Den Himmel erden – die Erde himmeln? – Gedanken über Herrlichkeit und Herzlichkeit,

Gefragt, was von beidem ich lieber sehen würde, fiele die Wahl sofort auf das Zweite: „Die Erde himmeln“. Das Erste hat Gott selbst gemacht. Wobei dann nur die astro-theologische Frage bleibt: Warum gerade die Erde? Und warum eigentlich ein Mensch? (Wobei ich nicht verhehlen will, dass es in Joh 1,14 nicht heißt: „Das Wort ward Mensch.“ Sondern: „Das Wort ward Fleisch.“ Vielleicht in einem kosmischen Verständnis besser „Geschöpf“?) Wir können Gott nicht „behausen“, selbst nicht in den größten Kathedralen und den Domen am Rhein entlang. Wir können Gott allenfalls „beherbergen“, einladen und uns einladen lassen, wie es Hanns Dieter Hüsch „im Übrigen“ zwischen Himmel und Erde so grandios gelungen ist. (Das kleine Buch zwischen Himmel und Erde, Düsseldorf 2000) Wir können Gott nicht an die Erde binden, diese die Sonne – eine unter gut 300 Milliarden von Sonnen – umkreisende kosmische Winzigkeit mit einem Durchmesser von knapp 13.000 Kilometern und ihrer bescheidenen Masse von 6 Trilliarden Tonnen. Der Himmel weitet sich.

Schon 1974 textete Wilhelm Willms und komponierte Peter Janssens: „Der Himmel geht über allen auf, auf alle über, über allen auf. Der Himmel geht über allen auf, auf alle über, über allen auf.“ Sie kannten die Bilder des Hubble-Teleskops nicht. Das HST wurde am 24. April 1990 mit der Space-Shuttle-Mission STS- 31 gestartet und am nächsten Tag aus dem Frachtraum der Discovery ausgesetzt. Sie konnten das ELT in Chile noch nicht kennen (2004), erst recht nicht das James-Webb-Weltraumteleskop (JWST), das uns Irdischen seit Weihnachten 2021 (25.12.2021) Blicke in den Himmel ermöglichte, die uns Unfassbares zeigen. Strecken Sie einen Arm aus, legen Sie ein Sandkorn in die Hand. Diesen Ausschnitt etwa erfasst das JWST und erkennt allein in dieser Winzigkeit um die Tausend Galaxien. Rechnen Sie das Sandkorn hoch auf die ganze Weite des Himmels, und Sie erahnen, was ich meine, wenn ich sagen: „Der Himmel weitet sich.“ Der Himmel weitet sich auch räumlich/zeitlich, dehnt sich aus, weil eine unbekannte Energie die Galaxien voneinander „wegschiebt“, und gelegentlich – das würden wir mit der Schwerkraft verstehen können – verschmilzt. Das Tempo der IT-gestützten Innovationen ist ebenso atemberaubend wie der „Fortschritt“ der technisch möglichen Annäherung an den „Urknall“. Überall im Universum entsteht andauernd neuer Raum. Deshalb hat man den Eindruck, andere Galaxien würden sich von uns wegbewegen.

Auf der wissenschaftlichen Suche nach unserer „Herkunft“ nähert sich die Menschheit in minimalen Trippelschritten, meist eher „Standpunkten“, dem „Urknall“ vor etwa 13,8 Milliarden Jahren. Wer weiß? In dem Wissenschaftsmagazin „Spektrum der Wissenschaft“ schreibt der Redakteur in der Nr. 2/22, Mike Zeitz: „Freilich werden die Rätsel nie ausgehen. Schließlich zeigt sich zuverlässig bei relativ überschaubaren Himmelskörpern, dass ein genauerer Blick stets weitere Fragen aufwirft. Doch seit Jahrzehnten waren die Chancen nie so gut, die ganz großen Mysterien unserer Zeit aufzuklären. Mal schauen, welche neuen sich dann am erweiterten Horizont auftun.“ (S. 3) Noch ist die entscheidende Frage nach der „dunklen Materie“ offen. Vermutlich wird sie das noch lange bleiben. „Gott“ steckt jedenfalls nicht in diesem „Dunkel“. Schon immer wollten Menschen Gott anbinden. So wie manche „Geehrte“ eine Anstecknadel tragen oder die Generäle aller Länder eine Vielzahl von Orden. Menschen wollen Gott begreifen, wollen einen handlichen Gott, einen „Ansteck-Gott“. Sie bauen ihm Altäre, sie bauen ihm Kirchen, sie läuten mit Glocken, laden ein mit Posaunen und sagen: „Da schau hin, da ist Gott.“ Eltern sagen zu Kindern, wenn sie an Kirchen vorbeigehen: „Da wohnt Gott.“ Doch Gott will sich nicht einrichten hinter Mauern, sondern in Herzen. Gott schenkt und braucht Weite, Sonnen und den ganzen Schmuck der Schöpfung. Erst am Pfingstfest beginnen die Jünger, den Verlust zu überwinden. Ihre Heimat, Jesus, ist weg. Christi Himmelfahrt war für sie ein Verlust-Fest. Er war ihnen Weg, Wahrheit und Leben. War ihr Meister, ihr Haus und ihr Halt. Selbst seine Auferstehung befreite sie nicht von der Angst. Verloren starrten sie zuerst in ein leeres Grab, dann zum Himmel. Doch Himmel ist kein Ort, sondern eine Erfahrung. Himmel ist überall, wo Gott ist. Nicht umgekehrt.

Es dauerte, bis man den Himmel nicht mehr oben und Gott nicht mehr in einem prunkvollen Haus suchte. Sondern im Vorläufigen, im Unfertigen. In der Zärtlichkeit zweier Liebender vor und in der Ehe. In der Musik eines Träumers am Keyboard, an der Mundharmonika oder am Schlagzeug. Im farbenfrohen Bild eines psychisch Kranken. In der Nachbarschaftshilfe, in der Schuldnerberatung, in der Altenpflege. In immer neuen Anläufen zu mehr Nähe und Verständnis zwischen den Konfessionen. In der mutigen öffentlichen Rede. In deiner und meiner Hand, wenn sie nicht zur Faust geballt, sondern offen ist. Ihr seid ein Tempel Gottes. (1. Kor 3,16) Du bist ein Ort Gottes. (Jörg Zink) Gott ist nicht Beton und Sandstein geworden. Er ist „Fleisch“ geworden. Fleisch lebt, leidet, bebt, braucht, hat, schreit, singt, krümmt sich, birgt, sättigt, friert, lacht, irrt, sucht, ruht, meint, weiß, weiß nicht, plant, verkümmert, freut sich, spielt, staunt – ja, vielleicht ist uns Gott da am nächsten. Wenn Gott staunt. Die Weite ist sein Spielraum, die Unendlichkeit sein Horizont, die Quarks offenbaren seine Größe und unser Universum seinen Vorgarten. (Auch hier gilt, dass die längst überhole „maskuline Form“ nur ein hilfloses sprachliches Übergangs-Konstrukt ist, bis wir besser wissen oder uns äußern können.) Der „himmlischen Herrlichkeit“ entspricht notwendig die „irdische Herzlichkeit“. In allem, was Gott weit macht, ist Christus gegenwärtig. In allem, was das Herz weitet, den Blick und den Horizont weitet, den Mut weitet, die Angst mindert, die Schritte freier, den Gang aufrechter und die Augen froher macht. Das ist dann kein Haus mehr, eher eine Spielwiese. Gott hat sich an Christi Himmelfahrt nicht aus dem Staub gemacht. Er schenkt uns seinen Geist. Wir sind ein Ort Gottes. Nun zeigt das den anderen. Lebt so, dass man das spürt am Arbeitsplatz, im Gebet, im Gottesdienst – oder wo immer euch Gott als Christinnen und Christen hinstellt und braucht.

Gerhard Engelsberger

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