Wir kennen den Begriff „Wachstum“ in den letzten Jahrzehnten vor allem als Messlatte aus der Wirtschaft. Was dort für Steuerannahmen sorgen mag, auch für höhere Löhne, für Innovation und „Fortschritt“, hat eine Kehrseite, die wir im Bereich Klima, Naturschutz, aber auch in der Lebensqualität für Einzelne und Familien spüren. Wachstum als Messlatte führt dort zu erhöhtem Druck.
Angesichts der nicht enden wollenden Krise, zudem eines Umzugs und Neuanfangs schreibt unser Redaktionsbeiratsmitglied Anna Peters in dieser Ausgabe zum Wochenspruch Kantate: „Ja, es ging auf und ab. Und es hat gutgetan, dass Lieder da waren, die mir Worte und Klang gaben, in die ich mich reinfallen lassen, die ich mitgrölen konnte. Eine ganze Biographie könnte man anhand wichtiger Lieder schreiben.“
Ich bin mir sicher, die geschätzte Kollegin ist mit ihrem letzten Satz nicht allein: „Eine ganze Biographie könnte man anhand wichtiger Lieder schreiben.“ Und die Liedauswahl wird ‒ wie jede Biographie ‒ gelegentlich ähnlich, aber nie identisch sein.
In unsichersten Zeiten meines eigenen Lebens waren neben dem Liedermacher-Liedgut auch bestimmte Songs aus Rock & Pop wichtig. So zum Beispiel „Let it grow“ von Eric Clapton:
Standing at the crossroads
Trying to read the signs
To tell me which way I should go
To find the answer
And all the time I know
Plant your love and let it grow
Let it grow, let it grow
Let it blossom, let it flow
In the sun, the rain, the snow
Love is lovely, let it grow
Ich steh an der Kreuzung
versuche, die Zeichen zu lesen
die mir sagen, welchen Weg ich
gehen soll, um die Antwort zu finden
und die ganze Zeit weiß ich doch
pflanze deine Liebe und lass sie wachsen
Lass sie wachsen, lass sie wachsen
lass sie blühen, lass sie fließen
bei Sonne, Regen, Schnee
Liebe ist schön, lass sie wachsen
Ich überspielte damals vor 45 Jahren für meine heutige Frau den Song von einer Langspielplatte auf eine Kassette (die gab‘s damals noch). Die Kas-setten „wackeln“ im Ton, die Ehe wächst seit über 40 Jahren.
Plant your love and let it grow - Pflanze deine Liebe und lass sie wachsen …
Das Wachstum der Liebe ist den gleichen „Umwelt“-Bedingungen unterworfen wie das Wachstum einer Pflanze.
Auch die Liebe kennt Jahreszeiten, kennt darin ihren jeweiligen Charme, die jeweilige Spannung und Gefährdung.
Auch die Liebe ist der Witterung ausgesetzt. Wohl ist der „Sonnenschein“ ein Schlagerstar, aber Wind und Regen, Tau und Schnee haben nicht nur für den Betrachtenden ihren jeweils besonderen Reiz.
Und die gesunde Erde ist eine wesentliche Voraussetzung der Liebe, sich zu schützen, zu stärken, Nährstoffe aufzunehmen und in das eigene „System“ einzubauen.
Sie als Leserinnen und Leser haben je eigene Erfahrungen mit dem Lieben und mit dem Geliebt-Werden gemacht. Diese Erfahrungen prägen Sie. Sie gehen damit auf die Kanzel, und Sie stehen damit an Taufsteinen, Gräbern und am Altar.
Gelegentlich müssen Sie selbst achthaben, dass die Zeit-Prioritäten nicht zuungunsten Ihrer Liebe, Ihrer wichtigsten „Beziehungen“ in Schieflage geraten.
Gelegentlich herrscht in Ihrer Liebe ein harter Nord-Ost, dann wieder ein Frühlingsaufbruch. Und Sie versuchen, in diesem Hin und Her das eigene, heilsame Maß nicht zu verlieren.
Und Sie kennen aus dem Evangelium die Gleichwertigkeit der Liebe zum Nächsten und zu sich selbst. In unseren Berufen überbietet die Liebe zum Nächsten oft die Achtsamkeit für und mit sich selbst. Ich habe das in meiner langen Zeit als Gemeindepfarrer immer wieder erlebt. Auch die Liebe zum anderen braucht ein heilsames Maß.
Pflanze deine Liebe und lass sie wachsen …
Wie macht man das? „Ob Liebe Ausschließlichkeit bedeutete oder, wie Kalendersprüche kundtaten, unkrautgleich wucherte, je mehr man davon in die Welt warf. Je länger ich darüber nachdachte, desto schwerer tat ich mich mit der Antwort, die mir zunächst simpel erschienen war – begann man etwa mit der Liebe zu sich selbst, sofern vorhanden, oder dachte man nur an die Liebe zu Eltern oder Kindern oder an die Liebe für Freunde, Heimat, Essen, Orte, einen bestimmten Geruch, die wieder anders war.“ (H. Josten, s. Bau-steine)
Gerne teile ich der Leserschaft mit, dass zum bestehenden Redaktionsbeirat ein Mitglied der wichtigen und immer größer werdenden Anzahl der Prädikantinnen und Prädikanten berufen worden ist. Ich freue mich, dass sich Frau Dr. Heike Henneken, Köln, zur Mitarbeit bereit erklärt hat. Frau Dr. Henneken ist Physikerin, arbeitet im Wissenschaftsmanagement der Universität Köln und ist Presbyterin in der Kirchengemeinde Köln-Lindenthal.
In diesem Monat, den ich unter das Schwerpunktthema „Lieben“ gestellt habe, laden Sie viele Beiträge ein, der gelegten Spur zu folgen. „Und das ist auch gut so“, meinte der frühere Berliner Regierende auf die Frage nach seiner Liebe. Auch unsere Urteile über Liebe und alles, was damit zusammenhängt, wachsen mit unserer Erfahrung und der Offenheit. Ich bin ein großer Fan des Gedankenaustauschs, eben nicht nur in Sachen „Christusbild“ (siehe Oktober 2021) oder „Gerichtsvorstellung“ (kommt im November 2022), sondern eben auch bei so wesentlichen Dingen wie des Liebens und Geliebt-Werdens. Deshalb auch diesmal zwei „Bausteine“ als kostenlose Beilage.
Ich grüße Sie mit einem schon viele Jahre von mir bei und nach Begegnungen, in Büchern und in Briefen gebrauchten Gruß und Dank: „Schön, dass es Sie gibt.“
Gerhard Engelsberger