Gelungenes Leben in einer anspruchsvollen Situation

18. Sonntag nach Trinitatis, 1. Petrus 4, 7-11

Wenn das Leben schwierig wird, dann fragt man sich, wie man es führen soll. Man geht auf die Suche nach einer Lebenskunst. Es geht heute genau darum, um die Frage, wie man ein gelungenes Leben in einer anspruchsvollen Situation lebt.
Unsere Situation, so erklären uns viele Medien und Wissenschaftler, ist geprägt von einer Polykrise. Viele Krisen gleichzeitig erschüttern unser Leben und Weltbild. Routinierte Antworten helfen zum Teil nicht mehr, gute Muster, nach denen man handelt, lösen das anstehende Problem nicht. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine z. B. hat viele Menschen in Deutschland dazu gebracht, militärische Gewalt neu zu bewerten als Mittel des Schutzes und als Mittel, dem Aggressor Einhalt zu gebieten.

Manchmal hat auch das individuelle Leben seine eigenen Polykrisen. Vielleicht haben Sie selbst gerade eine solche Situation vor sich, die Sie nicht mehr mit den gewohnten Mitteln behandeln können.
Die Krisen, die die Christinnen und Christen am Ende des ersten Jahrhunderts bewältigen müssen, die sind auch nicht gerade klein. Sie sind eine Minderheit, die anders lebt. Sie sind nicht bereit, den Kaiserkult mitzumachen, die staatlichen, überschwänglichen, religiösen Partys lehnen sie ab. Das bringt sie unter Beobachtung, ob sie Staatsfeinde sind. Das wiederum macht den Christinnen und Christen damals Sorge und handfeste Angst.

Wir leben nicht unter einer solchen staatlichen Beobachtung, aber es gibt manches, was beunruhigend ist oder Angst macht. Der Bibeltext für heute, der erste Petrusbrief empfiehlt in einer solchen Situation eine christliche Lebenskunst, und zwar Folgende:

Lesung 1. Petrus 4,7–1 (NGÜ)

„Die Zeit, wo alles an sein Ziel kommt, ist nahe,“ ist die Basis für alle weiteren Empfehlungen. Es gibt eine Zeit, auf die hin das Leben ausgerichtet ist, wo es sein Ziel oder auch sein Ende findet. Es gibt eine Zeit, wo alles in Gottes Wirklichkeit übergeht. Wo die Hingabe mehr zählt als die Herrschaft, die Liebe stärker ist als der Tod, die Würde jedes lebendigen Wesens größer ist als sein Erfolg.
Dort habt ihr, auf die der Name Christus gelegt ist, euer eigentliches Zuhause, während ihr jetzt auf eurer Lebensreise seid. Während ihr manchmal zielstrebig wandert, gelegentlich stolpert, vielleicht manchmal auch nicht wisst: Was ist jetzt der richtige Weg? Wie soll ich jetzt entscheiden?
Ausgerichtet sein auf die Zeit, wo Gott das Leben ans Ziel führt. Das ist die Basis, auf der die christliche Lebenskunst ruht.
Wenn das Leben stolpert, dann braucht man einen Moment, um wieder richtig zu stehen, sich zu orientieren. Dann funktioniert die Routine des Laufens nicht sofort wieder. Man muss die Situation, den Weg neu einschätzen.

„Seid daher wachsam und besonnen und lasst euch durch nichts vom Gebet abhalten.“
Es braucht eine Haltung der Achtsamkeit und des Nachdenkens über das, was weise ist. Letztens sagte ein Kollege zu mir: „Es ist gut, wenn man jemanden hat, der einem wohlwollend, aber klar sagt, was nicht gut funktioniert. Ich habe da eine Person im Vorstand, die mir das so sagt. Meistens hat er recht. Und fast immer habe ich über das, was er sieht, vorher nicht nachgedacht.“
Nachdenken, Achtsam-Sein und Beten: Alles drei sind Empfehlungen, die uns aus dem unmittelbaren Erleben herausziehen. Sie unterbrechen den Sog der schnellen Handlungen und lassen mich eine positive Distanz finden gegenüber dem, was gerade passiert, was ich vielleicht routiniert machen würde. Sie geben ein Pausenzeichen. Vor großen Entscheidungen empfiehlt der Volksmund, eine Nacht darüber zu schlafen. Einmal darüber beten, ist die Empfehlung hier. Beten. Sich einmal wieder beheimaten in dem Zuhause bei Gott, wo die Zeit ans Ziel kommt. Sein himmlisches Zuhause spüren in der Hingabe, der Liebe und in der Würde, die Gott zuspricht. Sich ausrichten auf Gottes Ziel und aus der Perspektive der Hoffnung nachdenken und handeln.
Regelmäßig zu beten, dafür im Tagesablauf eine klare Zeit zu haben. Morgens vor dem Frühstück ein Bibelwort, ein Gebet, abends eine Zeit zurückzuschauen und ein Vaterunser. Das stärkt, um sich in Gott zu beheimaten. Wenn es zur Routine wird, wird auch das Nachdenken und Innehalten selbstverständlich.

Das ist die erste Empfehlung. Jetzt kommt die zweite Empfehlung für eine christliche Lebenskunst.
Das Telefon klingelt bei der Hauswirtschafterin, als die Tagesschau läuft. „Wir wollten fragen, ob wir vielleicht bei Ihnen noch irgendwo in einem Tagungsraum übernachten dürfen,“ fragt eine junge Stimme. Es sind 15 Schülerinnen und Schüler aus Berlin auf dem Weg nach Amsterdam. Sie haben kaum Geld. Das Ganze ist ein Projekt: Wie kommen wir durch mit 200 Euro für uns alle? Die Hauswirtschafterin unseres Tagungshauses seufzt. „Na, klar“, antwortet sie. Steht auf, fährt zum Tagungshaus, öffnet die Tür. Die Junge Leute eilen ins Bad. „Hattet ihr denn schon was zu essen?“ „Nein“. Sie geht in die Küche, bald zieht der Duft von Bratkartoffeln durchs Haus. „Ich konnte die jungen Leute doch nicht hungrig ins Bett gehen lassen,“ sagt sie später. Die Jugendlichen erzählen von ihrem Projekt, von ihren Erlebnissen und fallen dann müde auf ihre Isomatten in den Tagungsräumen. Morgens gibt es noch ein Frühstück von der Hauswirtschafterin. Als Danke wird sie von einigen gedrückt und erhält ein Klingelkonzert zum Abschied, als die junge Leute abfahren. Sie räumt das Frühstück, putzt Bäder und Tagungsräume, bevor die nächsten zahlenden Gäste kommen.

„Liebt einander“, ist die nächste Empfehlung für eine gelingende christliche Lebenskunst. Und konkret wird das mit dem Lieben so: „Seid gastfreundlich ohne zu murren.“ Warum gerade gastfreundlich sein, habe ich mich gefragt. Sicher, bedrohte Christinnen und Christen aufzunehmen in der Situation damals, war sicher schon ein guter Grund. Mir scheint darin aber noch etwas Tieferes zu liegen. Mit solcher Gastfreundschaft, wie sie die Hauswirtschafterin gegeben hat, gibt man einer fremden Person bei sich ein Zuhause. Man lässt sich auf das Fremde am anderen Menschen ein. Schließlich weiß man nie, wie es dann laufen wird mit dem Gast, der Fremden, dem Fremden. Gäste verändern einen. Unsere Gastschüler aus den USA, Italien und Brasilien haben alle ihre Spuren in unserem Familienleben hinterlassen. Ihre Fremdheit war manchmal anstrengend, sie hat uns gefordert, und sie hat uns verändert: So mussten unsere Kinder ihre Wäsche schon früh selber waschen, weil ein Gast Kind mit vielen Geschwistern zuhause das so schon gelernt und bei uns eingeführt hat. Der Gastsohn aus Brasilien hat uns über deutsche Klarheit in der Kritik neu nachdenken lassen. Vorsichtig miteinander umzugehen, südamerikanisches Liebevoll-Sein ist eingezogen.

Lieben, sich auf die Fremdheit des anderen einlassen. Ihm, ihr ein Zuhause im eigenen Zuhause, in der eigenen Person zu geben.
Im Talmud, in der alten jüdischen Überlieferung, heißt es: „Wer Gastfreundschaft übt, bewirtet gleichsam Gott selbst.“ In der Fremdheit des Anderen, der Anderen begegnet mit die Fremdheit Gottes und zieht bei mir ein. Die andere Person erzählt mir etwas von der Wirklichkeit Gottes.

Ich gehe nochmals zurück zum Anfang: Die Basis von allem ist, dass wir ein Zuhause haben in der Wirklichkeit Gottes. Ein Zuhause in dem Leben, das Gott zum Ziel führt. Ich könnte auch sagen: Wir haben ein Zuhause in der Gastfreundschaft Gottes, der uns in unserer Fremdheit bei sich aufnimmt.
Die zweite Empfehlung für eine christliche Lebenskunst in Situationen, die wir nicht routiniert bewältigen können, ist also die Folgende: Liebt, seid gastfreundlich. Gebt dem Fremden, das euer Leben erschüttert, eine Herberge in eurem Leben. Erwartet in dem Fremden etwas von der Fremdheit Gottes, von der anderen Wirklichkeit Gottes.
Das sind also die erste und die zweite Empfehlung. Beten – Sich herbergen in Gottes Zuhause. Lieben – das Fremde im eigenen Leben beherbergen.

Die dritte Empfehlung lautet, dass jeder und jede die anderen lieben und bereichern soll mit dem, was Gott ihm oder ihr gegeben hat. „Als gute Wirtschafter der bunten Gnade Gottes“, könnte man das wörtlich übersetzen. Das mit dem „bunt“ wird hier allein im Neuen Testament genutzt. Darin steckt das Wort für buntfärben, bemalen, mit Sternen schmücken, verzieren, kunstreich sein. Gott malt unsere Seelen offensichtlich mit jeweils einer einzigartig bunten Farbpalette an, begabt uns mit unterschiedlichen Farben seiner Gnade.
Diese Würdigung der Verschiedenheit, der Buntheit der Begabungen und Formen zu lieben und zu beten und zu reden und mit anzupacken, ist für mich ein drittes Element christlicher Lebenskunst. Sie besteht nicht aus einfachen Regeln: Wenn das im Leben passiert, dann musst du das tun. Ein Ohne-Size-fits-All, so drückt sich christliche Lebenskunst nicht aus. Sie mutet jedem und jeder von uns zu, kunstvoll zu wirken. Mit allen Regeln der Kunst, die Situation einzuschätzen. Sich im eigenen Gebet mit allen Farben zu verbinden, die Gottes Glanz ausmachen. Die Farbpalette, die einem an Gotteskraft geschenkt ist, anzuwenden, um ein gastfreundliches Zuhause für die Gäste schaffen. Anders gesagt, in meinen geschenkten Farben zu lieben.

Drei Empfehlungen: Beten, Lieben, kreativ alles Einsetzen, was Gott uns in seiner Buntheit schenkt, für gute Lebenslösungen. Mit diesem Ziel: „Jede einzelne Gabe soll mit der Hilfe von Jesus Christus so eingesetzt werden, dass Gott geehrt wird. Ihm gehören der Ruhm und die Macht für immer und ewig.“

Kollektengebet:
Gott, Christus nimmt uns hinein in seine Lebenskunst.
Wir lernen zu lieben, zu beten und zu hoffen.
Zieh uns hinein in Christus,
damit wir mit Leib und Seele zu Christinnen und Christen werden.
Das bitten wir durch Jesus Christus, deinen Sohn, der mit dir und dem heiligen Geist lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Fürbitten:
Liebender Gott,
Wir beten für die, die wir lieben, deren Namen du kennst.
Wir bitten um die Kraft, diejenigen um Vergebung zu bitten, 
die wir verletzt haben.
Gott unserer Zukunft,
lass deine Kirche ihr Zuhause in deiner Wirklichkeit haben,
rufe sie zur Ruhe und zum Gebet,
lass sie ihre Türen öffnen,
um jeden Menschen als Gast zu empfangen.
Jeder Gast zeigt uns dein Angesicht.

Psalmvorschlag:  Psalm 1 
Evangelium: Markus 10,17–27 
Lesung: 2. Mose 20,1–17 (Alternativ 10 Gebote nach Luthers Katechismus; oder Predigttext 1. Petrus 4,7–11)
Liedvorschläge: 384 (Lasset uns mit Jesus ziehen) 
  410 (Christus das Licht der Welt) 
  613 (Liebe ist nicht nur ein Wort) 
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