich.
Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen, sondern hat Lust am Gesetz des Herrn und sinnt über seinem Gesetz Tag und Nacht! Der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht.
Ich würde zu gern etwas in die Poesiealben der Mächtigen schreiben: „Ordnet euch einander unter in der Furcht Christi.“ Das wäre mein Satz. Aber ob sie das wohl lesen und verstehen würden? Vielleicht muss ich es kindlicher, leichter sagen: „In allen vier Ecken soll Liebe drin stecken!“ – so gesehen ist das doch wirklich wahr!