Der Monatsspruch im Dezember 2023

Meine Augen haben deinen Heiland gesehen, das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern.

Lukas 2,30–31

Es ist noch nicht lange her, da kam eine junge Frau mit ihrem gerade eben zwei Monate alten Kind, einem Jungen, in eine größere Gruppe von Seniorinnen und Senioren. Sie kannte diese alten und betagten Menschen. Friedlich und dem Einschlafen nahe ruht der Junge im Tragebeutel an der Brust der Mutter, während sie von Tisch zu Tisch geht und ihren Nachwuchs vorstellt. Als der Kleine ganz eingeschlafen ist, baumeln seine Arme und Beine völlig entspannt und schlaksig im Beutel und am Körper seiner Mutter. Er hat die Kontrolle völlig abgegeben. Jetzt in den Wagen gelegt, wird er den Aussagen seiner Mutter entsprechend nach aller Voraussicht 2–3 Stunde seelenruhig schlafen, sozusagen „die Ruhe weghaben“.
Die alten und betagten Menschen können sich nicht satt sehen an dem kleinen jungen Erdenmenschen. Was wohl in ihren Köpfen vorgeht? Viele von ihnen haben selbst eigene Kinder zur Welt gebracht. Ob sie in diesem Moment an das Zur-Welt-Bringen ihrer eigenen Kinder dachten? An die Enkel? Urenkel?

Simon sieht die Jugend, die Zukunft. Das, was er nicht mehr hat, aber einmal hatte. Und er freut sich an dem, was er da sieht! Es ist ja nicht sein eigenes Kind. Aber in dem Kind sieht er Heil verkörpert, sagt Lukas. Er kann sich daran freuen, dass es eine Zukunft geben wird, die er nicht mehr mit eigenen Augen erleben wird, aber es leuchtet ihm etwas entgegen. Was eigentlich? Der Anfang, der Beginn, der Zauber der Neuanfangs, wie Hesse in seinem berühmten Gedicht „Stufen“ einmal schrieb: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben“.

Ich gehe mehrmals wöchentlich in verschiedenen Alters- und Pflegeheimen ein und aus, halte Gottesdienste, Andachten, mache Besuche. Und es ist spannend zu erfahren und wahrzunehmen, wie unterschiedlich alte und betagte Menschen reagieren, wenn wir auf die Zukunft zu sprechen kommen. Zukunft gibt es für viele gar nicht mehr. Zumindest ihre eigene persönliche Zukunft gibt es nicht. Das lässt viele resignieren. Darum igeln sich manche verständlicherweise ein in ihrer kleinen Welt, die immer kleiner und kleiner wird.

Für den greisen Simeon dagegen tut sich auf einmal nochmals eine ganz neue Welt auf. Er blickt in das Gesicht eines Menschenkindes, weiß um seine Eltern, die blutjunge Mutter, die vor ihm steht, ihm vielleicht ihre seltsame Geburtsgeschichte erzählte. Und er spürt – die Welt, die er bald verlassen muss, ist nicht verloren. Es ist eine unfriedliche ungerechte Welt, Kriege stehen im Raum, Mächtige regieren, die vom Thron gestürzt werden sollten. Und doch setzt er in dieses junge Menschenkind seine ganze Zukunftshoffnung.

Dieses Kind wird vieles anders machen als seine Eltern, Vorfahren und Zeitgenossinnen und Zeitgenossen im Glauben. Das Religionsangebot, das sie machen, wird das Kind später nicht mehr befriedigen. Es wird auch religiös neue Wege gehen, und Simon hat keine Angst, dass Gott darin nicht mehr vorkommt. Im Gegenteil. Er spürt, Gott ist so nahe bei diesem Kind, wie er einem menschlichen Wesen nur sein kann. Gott ist die Zukunft. Gott ist Anfang und hilft zu leben. Er hilf jeder Generation zu leben. Lassen wir also jede junge Generation spüren, dass wir Alten mit ihnen gehen, mit ihnen sind. All unsere Zukunftshoffnung in sie legen und unser Vertrauen. Das gilt für die Generation dieses Neugeborenen des Jahres 2023, dieser jungen Frau in ihrer Seniorengruppe, das gilt für die Generation X, Y und Z, und das gilt in meinen Augen auch für diese sogenannte „Letzte Generation“, welche oft in Misskredit gerät, um ihrer radikalen Aussagen und unpopulären Methoden willen, mit denen sie auf sich aufmerksam macht.

Sie haben Zukunftsangst. Menschen wie Simon könnten ihnen helfen, ihre Zukunftsangst zu überwinden und stattdessen, vertrauensvoll, leidenschaftlich bewegt, mutig, aber auch nüchtern, überlegt und sachlich die Zukunftsfragen anzugehen. Erzählen wir ihnen von heilvollen adventlichen Neuanfängen aus unserer Glaubensgeschichte, und dass wir für zukünftige Neuanfänge sie als junge Generation(en) brauchen.

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