Niemand beneidet Obdachlose. Jeder ist froh und dankbar, wenn er ein Dach über dem Kopf hat, sich sein kleines oder größeres Zuhause gemütlich einrichtete und dort als single, oder mit (s)einer Frau, eventuell sogar mit einem, zwei oder mehreren Kindern glücklich und zufrieden lebt. Klingt schön und gut. Ideal. Doch wir alle wissen – und so sagt es eine alte Redewendung: „Unter jedem Dach ein Ach.“
Von Gutem und Schönem, aber auch von Ach und Weh erzählte Jesus einmal. Äußerst knapp und aufs Wesentlichste konzentriert, beginnt seine Geschichte so: „Ein Mensch hatte zwei Söhne.“ Heutzutage wäre da natürlich auch von der Frau des Hauses die Rede. Und wie zufrieden, glücklich und erfolgreich sie zusammen waren. Wie im Paradies. Aber da tat sich ein Riss auf. Einer schert aus. Der jüngere der beiden Söhne „sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir zusteht.“ Er will raus. Weg. Weit weg – „in ein fernes Land.“
Dabei zeigt sich ein Erstes: Freiheit. Der Vater gibt seinem Sohn seinen Erbteil und lässt ihn ziehen. Er versucht nicht, ihn zum Bleiben zu bewegen, ihn zu überreden, diskutiert nicht mit ihm. Er wendet auch keinen Zwang an.
Ich ziehe diese Linie nach hinten und nach vorne aus: Weil bei Gott Freiheit ist, wurden Adam und Eva im Paradies auch alle Freiheiten gegeben. Sie durften von allen Früchten der Bäume im Garten essen – außer von einer Frucht. So auch wir: Sie, du und ich, sind zur Freiheit geschaffen. Zwar ist unsere Freiheit nicht grenzenlos. Aber ganz vorne und das Erste ist die Freiheit und die vielen Möglichkeiten, die das Leben bietet.
Da dieses Gleichnis Jesu sehr bekannt ist, vielleicht sogar das bekannteste, brauchen wir seinen Fortgang nicht bis ins Einzelne verfolgen. Ich möchte dagegen in einem zweiten Punkt die eben begonnene Linie verstärken. Wieder zuerst nach hinten: weil Gott, der Schöpfer, seine Geschöpfe liebte, suchte er nach dem sogenannten Sündenfall im Garten Eden nach ihnen und fragte sie (Gen 3,9).
Und wiederum nach vorne gedacht: Wie ist es bei uns? So direkt ist ja Gott nicht zu vernehmen. Aber doch vielleicht so: Da redet ein Prediger oder schreibt ein Autor oder etwas komisches, etwas völlig Unerwartetes passiert, bricht in unser Leben ein. Auch Rufe des Schicksals können ins Nachdenken führen. Ein weiteres Sprichwort: „Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung.“ Macht man sich auf dem Weg zum Vater, so muss man nicht perfekt sein.
„Da ging er in sich“, erzählte Jesus von dem Sohn in der Ferne. Mitten in der Krise, im Mist seines Lebens beginnt er in seinem Inneren das Gespräch mit dem Vater. Das bedeutete für ihn die Wende „Er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater und es jammerte ihn, und er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn.“
Das nun ist das Dritte, etwas völlig Unerwartetes. Der sogenannte verlorene Sohn wird nämlich erwartet. Der Vater sah ihn schon von Weitem. Und macht dann etwas, was kein Orientale von Rang und Namen jemals tun würde: er eilt ihm entgegen, umarmt und küsst ihn, wie einen geliebten, lange erwarteten Menschen. Kein Wort der Kritik, kein Verhör, kein Vorwurf, keine Moralpredigt, sondern: Liebe pur – weit mehr als man jemals auch nur erhoffen könnte. Denn – so Martin Luther in seiner bildreichen Sprache: „Gott ist ein glühender Backofen voller Liebe, der da von der Erde bis an den Himmel reicht.“
Zum Schluss kurz noch etwas Viertes, jedoch sehr, sehr Wichtiges. Stand am Anfang die Freiheit, so steht am Ende die Freude und das Fest. Ein echtes happy end also. „Lasst uns essen und fröhlich sein!“ Dazu fordert der Vater auf. Gott freut sich über die Rückkehr des Verlorenen! Und alle dürfen und sollen sich mitfreuen, mitfeiern, singen und tanzen.
Der Vater will wirklich alle bei dem Fest dabeihaben, auch den älteren, sehr kritischen und unzufriedenen Sohn. So „ging er hinaus und bat ihn“ (in einem längeren Gespräch) und sagte: „Du solltest auch fröhlich und guten Mutes sein.“ Ob der ältere Sohn sich einladen ließ? Wir wissen es nicht. Jesus beendete sein Gleichnis nämlich so offen. So offen, wie auch unsere persönliche Lebensgeschichte ist.