Was kann uns scheiden von der Liebe Christi?
Römer 8,35 (E)
Auf diese Frage fällt uns vieles ein. Zu vieles. Wie alle vor uns suchen wir nach Gewissheit, wollen unser Leben eingeordnet wissen in einen Rahmen, in ein Zuhause. Und doch: Der Himmel ist leer, ein sprachloser, unendlicher Raum. Kein Haus, das uns birgt, kein Ziel, das sich lohnt. Die Erde wird zu klein für die Vielen, zu heißes Pflaster, ein sinkendes Schiff. Die Zukunft ist nur eine Frage der Zeit, nicht eine Frage nach Gott. Gelassenheit verkommt dazu, dass ich mich in mein Schicksal füge, nicht dass ich mich in einen Gott berge. Hoffnung wird zum Wunsch, es möge sich nichts ändern. Das hat uns der Krieg gegen die Ukraine nicht weniger gezeigt wie die weltweit noch viel dramatischeren Folgen der Klimakatastrophe. Paulus zählt auf, was Christen wie er damals leiden und befürchten. Ihre Angst ist real, sie werden verfolgt, haben Hunger, sind bedroht durch Waffen und durch die, die über sie verfügen. Sie sind bedroht von dunklen, mythischen Mächten, die man in der Antike oft zwischen Himmel und Erde vermutet. Menschen sind bedroht damals in Rom, nicht anders heute. Überall legt sich die Macht der Mächtigen wie eine Last auf die, die ihnen im Weg stehen.
Wir müssten darüber reden, auf welcher Seite wir nun stehen: Auf der Seite derer, die verfolgen oder derer, die verfolgt werden. Aber zuerst muss diese Zumutung noch einmal deutlich werden: Nichts kann die Kinder Gottes trennen von der Liebe Christi, von der Liebe Gottes in Christus (v. 39). Wenn wir Christen sind, haben wir ein Zuhause, das wir uns nicht selbst bauen müssen. Keine Schwäche, keine Fremde und keine Krankheit, auch nicht der Tod kann uns das nehmen, was Gott uns in Christus geschenkt hat. Ein Leben lang und über unser Leben hinaus können wir ernten, was wir nicht gesät haben. Die Zeugen der Bibel muten uns den Glauben zu, dass der lebendige Christus „im Regiment ist“, wie es die Alten sagten. Hier. Mitten im Elend, im Ausland, in der Fremde. Und das ist nun nicht nur ein Problem des Verstandes, sondern ein Problem auch der leeren Mägen, der verseuchten Gewässer, der müden Ehen und der sprachlosen Erzieher. So weit weg scheinen die guten Bilder der Bibel, dass sie nur noch vertrösten auf ein besseres Jenseits. So nah ist die Macht der Verlogenheit und so greifbar ihr Erfolg. Weil unsre Hoffnungen zerbrochen werden, verrechnet in Cent und Euro, deshalb hören wir so oft, man könne sich für den Glauben schließlich nichts kaufen. Anstatt Hoffnung das Nachrechnen, wann es wieder zu einem Urlaub reicht. Anstatt Arbeit Geldverdienen, anstatt Freundschaft gemeinsame Freizeitgestaltung und anstatt Begegnen Termine abhaken. So oft lebt der Mensch nicht aus Hoffnung, sondern aus der Tiefkühltruhe.
Und Paulus lädt nun die Christen in Rom und anderswo leidenschaftlich ein zum Ausstieg aus dem Töten und Getötet-Werden, aus Weinen und Zum-Weinen-Bringen, aus Belasten und Erdrückt-Werden. Wir Christen haben das Mitmachen nicht nötig. Da ist nicht ein Fleck und nicht ein Problem auf dieser Erde, in dem etwa Jesus Christus nicht Herr ist. Wir Christen können der Welt den Weg zeigen, wie sie wieder zu ihrem Gott findet, wie sie den Zusammenhalt findet und den Sinn. Wie sie dem Scherbenhaufen kreativ neue Gestalt geben kann. Es gibt keine Scherben und keine Bruchstücke, deren Heiland und Gott Jesus Christus nicht wäre. Am Ende des 2. Jahrhunderts erhält ein Mann namens Diognet, einen Brief, in dem beschrieben wird, was Christen sind. Er liest dort: „Christen nämlich sind weder durch Heimat noch durch Sprache noch durch Sitten von den übrigen Menschen unterschieden. … sie bewohnen weder irgendwo eigene Städte noch verwenden sie eine abweichende Sprache noch führen sie ein abgesondertes Leben … Sie heiraten wie alle und zeugen Kinder … Missachtet werden sie und in der Verachtung gerühmt; verlästert werden sie und doch für gerecht befunden … Was im Leib die Seele ist, das sind in der Menschheit die Christen … An einen solchen erhabenen Platz hat Gott sie selbst versetzt, den zu verlassen ihnen nicht zusteht.“ (Möller, Gemeindeaufbau, Bd. 2, S. 147f)
Um nicht missverstanden zu werden: Wir sind nicht die Elite, wir sind nichts Besseres. Es geht um Jesus Christus. Was sollen wir denn erzählen, wenn nicht von ihm? Wie sollen wir denn leben, wenn nicht nach seinen Regeln? Wir sind befreit von der Angst, der leere Himmel, die übervölkerte Erde, die trostlose Zukunft könnte alles gewesen sein. Dazu hat uns Christus befreit, dass wir jedem Zerbrochenen sagen: Das ist und das war nicht alles. Vielleicht sind wir im 21. Jahrhundert gefordert, Trümmerfrauen und Trümmermänner zu sein, dem Scherbenhaufen in Liebe eine neue Gestalt zu geben. Das traut uns die Liebe Christi zu: Einer herzlosen Zeit ein Herz zu geben; einer berechnenden Welt Zärtlichkeit zu verordnen; verwundete Seelen zu heilen. Doch bei allem bleibt wesentlich: Dass wir so leben, dass daran, wie wir leben, keiner mehr zerbricht.