„Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt.“
2. Petrus 3,13
Da könnt ihr lange warten, sagt der Spötter, der auch in mir wohnt. Der „gebildete Verächter“ (Schleiermacher) religiösen Denkens. Es sind genau diese Sätze, die Karl Marx dazu brachten, Religion als „Opium für das Volk“ zu bezeichnen. Als Droge, die die schmerzende und schmerzhafte Härte der Wirklichkeit von Leben in einen betäubend-beruhigenden Nebel einhüllt. Falsch! Es sind nicht diese Sätze an sich, es ist vielmehr ihre Verwendung als Droge, die die Religion in Misskredit gebracht hat.
Aber – wie solche Sätze anders lesen? Wie sie so verwenden, dass sie in dunklen Zeiten nähren? Wahrscheinlich spielt der Monatsspruch aus dem 2. Petrusbrief auf Tritojesaja an und dessen Visionen über die Rückkehr des Volkes Israel nach Jerusalem: „Siehe, meine Knechte werden jubeln von Herzenslust, ihr aber werdet schreien vor Herzeleid und heulen vor Verzweiflung …. Denn siehe, ich schaffe einen neuen Himmel und eine neue Erde. Und das Frühere wird man nicht mehr denken, und es wird nicht mehr in den Sinn kommen“ (Jesaja 65,14.17). Das Problem dieses Gedankens ist der Ausschluss des „Anderen“, des „Fremden“, des in den eigenen Augen Anders-Gläubigen. Solange er selbst und das, was er repräsentiert, unannehmbar ist, gibt es keine „ausgleichende“ Gerechtigkeit. Gerechtigkeit lässt sich nur realisieren, wenn der Andere, der dem Eigenen Fremde, in seinem Anders-Sein respektiert wird. Da, wo Gerechtigkeit wohnt, entsteht Raum. Raum für jeden Menschen, mehr noch, für jedes Lebewesen, in seiner eigenen Art und Bestimmung gemäß zu leben. Gerechtigkeit hat also nur sehr eingeschränkt mit Gleichheit zu tun. Ja – alle Menschen sind gleich, in dem Sinne, dass alle Menschen ein Recht darauf haben, so zu leben, wie es ihnen entspricht. Mit dem entscheidenden Zusatz: Die „Eigenart“ und „Eigenartigkeit“ meines Nächsten zu respektieren anstatt sie ihm aus der Hand zu schlagen. Insbesondere die drei großen monotheistischen Religionen stehen in der Gefahr, ihr eigenes Glaubensbekenntnis absolut zu setzen. Diese Absolutsetzung kann man daran erkennen, dass es etwas gibt, das „ausgeschieden“ wird. Zum Beispiel die gegenwärtige Jahreslosung: „Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen“ (2. Korinther 16, 14).
Ein schöner Gedanke. Sechs Verse weiter schreibt derselbe Paulus: „Wenn jemand den Herrn nicht lieb hat, der sei verflucht.“ (Vers 22) Ein hässlicher Gedanke.
Dieser eklatante Widerspruch ist nur möglich, wenn man davon ausgeht, dass es im Denken des Paulus einen „Graben“ gibt, der für den Denker, also für Paulus selbst, nicht überwindbar ist. Dieser Graben untergräbt sein Denken: So leuchtet auf der einen Seite die Liebe – so regiert auf der anderen Seite der Hass.
Der „neue Himmel“ und die „neue Erde“ sind Bilder für ein Denken, das sich diesen Gräben nicht zur Verfügung stellt. In diesem neuen Denken werden Brücken gebaut: von den Gläubigen zu den Anders-Gläubigen, von den Gläubigen zu den Nicht-Gläubigen, von mir zu meinem Nächsten, der für mich immer der Andere ist.
Ein wesentlicher Baustoff für diese Brücken ist die Idee der Gerechtigkeit. Es ist die Idee, dass jeder das „Seine“ bekommt. Wenn dies geschieht, wenn wirklich Gerechtigkeit in die Häuser von uns Menschen einzieht und bei uns wohnt, dann gibt es keinen Grund mehr für Streit und Krieg. Es sei denn, das Leben als solches, die Realität von Werden und Vergehen wird als „ungerecht“ empfunden. „Warum bekomme ausgerechnet ich Krebs?“ „Warum muss ich das erleben, dabei habe ich mir doch nichts Zuschulden kommen lassen?“ Ist das nicht „ungerecht“?
Nein – ist es nicht. Wir nennen es Schicksal.
Die Fähigkeit, zu meinem eigenen Schicksal, zu dem, was mir „geschickt“ wird, „Ja!“ zu sagen, relativiert augenblicklich meinen Hass und entzieht meiner Empörung den Nährboden. An deren Stelle tritt ein nachdenkliches: „Was habe ich in alledem gerade zu erleben?“ In diesem Geschehen verwandelt sich der „allmächtige Gott“ in den „barmherzigen Gott“. Und dann gibt es nichts und niemand mehr, was zu verfluchen wäre.