Ein kurzer Advent

Als ob es dem Kirchenjahr nicht schnell genug ginge mit der Geburt und dem kommenden Heil und dem vollen Licht. Gebrochenes Licht ist für Fotografen interessant, nicht für den, der einen Weg sucht.
„Advent ist im Dezember.“ Ja, dieses Jahr stimmt es. Der 4. Advent fällt gar mit Hlg. Abend zusammen. Der 1. Sonntag nach dem Christfest mit dem Altjahrsabend. Alles gerafft.
Als ob das alte Bild neue Farben bekäme: Changierend, wechselnd, Regenbogenfarben. Paul Gerhardt lädt uns zu bescheidenerem – sicherlich auch existentiell erfahrbarerem Wenden der Zeit ein – vielleicht wäre EG 58 in diesem Jahr ein bedächtigeres Adventslied:

Nun lasst uns gehen und treten mit Singen und mit Beten
zum Herrn, der unserm Leben bis hierher Kraft gegeben.
Wir gehen dahin und wandern von einem Jahr zum andern,
wir leben und gedeihen vom alten bis zum neuen
durch so viel Angst und Plagen, durch Zittern und durch Zagen,
durch Krieg und große Schrecken, die alle Welt bedecken.

Ja, es war und bleibt (!) ein unseliges Jahr. Zigtausende sind gestorben durch einen Krieg, der niemand die Freiheit schenkte und keinem Gerechtigkeit bescherte.
Die Fluchtbewegungen nehmen zu: Mehr als 100 Millionen Menschen sind laut UNO auf der Flucht; Tausende sterben. Die Zustände in den Flüchtlingslagern der EU und hinter ihren Grenzen bleiben ein Dauerthema. Im Niger hat sich im Sommer die Lage katastrophal zugespitzt. In Syrien herrscht noch Gewalt, besonders gegen die Kurden. Putin und Chi teilen sich Afrika auf wie weiland British Oil und Shell. „Diamantenfieber“ ist längst kein Film mehr. Niger und Sudan sind Schauplätze nie gedrehter Thriller. Die Toten stehen nach dem Dreh nicht mehr auf und kassieren die Gage.

Die rechtsextreme AFD macht Punkte. Gegen die früh in eigenen Auseinandersetzungen ermüdete „Ampel“ setzt sie die „Festung Europa“. Als ob dieser echt dumme Slogan je der Sache gerecht geworden wäre:

Hunger hat noch immer vertrieben.
Krieg hat noch immer vertrieben.
Diktatur hat noch immer vertrieben.
Unrecht hat noch immer vertrieben.
Elend hat noch immer ins Ausland geführt.
Die Routen gingen mal nordwärts, mal südwärts, mal westwärts. Eben so, wie es der Regen, die Weiden und das einigermaßen geordnete Leben verheißen haben.
Maria und Joseph gingen in den Süden, weil ein Herrscher (Herodes) Kind und Eltern drohte.
Amos trat gegen die Korruption der Richter und Priester und die Ausbeutung der Landbevölkerung durch den Königshof und die Oberschicht von Samaria auf und flieht in den Süden.
Mose flieht, Abraham flieht, Jakob flieht vor Esau … „Israel“ wird verödet, „Jerusalem“ zerstört. Es folgt ein Menschenleben lang Exil an den Wassern von Babylon.
Es ist ein Elend: Die Bibel ist über weite Strecken eine Fluchtgeschichte. Die Bibel ist „echt“.

Hatte man noch im vergangenen Jahrhundert mit archäologischen Funden beweisen wollen, dass die „Bibel recht hat“ – die Wahrheit muss man heute nicht mehr ausgraben. Sie geschieht vor unser aller Augen.
Es ist keine Zeit mehr für Paul Gerhardts bedächtiges „Singen und Beten“ angesichts der Fluchtbewegungen. Haben wir uns in vergangenen Jahren in Gottes gesegnetem Land gewähnt – wir im Südwesten, in dem ich lebe, besonders trotz Ahrflut und Missernten – , so schwindet dies „Gefühle“ recht schnell, wenn der Regen kommt oder das Feuer …

Wo Flucht angesagt ist, ist der Advent kurz.
Die Helferinnen und Helder brauchen schnell Decken, Zelte und Nahrung.
Das Diakonische Werk – gelegentlich auch an seine Grenzen gekommen – bittet in immer kürzeren Abständen um Hilfe und Spenden.
BROT FÜR DIE WELT stellt jedes Jahr eine großartige informative Liste all der bezuschussungswürdigen Orte und Initiativen zusammen – es reicht nicht.
Wir kommen zu spät.
Die Hilf ist zu klein.
Die Zeit ist zu kurz.

Die vermaledeite „Festung Europa“ dieser rechtsextremen AFD hat nicht nur nichts begriffen aus der Geschichte. Auch die vielen Deutschen, die solchen Parolen folgen wie damals …, haben nichts verstanden.
Wer die Enkel und Urenkel retten will, muss Tore öffnen, nicht schließen.
Wer Frieden will, muss Grenzen öffnen.
Wer eigenes Leben schützen will, muss teilen.
Wer die Brände löschen und die Fluten dämmen will, muss verzichten.
Ein kurzer Advent.
Es bleibt nicht viel Zeit, denn „Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt. Darum, welcher Baum nicht gute Früchte bringet, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.“ (Matth 3,10)

Mein adventlich/weihnachtlicher Segenswunsch schließt sie alle ein:
Segen über die Dörfer und die Städte.
Segen über die die Länder und Meere.
Segen über die Bäume, die Flüsse, die Meere – dass sie uns nicht heimzahlen, was wir an ihnen verbrochen haben.
Segen über die Felder, die noch Früchte tragen und über die, sie ernten.
Segen über Tanne, Kiefer, Olive, Weinstock, Lorbeer und Mistel.
Segen über die Menschen auf der Flucht.
Segen über die Menschen mit einer Heimat
Segen über die Menschen, die den Fliehenden nachjagen.
Segen über die Menschen, deren Heimat bedroht ist.
Segen über die Kinder und die, die nach ihnen trachten.
Segen über die Grenzen und die, die fliehen.
Segen über die Schätze und die, die sie rauben.
Segen über die, die mit offenen Händen bitten
und die, die mit gefalteten Händen beten.
Segen über Mitmenschen und Ohnemenschen.
Segen über die Krippenspiele und alle Gebete.
Segen über meine und deine Bitten.
Segen über deinen und meinen Dank.
Segen dir und mir.
Möge der Segen Gottes wirken,
Verkehrtes wenden und Verfeindete versöhnen.

Übrigens: Man könnte als Friedenszeichen das ukrainische Weihnachtslied „Schtschedryk“ in einem Gottesdienst einspielen. Es gibt im Internet sehr schöne Aufnahmen. Die Übersetzung des Liedes finden Sie in den Bausteinen.
Ihnen allen gesegnete Wochen, gelingende Pläne und lieben Dank für Ihre Treue zu den PASTORALBLÄTTERN.

Gerhard Engelsberger

Anzeige: Ich bin, wie Gott mich schuf von Sabine Estner und Claudia Heuermann

Die Pastoralblätter im Abo

Gottesdienste komplett und fundiert vorbereiten.

Zum Kennenlernen: 2 Ausgaben gratis

Jetzt testen