Jesus Christus spricht: Wer sagt denn ihr, dass ich sei?
Matthäus 16,6
„Wer bin ich?“ Mit diesen Worten überschreibt Dietrich Bonhoeffer eines seiner Gedichte, die er im Gefängnis geschrieben hat. In diesem Gedicht ringt er mit den Sichtweisen, die die Menschen in seiner Umgebung auf ihn haben. Die ihn als stark und unbeugsam erleben in einer Situation, in der so viel Verzweiflung und Todesangst herrschen. Er selber staunt darüber, dass er, der sich selber wie ein zitternder Vogel fühlt, auf andere so überlegen wirkt. Und weiß nicht recht, ob ihm diese Zuschreibung von außen nun hilft oder eher noch mehr verunsichert.
Eigen- und Fremdwahrnehmung – sie sind selten deckungsgleich. Das wusste nicht nur Dietrich Bonhoeffer. Das kennen die meisten von uns aus dem eigenen Leben. Was andere über uns denken und sagen, trifft in unserer eigenen Wahrnehmung oft weit an dem vorbei, wie wir uns selber sehen. Klar, dazu tragen wir selber bei. Weil wir meinen, bestimmten Erwartungen gerecht werden zu müssen. Oder weil viele Situationen einfach nicht dafür geeignet scheinen, uns so zu zeigen, wie wir wirklich sind. Tatsächlich ist es nicht überall ratsam, unsere verletzlichen Seiten zu zeigen. Und doch merken wir, dass es uns nicht guttut, wenn wir zu viel von dem verbergen, was auch zu uns gehört. Letztlich besteht unser ganzes Leben darin, unsere eigene Identität zu finden. Die sich doch immer wieder verändert. Und das im seltensten Falle kontinuierlich und linienförmig. Manchmal sind es Ereignisse, die uns vor Herausforderungen stellen, in denen wir ganz neue Seiten an uns entdecken. Oder endlich zulassen können. Wenn wir auch einmal schwach sein dürfen, wo wir sonst als zupackend erlebt werden. Oder genau umgekehrt. Wenn wir anderen zeigen können: Da steckt noch viel mehr in mir, als was du vermutet hast. Gut, dass wir nicht bleiben müssen, wer und wie wir sind. „Wer bin ich?“
Diese Frage hat auch Jesus umgetrieben. Auch er musste sein Selbstbild immer wieder hinterfragen. So beispielsweise durch die Begegnung mit der kanaanäischen Frau im Kapitel 15 des Matthäusevangeliums. Die ihn erkennen lässt, dass er nicht nur für die Angehörigen des jüdischen Volkes da ist, sondern für alle Menschen. Petrus gibt ihm auf die Frage: „Wer sagt ihr denn, dass ich sei?“ eine umwerfende Antwort: „Du bist Christus, der von Gott gesandte Retter, der Sohn des lebendigen Gottes!“ Diese Erkenntnis des Petrus hält Jesus für göttlich inspiriert. Gleichzeitig spürt er, dass sie ihn das Leben kosten wird. Einige Verse später spricht Jesus das erste Mal von seinem bevorstehenden Tod. Aber diese feste Verankerung in Gott, von der Petrus spricht, lässt ihn diesen Weg gehen.
Und so stellt ja auch Dietrich Bonhoeffer am Ende seines Gedichtes fest: „Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!“
Manchmal freuen wir uns darüber, wie andere Menschen uns sehen. Manchmal erschrecken wir, wenn wir hinter die eigene Fassade schauen. Manchmal stellen wir fest, dass wir so viele Seiten in uns tragen, die wir vernachlässigt haben. Und vielleicht trauern wir auch Möglichkeiten hinterher, die wir nicht ergriffen haben, um uns noch in ganz andere Richtungen zu entfalten. Ja, wer wir auch sind, wir hätten auch ganz andere werden können. Ein Vertrauen möge uns immer wieder ermutigen und auch mit manchem versöhnen: „Wer ich auch bin, du kennst mich, dein bin ich, o Gott!“