Joachim Ernst Behrendt, dem ich vieles verdanke, vor allem das „Hören“ und „Horchen“, war mir ein großartiger Lehrer in der Einübung der Stille. Er hat mir die Ohren geöffnet und die Angst genommen. Er lebt leider nicht mehr.
Ich hatte schon viel von ihm gelesen und gehört. Und dann lernte ich ihn bei einem Geburtstag von Jörg Zink kennen gelernt. Wir kamen ins Gespräch. Ich sagte: „Ich habe bei Ihnen mehr gelernt als in den vielen Jahren des Theologiestudiums.“ Er war eher erschrocken als erfreut. Ich sagte ihm, was ich gelernt hatte: das Hören.
Die Welt ist Klang, sagt er. Und weiß, dass das Gehör ein viel sensibleres Organ ist als das Auge. Und das Auge geht nach außen, das Gehör geht nach innen. Vom Ohr ins Herz.
Ich habe Obertongesang gelernt, geübt ohne Lehrer, nur für mich in der Einsamkeit. Und habe Tränen des Glücks geweint, als ich – wie ein Geschenk – mich plötzlich zwei-, dreistimmig singen hörte. Der gregorianische Gesang fußt auf dieser erlebten Erfahrung. Was die Sufis im Islam erleben, die Derwische, die Chassidim im Judentum, die Mönche in den Klöstern Tibets – es ist Klang von einer unbeschreiblichen Schönheit. Und das Überraschende: Es kommt aus mir, es klingt in mir. Ich bin Klang.
Und alle Architekten der Kirchen verstanden davon etwas. Hatten nicht nur ein Gespür für Schönheit und Raum und Form. Sie hatten auch ein Gespür für Klang.
Das Loblied des Lebens schlägt den Bogen vom Lied des Mose nach der Durchquerung des Meeres bis zum Lied des Lammes in der Offenbarung des Johannes, nimmt die Lieder aller Mütter und Väter, aller Generationen auf. Das Lied der Engel vor Bethlehem und das Lied der Elenden und Sterbenden in den Lagern. Die Lieder, die die Bauern im Kraichgau sangen im Reformationsjahrhundert, als sie mit Stangen und Dreschflegeln auszogen um eines Geringen der Freiheit willen, die wir heute genießen, und das Lied der Krankenschwester, der Besucherin oder des Besuchers am Bett einer Schwerkranken im Hospiz.
Lassen Sie sich nicht irremachen. Ich weiß, dass das Leben, vor allem im Alter, oft genug auch getrennt von denen, die man einmal liebte und mit denen man alles teilte, – ich weiß, dass das Leben manchmal Anlass zur Klage gibt. Jesus nimmt das ganz ernst.
Und er sagt: Es gibt eine Verwandlung von Klage in Freude.
Es gibt eine Verwandlung, die nicht mehr gefährdet ist und nicht mehr rückgängig gemacht wird. Das Ende der Fragen.
Deshalb meine Bitte: Greifen Sie mit Ihrem Loben und Danken nicht zu kurz. Mein Loblied muss sozusagen hinüberklingen in diese Welt, die schon einen Schritt weiter ist. Darf nicht steckenbleiben in dieser Welt. Wenn mein Lied von dort reflektiert wird, wieder zurückkommt, dann wird es diese Welt hier auch zum Guten verändern und nicht zuletzt mich selbst wiederaufrichten.
Eure Lieder müssen groß genug sein, um auch Gott einzuschließen, und weit genug, um auch die Ewigkeit zu umfassen.
Auch wenn ich dann wieder loslassen muss. Aber ich habe doch hin und wieder gespürt, wie es ist, wenn es mir vor Freude die Sprache verschlägt und der Klang mich erfüllt.
Das große Gedicht und Gebet von Dietrich Bonhoeffer öffnet die Ohren, weitet den Blick, öffnet die Herzen. Er schrieb es am 19. Dezember 1944 aus einem Gestapo-Gefängnis in einem Brief an seine Verlobte Maria von Wedemeyer. (D. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, München 1970, S. 435 f.)
Eben deshalb dürfen wir es „innig“ hören und singen. Längst hat Siegfried Fietz die Version von Alfred Abel (EG 65) beim Song-Parameter überholt. Manche mögen das bedauern. Abel nähert sich dem Gedicht eher zurückhaltend, vorsichtig, behutsam. Ich mag das. Auch wenn die Gemeinden – nicht nur bei Hochzeiten – anders entschieden haben. Der 6/8-Takt ist doch eher „positiv“! Auch wenn es mit Sicherheit nicht Bonhoeffers „Takt“ war. Abel schreibt in vier Vierteln. Positiv ja. Nein, kein Marschtakt nach 45. Aber nicht im 6/8-Takt. Nicht so, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer beim ZDF-Fernsehgarten oder anderen – mir „fremden“ Samstagabendshows wieder auf die 1 und die 3 klatschen könnten. Grausam für einen Menschen wie mich. Was wiederum nichts gegen Siegfried Fietz sagt. Ach, die Parameter sind mir jetzt egal. Lieber eine ganze Seite Dietrich Bonhoeffer. Er hat den Klang gehört. Andere machen nur Unterhaltung.
Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, – so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr;
noch will das alte unsre Herzen quälen noch drückt uns böser Tage schwere Last, Ach Herr, gib unsern aufgescheuchten Seelen das Heil, für das Du uns geschaffen hast.
Und reichst Du uns den schweren Kelch, den bittern, des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus Deiner guten und geliebten Hand.
Doch willst Du uns noch einmal Freude schenken an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz, dann woll‘n wir des Vergangenen gedenken, und dann gehört Dir unser Leben ganz.
Laß warm und hell die Kerzen heute flammen die Du in unsre Dunkelheit gebracht, führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen! Wir wissen es, Dein Licht scheint in der Nacht.
Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet, so laß uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet, all Deiner Kinder hohen Lobgesang.
Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiß an jedem neuen Tag.
Dietrich war doch einer von uns!
Warum hat sich seine Kirche in eine selbstgewählte „babylonische Gefangenschaft“ begeben, streicht alles zusammen, was „rot“ ist und hat eine schlechtere Presse als … Nein, ich ziehe keine Vergleiche! Das Elend muss doch ein Ende haben!
Als hätten unsere Vormütter- und Väter nicht den Dreißigjährigen Krieg durchstanden, die Gegenreformation, die Hexenverbrennungen und die Nazis?
Mensch, Ostern war! Warum machen wir uns so klein wie Schokoladeneier vom Rhein-Bogen in Basel? Kein Maulwurf würde sich so zieren!
Mensch, wir sind die Kirche Martin Luthers, Philipp Melanchthons, Martin Niemöllers, Jörg Zinks und Margot Käßmanns!
Und? War da nicht einer von uns auferstanden aus allem Tod?
Mensch! Heb‘ deinen Hintern! Steh auf!
Gerhard Engelsberger