Eigentlich war die große Sommerausgabe der PASTORALBLÄTTER ganz auf die Themen Natur und Klima ausgerichtet. Mit Wucht hat der kleine Vorsitzende aus Moskau unsere Pläne zerdeppert, ukrainische Städte und Dörfer plattgewalzt, sehr viele Menschen aller Altersgruppen töten lassen. Das war nicht anders im Tschetschenien-Krieg, das war nicht anders im Krieg Assads. Großny, die Hauptstadt Tschetscheniens, war 2009 plattgemacht. Aleppo war 2016 eine Wüste. Mariupol ist es heute. Putin wird – ich schreibe diese Zeilen am 10. März 2022 – tote Erde zurücklassen, eine Wüste in Europa.
Anlässlich der Expo 2000 hatte ich die Ehre, das Libretto zu einem „Oratorium der Weltreligionen von Krzystof Meyer für Chor, Solisten und Orchester zu Texten von Gerhard Engelsberger“ zu schreiben. Es wurde im September 2000 mehrmals in der St. Michaeliskirche Hildesheim aufgeführt.
Für den 8. Satz mit dem Thema „Erkenntnis“ hatte ich u. a. geschrieben:
„Unter unsern Schritten stöhnt das Moos,
klagt der Halm und die Felder liegen schwach.
Müde bricht der Ast und der Strom fließt atemlos.
Hagelsturm durchschlägt ein junges Dach.
Unter unsern Blicken schmilzt das Eis,
glüht der Berg und die Wälder brennen weit.
Gierig greift die Hand und sie fragt nicht nach dem Preis.
Aschenschnee fällt schweigend auf die Zeit.
Unter unserm Wissen weicht der Stein,
frisst sich Fragenflut durch jeden Rest von Scham.
Wüsten tragen schwarz und die Wolken leiden Pein,
Schöpfung hinter Gittern, stumm und lahm.“
Das ist nun 22 Jahre her. Wir hatten uns mit Mühe und Not, mir großartiger Leistung der Pflegenden, Ärzte etc. durch Corona durchgekämpft und nach der Bundestagswahl unseren Blick wieder stärker auf die katastrophalen Folgen der menschgemachten Erderwärmung gerichtet, uns auf Verzicht, Transformierung und eine globale Maximalherausforderung eingestellt, da gefiel es dem kleinen Vorsitzenden in Moskau – mir fällt nichts Besseres ein –, ein Nachbarland zu überfallen und das dortige Brudervolk von Neonazis und drogensüchtigen Faschisten so nachhaltig zu befreien, dass bis heute (s. o.) über 2,5 Millionen des Brudervolkes, insbesondere Kinder und Frauen der Ukraine, in den Westen geflohen sind, wobei die UNO mit über 5 Millionen Flüchtlingen rechnet. (Übrigens sind von den 2,5 Millionen Flüchtenden gerade mal 900 – in Worten: neunhundert – in das mit Putin verstrickte, geknebelte Weißrussland „geflohen“.)
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass auch im 21. Jahrhundert Verträge nicht das Papier wert sind, auf das man sie einst geschrieben hat, dass in der „heilen Welt“ Europa, in dem allein klimabedingt in den kommenden Jahrzehnten Millionen Ausgehungerte und Verwüstete Zuflucht suchen werden, Völkerrecht gebrochen und Zivilbevölkerung niedergemacht wird – der kleine Vorsitzende aus Moskau hat es uns gezeigt. Und nun schwenken wir um auf kalten oder lauwarmen Krieg, auf Aufrüstung und einiges mehr. Und hatten doch gedacht, das hätten wir eigentlich hinter uns. – Christa Wolf nennt Kassandras „Gegenspieler“ Achill immer nur „das Vieh“. Daran erinnere ich mich, wenn ich die Opfer sehe und in die Augen von Frauen und Kindern schaue.
Durch die martialische Wucht Russlands sind viele „Räder“ in Unwucht geraten. Spreche ich mit Verantwortlichen aus der Industrie, dann höre ich, dass das notwendige Gefüge, das ihnen Planung und Weitsicht erst möglich macht, schon nach Corona „aus den Fugen“ geraten ist: „Wir stolpern von einer Krise in die nächste, sind nur noch Krisenmanager.“
Höre und sehe ich vom „Spiel“ mit Atomreaktoren und der prophylaktischen Drohung mit Bio-Waffen, dann kommen mir die Wochen nach Tschernobyl in den Sinn, als die Kinder nicht mehr auf dem Rasen spielen durften, ganze Landstriche verseucht waren.
Ja, und die Seelen liegen nun blank. Die Unwucht trifft Kleine und Große, Natur und Mensch, Leib und Seele.
Es ist in solchen Krisenzeiten schwierig, eine Monatszeitschrift anzubieten, ihre Beiträge zu organisieren, die ganzen Prozesse zu leiten. So sind fast alle Beiträge dieser Ausgabe der PASTORALBLÄTTER ohne Kenntnis des Ukraine-Krieges geschrieben. Wenn alles aus den Fugen gerät, gelten wohl immer noch die Perikopentexte, bestehen Gottesdienste immer noch aus Klage und Lob, aus Dank und Fürbitte, aus Lied und Predigt – doch die jeweilige aktuelle Situation der Krise prägt Predigen und Hören, Liedauswahl und Gebetsformulierungen.
Als absehbar war, dass Russland kein „Blitzkrieg“ gelingt, hat der Verlag auf meine Anregung hin wieder eine neue Seite „Aktuell“ aufgemacht. Dort fanden sich ab dem 11. März Friedensgebete der verschiedensten Art, die leicht an die konkrete Situation und die Bedürfnisse vor Ort angepasst werden können. Das ist unsere einzige Möglichkeit, in diesem speziellen Sinn „aktuell“ zu sein.
Diese Sommerausgabe verlässt Mitte März meinen Rechner und Schreibtisch. Sie erhalten sie Ende Mai/Anfang Juni. Die Beiträge gelten für Juli und August.
Gebe Gott, dass dann von Frieden, vom Händereichen und Brückenbauen die Rede ist.
Wir bitten für aller Völker in mörderischen Kriegen,
für alle Flüchtenden, für die Kinder der Welt:
„Lass Recht aufblühen, wo Unrecht umgeht.
Mach die Gefangnen der Willkür frei.
Lass deine Kirche mit Jesus wachen
und Menschen wirken, dass Friede sei.“
(Jürgen Henkys)
Und noch eine Erinnerung, die wir uns jeden Tag sagen sollten:
„Gott ist nicht in den Starken mächtig.“ (Kurt Marti)
(Wegen des großen Umfangs der „Sommernummer“ erscheinen Buchtipp und Neuerscheinungen erst im September.)
Gerhard Engelsberger