Lass ihn stolpern …,

Rudolf Otto Wiemer hat ein Gebet geschrieben für einen Übelgelaunten. Es ist mehr noch ein Stoßseufzer. Wahrscheinlich hat er entsprechende Erfahrungen gemacht. Rudolf Otto Wiemer sagt zu Gott in seiner Bitte für den Übelgelaunten:

„Stell ihm ein Kind in den Weg,
das mit dem Schäufelchen
Sand durch ein Sieb wirft,
oder zwei Jungen,
die mit der Blechbüchse Fußball spielen,
oder die alte Krull mit dem Rheuma,
oder Kleinknecht, den Rentner, der gern Späße erzählt,
oder befiehl dem Gelähmten im Rollstuhl, ihm zu begegnen,
führ ihn vorbei am Städtischen Krankenhaus,
zuletzt auf den Friedhof,
Gott, dass unterm Hügel die Toten ihn anschrein,
und wenn alles umsonst ist,
lass ihn stolpern, Gott,
wenigstens stolpern,
und lass ihn, den Tropf, damit er klug wird,
endlich mal auf die Nase fallen.“
(Die Chance der Bärenraupe, Ausgewählte Gedichte, S. 110)

Das muss schon ganz früh angefangen haben. Luther hat ja noch gelacht, erdig und herzhaft. 22 Jahrhunderte nach dem Osterlachen meint die übergroße Mehrheit, Christen erkenne man am ernsten Blick. Man hält uns für die notorischen Spielverderber, Moralisten, Nörgler, Schwarzkittel und Miesmacher. Freut sich mal einer so richtig – uns fällt gleich was ein, dass ihm die Freude vergeht. Nicht an den Lachfalten erkennt man uns Christen, eher an jenem griesgrämigspießigverständigen Einheitsblick, der die Aufgeweckten unter den Zeitgenossen in die Flucht treibt und die Trauernden, Klagenden zum Schweigen bringt.
Dabei muss das damals doch ganz anders gewesen sein. Bei der Hochzeit in Kanaa, bei der Heilung von so vielen. Oder als Petrus baden ging und der kurzbeinige Zachäus knallroten Kopfes vom Baum kletterte. Ich höre das Lachen am Berg noch wie von nebenan, als Tausende satt wurden von wenigen Broten und Fischen. Und ich sehe vor mir den Gelähmten, der sein Bett schultert und durch die Menge nach Hause geht. Ich höre die Engel jubeln in Bethlehem und den Blinden vor Freude schreien. Frohe Botschaft, gute Nachricht: Selig seid ihr, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen.
Und so setzt sich voller Freude und Staunen die Osterbotschaft – an Pfingsten vervielfältigt auf göttlich-drahtlose Weise – fort aus dem kleinen Israel in die große Welt.

Ich weiß, manchmal erstickt einem das Lachen im Hals. Bleibt einfach stecken und findet keinen Weg ins Freie. Ich kann die Sorgen und Ängste, den Tod und den Hunger, die Kriege und ihre Vorbereitung, die Pandemie und ihre Folgen nicht einfach weglachen. Aber es ist ein Unterschied zwischen Trauer und nötigem Ernst einerseits und Krampf andererseits. Unverkrampftes Christsein, das wünsche ich mir. Kein falsches Buckeln, kein geheucheltes Mitleid, keine schwarzen Mäntel über buntkarierten Hemden.
Viele sind doch nur noch in der Lage, Witze zu machen. Die armen Tröpfe machen Witze, immer neue und immer blödere, bloß, weil sie nichts zu lachen haben. Das muss doch traurig sein, andere Menschen nur noch zum Lachen zu bringen, wenn man Witze über Sex, Nonnen und Türken macht. Ich stelle mir vor, wie stumpfsinnig das sein muss, immer nur Witze mit halbnackten Frauen zu zeichnen. Lacht doch eh niemand mehr drüber. Und die Krämpfe hinter diesen Witzseiten sind eher zum Heulen.
Da lobe ich mir den „Witz“, den Johannes Rau und Konrad Adenauer an den Tag legten. Als Rau nach einer der üblichen politischen Mammutsitzungen nach ihrem Verlauf gefragt wurde, sagte er den Journalisten: „Lest Apostelgeschichte 19,32!“ Eine rasch organisierte Bibel gab Auskunft über die politische Versammlung. An der von Rau genannten Bibelstelle steht nämlich: „Etliche schrien so, etliche anders, und die Versammlung war in Verwirrung, und die meisten wussten nicht, warum sie zusammengekommen waren.“
Ja, und Adenauer, schon weit in den 80ern, soll seinem Arzt, der anlässlich einer schweren Erkältung des Kanzlers meinte, er könne eben kein Wunder tun und ihn jünger machen – Adenauer erwiderte: „Das ist auch gar nicht nötig, Hauptsache, sie machen mich älter.“
Lachen ist gesund, jedenfalls gesünder als manches Medikament. Freude ist eine Gottesgabe. „Seid allezeit fröhlich“, schreibt Paulus nach Korinth. Er wird gewusst haben, warum. Ich sage mir einfach: Die Vorstufe zum Lachen ist Freude. Lachen ohne Freude ist billig, geht auf Kosten anderer. Knapp 20-mal kommt das Wort „Lachen“ in der ganzen Bibel vor. Über 600-mal „Freude“ und „sich freuen“. Das hat schon seinen Grund. Auf einer freundlichen Ansichtskarte, die mich erreichte, lese ich folgende Seligpreisung des Humors:

„Selig jene, die über sich selbst lachen können, sie werden sich nie langweilen.
Selig jene, die einen Berg von einem Maulwurfshügel unterscheiden können, ihnen werden viele Verdrießlichkeiten erspart bleiben.
Selig jene, die schauen, wohin sie ihren Fuß setzen, sie werden nur selten auf einer Bananenschale ausrutschen.
Selig jene, die ausruhen und schlafen können, ohne nach Ausflüchten zu suchen, sie werden weise werden.
Selig jene, die schweigen können, sie werden viel Neues lernen.
Selig jene, die klug genug sind, sich nicht ernst zu nehmen, ihre Mitmenschen werden sie schätzen.
Selig die, die denken, bevor sie handeln, und beten, bevor sie denken, denn sie werden eine Menge Dummheiten vermeiden.“
(Petit sens de Jésus; aus: Christkönigsbund Franziskanerkloster Miltenberg)

Und – tragen Sie es bitte mit Humor – leider ist uns beim 1. Sonntag nach Trinitatis ein Fehler unterlaufen: Die Kurzpredigt nahm als biblischen Text die Perikope, die der 4. Perikopenreihe entstammt. In der Kürze der Zeit war das Missverständnis nicht mehr zu korrigieren.
Damit der Tränenfluss und der geschwollene Hals angesichts der leider nie zu vermeidenden Fehler nicht zu heftig werden, gibt es ab dieser Ausgabe in den PASTORALBLÄTTERN eine oder mehrere Cartoon-Zulagen der großartigen und weithin bekannten Künstlerin Dorothea Layer-Stahl aus Winnenden, mit der den Unterzeichner die Musik, das Staunen und der Humor in Freundschaft verbinden.

Gerhard Engelsberger

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