„Jeder Baum ist ein Gebet, das den Himmel beschwört.“
Diese Worte stammen von der Dichterin Rose Ausländer.
Jeder Baum ist ein Gebet, das den Himmel beschwört.
Und wenn wir wie hier unter diesen majestätischen Bäumen sitzen, spüren wir die große Ausstrahlung, die von ihnen ausgeht. Kein Wunder sind Bäume Bilder für uns Menschen.
Der Baum ist in der Bibel an mehreren Stellen zu finden.
„Gesegnet ist der Mann, der sich auf Gott verlässt. Der ist wie ein Baum, am Wasser gepflanzt.“ (Jeremia 17,8)
Auch als Gabe Gottes wird der Baum erwähnt: Im Paradies steht der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. (1. Mose 2,9)
Und am Ende, im Buch der Offenbarung, wieder ein Baum. Als Aussicht für das himmlische Jerusalem wird dort von einem Baum erzählt, der an einem Strom lebendigen Wassers steht und dessen Blätter die Völker heilen. (Offenbarung 22,2)
Aber auch außerhalb der Bibel werden Bäume hochgeschätzt.
In vielen Religionen der Welt gibt es heilige Baumhaine, Orte, an denen sich Menschen dem göttlichen Geheimnis des Lebens besonders nahe fühlen.
Auf eine weltliche Weise hat der Streit um die sogenannte Aldi-Eiche in Emden vor einigen Jahren uns diese Ehrfurcht vor dem Leben in einem Baum deutlich vor Augen geführt: Doch der Baum musste dem Konsum Platz machen.
Ein Baum kann Menschen trennen: Die einen sehen in ihm ein wunderbares Geschenk der Schöpfung, andere sehen in ihm eine bloße Pflanze, die Platz und Licht wegnimmt und deren Blätter nur gefegt werden müssen: also weg damit!
Weg damit! Das war auch der Wunsch eines Weinbergbesitzers. Er wollte einen Feigenbaum fällen, der keine Frucht bringt:
Lesen: Lukas 13,6–9
Drei Beteiligte hat die Geschichte: einen Baum, einen Gärtner und einen Besitzer. Jeder dieser drei Beteiligten kann uns etwas über uns sagen.
Auf einige Weisen sind auch wir ein Baum.
Vielleicht schon in mittleren Jahren braune Stellen, vielleicht im besten Mannes- /Frauenalter und noch keinen Partner, obwohl wir es uns wünschen.
Oder wir sind alt und knorrig, der Sturm rüttelt an uns, aber der Baum übersteht Jahr um Jahr, manchmal mit Freude am Überleben, manchmal aber auch mit Ächzen und Stöhnen.
Andere sind wie eine japanische Zierkirsche mit mächtigem Blütenkleid im Frühjahr, so berauschend wie kein anderer Baum, aber doch ohne brauchbare Früchte.
Oder wir als Baum tragen so viele Früchte, so viele Aufgaben, die wir meinen erfüllen zu müssen, dass der Baum sich dran kaputt trägt. Und er sehnt sich nach Winter, wenn er nichts mehr muss.
Oder ich habe Früchte, die mag keiner, z. B. ein Apfel, dessen Säure einem in die Zähne fährt, und ich musste mich mal umstellen auf Dinge, die mehr geschätzt werden.
Oder die Zeit ist vorbei, wo ich durchkam mit nettem Gesicht und guten Manieren, so wie die Zierfrüchte, hübsch anzuschauen, aber letztlich mit geringem Wert, weil sie klein und hart sind wie die von Zierapfel oder der Zierquitte und nicht satt machen.
Bei wieder anderen fehlen an ihrem Lebensbaum einige dicke Äste, die hat das Leben abgeschlagen, etwa den Partner, die Kinder, einen Teil der Gesundheit. Aber ich habe immer noch eine neue Mitte gefunden.
Oder vielleicht bin ich ein Baum auf schlechtem Boden, müsste noch mal neu beginnen anderswo.
Wir haben mit Bäumen viel gemeinsam.
„Ein Baum ist eine unerschöpfliche Quelle wunderbarer Erkenntnisse.“ (Yehudi Menuhin)
Aber ich bin nicht nur Baum.
Ich bin auch Gärtner meines Baumes und darf sein Gedeihen mitgestalten.
Die meisten Bäume werden einmal gepflanzt und so gut wie nie gepflegt. Jahr um Jahr werden ihre Früchte geerntet, beinahe selbstverständlich. Doch was tut der Gärtner für den Baum? Meist eher wenig, der Baum wirkt ja auch so robust. Und dann wundert man sich, wenn eines Tages der Baum keine Früchte mehr bringt.
Denn auch ein Baum braucht Pflege: Er sollte beschnitten werden, er sollte gedüngt werden mit gutem Kompost, abgestorbene Äste sollten herausgeschnitten werden. Und ganz gewiefte Gärtner geben ihren Obstbäumen auch noch einen Kalkanstrich.
So braucht auch mein Lebensbaum Pflege: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.
Auch mein Leben braucht meine Liebe durch mich, also lieb dich erst mal selbst, sei dir ein guter Gärtner. Nimm dir Zeit für dich, gestatte dir Liebe und Freiheit, wage Freundschaft. Schaffe dir, schaff deinem Baum Platz zum Atmen und Blühen.
Von einem Gefangenen des KZ Buchenwald wird berichtet, wie er in der Begegnung mit einem Baum diese Liebe zum Leben und zu sich selbst wiederfinden konnte. Es ist ein Wintermorgen im Dezember. Schnee liegt und der 21-jährige Häftling Jorge Semprun schreitet die Allee entlang, die zum KZ hineinführt. Über sich die Weite des blassblauen Himmels, zu sehen ist auch die Rauchfahne des Krematoriums. Da fällt sein Blick auf eine schöne Buche, die einzeln vor dem Wald steht. Er verlässt die Allee, klettert die Böschung hoch, arbeitet sich durch den frisch gefallenen Schnee und berührt den Stamm mit seiner Hand. 36 Jahre später beschreibt er diesen Augenblick so:
„Ich berühre den Baum. Er ist keine Halluzination. Ich bleibe in der Sonne stehen und betrachte selig diesen Baum. Ich habe Lust zu lachen. Das währt nur ein paar Sekunden, aber es kommt mir wie Jahrhunderte vor. Ich lasse mich von der Schönheit des Baumes durchdringen. Von seiner heutigen verschneiten Schönheit. Aber auch von der Gewissheit seiner nahen strahlendgrünen Schönheit, die meinen Tod überleben wird. Das ist das Glück.“ (Jorge Semprun, Was für ein schöner Sonntag, Frankfurt 1981, S. 175)
Dieser Mann sorgt für sich selbst, auch wenn gleich ein SS-Mann kommt und ihn verhört. „Was machst du hier?“, brüllt er ihn an. Und der Häftling antwortet: „Diese Buche, so ein wunderschöner Baum!“ Eine für die Welt des KZ höchst unübliche Antwort!
Doch der Häftling ist der Gärtner seines Lebensbaumes. Er weiß, was ihm guttut, und dies macht er auch.
Gelingt dies auch dir? Gärtner zu sein für dich selbst? Zu wissen, was dir guttut, und dann tatsächlich auch so zu leben?
Und wir sind auch in der Rolle des Besitzers. Wir müssen auch sagen: „So nicht. Jetzt ist damit Schluss. Hau ihn ab.“ Der Besitzer möchte einen Feigenbaum, der trägt. Und will der Baum nicht, muss er Platz machen für einen neuen Baum mit neuer Chance. Gott hat uns die Erde gegeben mit dem Auftrag, dass wir sie bebauen und bewahren. Und dazu gehört auch das Ausreißen von Bäumen.
Vor meinem Arbeitszimmer steht ein Apfelbaum. Seit sechs Jahren versuche ich, seine Ernte zu verbessern. Erst trug er nicht, dann ließ ich ihn beschneiden. Dann trug er Äpfel, aber die waren so sauer, dass man sie immer in der Kiste liegen ließ. Dann veredelte ich ihn mit fachmännischer Unterstützung. Drei Jahre lang. Jedes Jahr ein paar neue Äste. Die Edelreiser sind sehr gut angewachsen und ich freute mich auf bessere Äpfel. Ich gab ihm Kompost und strich auf Wunden Baumharz. Dieses Frühjahr ist der Baum zur Hälfte abgestorben. Einfach vertrocknet.
Nach sechs Jahren wird er jetzt wohl abgesägt. Wir sind nicht nur Baum oder Gärtner, wir sind auch Besitzer und müssen manches beenden.
Gelingt uns dies auch in unserem Leben? Für das Verbessern von Situationen zunächst Geduld und Ideen aufzubringen, doch dann, wenn es nicht mehr geht, die Entschlusskraft aufzubringen, etwas zu beenden? Oder hängen wir in vielen Kompromissen und lassen Bäume in unserem Lebensgarten wachsen, die besser ersetzt werden sollten?
Und doch will ich warnen vor zu schnellem Abschlagen, ob das nun Bäume sind oder anderes in unserem Leben. Wenn es unbedacht geschieht, könnten wir es hinterher bereuen.
Davon erzählt folgende Baumgeschichte: Immer hat es Menschen interessiert, wo der älteste Baum der Erde wächst. Es soll dies eine besondere Kiefersorte, Grannenkiefer, in den Rocky Mountains sein. Ein Student entdeckte in der Nähe eines Gletschers ein besonders knorriges Exemplar, das er auf 4.000 Jahre schätzte, und setzte seinen Holzbohrer an, um eine Probe zu entnehmen. Unglücklicherweise brach sein Bohrgerät entzwei und er beschloss, den Baum zu fällen. Nun erhielt er fatalerweise dazu die Erlaubnis des Forstamts, sägte den Baum ab und zählte 4.844 Jahresringe. So fiel „Prometheus“, diesen Beinamen hatte der Baum von den Menschen erhalten, die ihn kannten, das älteste Lebewesen unseres Planeten.
Eine andere Grannenkiefer mit dem Beinamen „Methusalem“ steht anderswo in der Sierra Nevada und ist etwa 4.700 Jahre alt. Ihr Standort wird als Geheimnis gehütet.
Vor zu schnellem Fällen warnt auch Jesus in seiner Geschichte: Da bittet der Gärtner für den Baum: Gib ihm noch ein Jahr Zeit!
Auch für mich ist um Zeit gebeten, um Frist, um Wichtiges reifen zu lassen. Ich kann noch anders. Ich bin noch im Werden. Der Herr der Zeit lässt mich noch werden, noch mehr ich selbst und einiger mit mir, und andere haben dann auch mehr von mir.
Für diese Chance zum Wachsen erzähle ich noch von zwei letzten Bäumen:
Da wächst auf Helgoland ein Maulbeerbaum. Er hat als 150-jähriger Baum das Totalbombardement der Insel überstanden. Aus einem Stumpf wuchsen nach dem Krieg neue Triebe. Heute erfreuen sich die Touristen im Sommer an dem reichen Blätterdach, welches von sechs Stämmlingen getragen wird.
Bekannter als der Helgoländer Maulbeerbaum ist der Ginko von Hiroshima.
Er stand nur 800 m vom Epizentrum der Atombombenexplosion im August 1945. Der Tempel, an dem er stand, wurde hinweggefegt, sein verkohlter Stumpf blieb als Symbol der Zerstörung stehen. Doch im Frühjahr 1946 trieb er wieder neue Blätter. Das war ein Ereignis nicht nur von botanischem Interesse. Viele Menschen dort nahmen dies als Zeichen. So baute man einen neuen Tempel um den Ginkobaum herum.
Es hatte einer einen Feigenbaum. Er kam und suchte Frucht. Das ist eine Geschichte, die an unsere Wesenswurzeln reicht. Du, ich, ein Baum in Gottes Acker, er das Geheimnis der Welt, will sich in uns erden, will seine Früchte der Liebe vom Baum unseres Lebens ernten. Wir selber sind ja unglücklich, wenn wir mit leeren Händen dastehen, oder mit leerem Kopf, wie blöde, wenn uns nichts Vernünftiges einfällt. Damit geben wir Gott recht, wenn er gute Früchte von uns will.
Ist Gott dir ein guter Gärtner? Gott räumt dir Gelegenheiten die Fülle ein, hat dich reichlich und täglich versorgt, an vielen Übeln vorbeigebracht, durch andere Übel hindurchgebracht.
Und wir Menschen haben auch Glück, wir sind nicht starre Bäume, die irgendwo gepflanzt sind und unbeweglich stehen, sondern wir sind bewegliche Menschen, wir können dem Gärtner entgegengehen.
Wir können umkehren und neu leben lernen wollen.
Wir können uns richten nach dem sanften starken Ruf, mich jetzt eines Besseren zu besinnen, jetzt mehr ein liebender Mensch zu werden, ab jetzt mehr hinfühlen, mehr mir klar werden wollen, was ich tue, getan habe und angetan habe.
Ich bin da, um Frucht zu bringen, dass ich und andere das Leben für keine Strafe halten, sondern es genießen können, hier zu sein, auf dieser schönen Erde.
Noch ist es Zeit für gute Früchte.
Und wenn wir diese Früchte suchen und hervorbringen, so lässt uns dies dem Licht Gottes weiter entgegenwachsen.
So wie ein Baum dem Licht entgegenwächst.