Liedpredigt EG 508 - Wir pflügen und wir streuen

Eine Liedpredigt heute. Zum typischen Erntedanklied „Wir pflügen und wir streuen“. Wir singen es gerne. Was bedeutet es aber in einer so ganz und gar nicht bäuerlichen Welt?

1) Wir pflügen, und wir streuen
den Samen auf das Land,
doch Wachstum und Gedeihen
steht in des Himmels Hand:
der tut mit leisem Wehen
sich mild und heimlich auf
und träuft, wenn heim wir gehen,
Wuchs und Gedeihen drauf.
Ref.: Alle gute Gabe kommt her
von Gott dem Herrn,
drum dankt ihm, dankt,
drum dankt ihm, dankt
und hofft auf ihn!

Vordergründig ein Frühlingslied. Wenn man genauer hinschaut, eine Meditation darüber, wie Gottes Segen in der Welt und unsere Arbeit zusammenhängen.
Ein schönes Bild habe ich vor Augen. Eine glückliche Landwirtsfamilie stapft nebeneinander im Abendsonnenlicht über das frisch gepflügte Feld und streut aus großen Körben den Samen aus, der zur nächsten Ernte werden soll. Voller Lust und im Wissen um die Bedeutung ihres Handwerks gehen sie ihrem Tagwerk nach. So könnte es gemalt worden sein als Matthias Claudius den Text für dieses Lied geschrieben hat. Und auch als um 1800 Johann Abraham Peter Schulz die Melodie komponiert hat. So haben es viele Leute als Idealbild im Kopf, wenn man an Bauern denkt. Könnte man sich auch in … so vorstellen. Vor 100 Jahren vielleicht. Da gab es hier noch Bauern. Höfe waren in jeder Ecke. Und die meisten waren tatsächlich Haupterwerbslandwirte.
Ich befürchte, das schöne Bild, das wir vor Augen haben, ist trügerisch. Die Rösslein, die der Bauer im Märzen anspannt, haben harte Arbeit zu verrichten. Wie die Menschen auch. Knochenarbeit, früher meist ohne Maschinen. Handarbeit. Mit viel Bücken, und Kampf mit der harten Erde.
Und immer die Hoffnung, dass tatsächlich das Wetter mitspielt. Dass Gott ein Einsehen hat. Und dass kein Hagel kurz vor der Ernte die Frucht zerstört. Dass die Getreidekrankheiten ausbleiben. Und dass man dann die Ernte im Herbst nach Hause bringen kann.
Trotzdem ist das pure Romantik, wenn man an unsere Zeit denkt. Wir sind noch eine Stufe weiter weg von der Bauernromantik. Unsere Felder sind Aldi und Lidl und Edeka und wie sie alle heißen. Und die fröhliche Bauersfamilie ist die absolute Ausnahme in unserem Ort. Die Maschinen habe schon lange weitgehend die Handarbeit abgelöst. Und das Landwirtsleben lohnt sich nur noch für Wenige.
Was dennoch bleibt ist die alljährliche Hoffnung. Dass es genug regnet. Dass es nicht zu viel regnet. Dass die sommerlich-herbstlichen Stürme glimpflich verlaufen. Dass die Lebensmittelmultis einigermaßen annehmbare Erzeugerpreise bezahlen. Und dass wir Verbraucher den Wert der hergestellten Grundnahrungsmittel endlich zu schätzen lernen.
Und wenn die Nahrung noch so entfremdet vom Ursprungsprodukt daher kommt – auch Tütensuppen sind zumindest auf einer Grundlage hergestellt, die erst einmal auf Feldern wachsen muss. So ganz vergessen ist es noch nicht. Dass es auch auf Gott ankommt. Dass sein unsichtbarer Segen auch in dem wirkt, was auf unseren Feldern wächst. Und dass er direkte Auswirkungen hat auf jeden von uns. Dass die niedrigen Preise, die wir vergleichsweise für Lebensmittel zahlen, immer noch ein Segen sind.

2) Er sendet Tau und Regen
und Sonn- und Mondenschein,
er wickelt seinen Segen
gar zart und künstlich ein
und bringt ihn dann behende
in unser Feld und Brot:
es geht durch unsre Hände,
kommt aber her von Gott.

Das, was wir anbauen, ist uns anvertraut. Wir haben es in unserer Lebenswelt vorgefunden. Den Menschen zu der Zeit als das Lied entstanden ist, war das klar. Wie viele Jahrtausende hat es gedauert, bis die Pflanzen so anbaubar und essbar waren wie sie es heute sind. Und diese Mühe, das von Gott gegebene aufzubereiten und zu verbessern, geht weiter. Gentechnik wird nun eingesetzt. Damit die Felder noch ergiebiger werden. Die Pflanzen noch widerstandsfähiger. Gentechnik wurde schon immer eingesetzt. Allerdings auf sehr niedrigem und eher unscheinbaren Niveau. Man hat es dem Zufall überlassen oder Pflanzen mehr oder weniger willkürlich gekreuzt. Und manchmal wurden sie dadurch besser, widerstandsfähiger, schmackhafter oder ergiebiger. Der Segen Gottes wurde ergänzt und verstärkt.
Aber auch das ist Realität: Bauern müssen sich heute umstellen. Der menschengemachte Klimawandel zwingt sie dazu. Zum ersten Mal, sieht man von Kriegen und ähnlichem ab, liegt es nicht mehr allein in Gottes Hand, was auf unseren Feldern passiert. Wir selbst haben eingegriffen und greifen ein und verändern durch unsere Lebensweise die Bedingungen, unter denen unsere Nahrungsmittel wachsen. Da muss für viel Geld mit neuen Pflanzenarten experimentiert werden. Da wird in Deutschland Hirse angebaut, weil die Pflanze mit den wärmeren Temperaturen besser klarkommt. Da wird es bald keine Kiefern mehr in unseren Wäldern geben. Weil sie hier nicht mehr wachsen können.
Und plötzlich kommt es auch auf uns an. Gottes Handeln in der Welt lässt sich von unserem nie abkoppeln. Wer von den Bauern verlangt, dass sie ihre Anbaumethoden umstellen, ihr Pflanzenportfolio auf wärmere Klimabedingungen einstellen, der muss auch bereit sein, sich selbst in seiner Ernährungsweise, seinem Konsumverhalten und seiner Lebensweise umzustellen. Und da wird es schwierig. Da müssen wir dem Segen Gottes schon ein wenig zur Hand gehen. Wer täglich Fleisch essen will, der hat noch nicht verstanden, was die Produktion von Fleisch und der Klimawandel miteinander zu tun haben. Und wer meint, sein Steak darf höchstens 1,89 kosten, der hat es auch nicht verstanden. Es kommt auf den Segen Gottes an. Aber wir pfuschen ihm ins Handwerk oder verstärken ihn. Wir genehmigen das tödliche Gift Glyphosat wieder oder lernen endlich, unsere Ernährung und Lebensweise umzustellen.

3) Was nah ist und was ferne,
von Gott kommt alles her,
der Strohhalm und die Sterne,
der Sperling und das Meer.
Von ihm sind Busch und Blätter
und Korn und Obst von ihm,
das schöne Frühlingswetter
und Schnee und Ungestüm.

Wir haben uns angewöhnt, die Natur gerne so zu haben wie wir es wollen. In den RTL-Nachrichten freuen sie sich immer, wenn Leute an den Badesee können und es 40 Grad hat. Dass diese Badeseen immer kleiner werden und das Land außenrum austrocknet und rissig wird, teilweise schon wie in Afrika. Das möchte man nicht sehen. Wir überlegen, ob wir Wasser aus der eh schon knappen Elbe abzapfen, damit die Hauptstadt, aber noch wichtiger, die Infineon und Tesla-Werke in Sachsen und Brandenburg, versorgt werden können. Und gleichzeitig fordern wir, dass wir unsere Rasen sprengen dürfen und die Pools füllen können.
Und wenn es dann mal drei Tage regnet und etwas kühler ist, dann weinen nicht nur die Nachrichtensprecher. Dann kommen schon die Idioten aus den Löchern und schwadronieren vom offensichtlich nicht vorhandenen Klimawandel. Und ihr Unsinn fällt auch noch auf fruchtbaren Boden bei den Wählern.
Wir vergessen, dass die Erde nicht zweckhaft für den Menschen gemacht ist. Sondern einfach da ist, und mächtiger als wir und stärker und damit unberechenbar. Selbst wenn wir sie zerstören: Wir tun damit nichts weiter, als uns unsere eigene Lebensgrundlage zu nehmen. 
Und: Wir pfuschen im Segen Gottes herum. Der uns das, was wir haben, als Lebensgrundlage geschenkt hat. Jedes einzelne Atom, jedes Molekül in dieser Welt ist geschenkt. Nicht durch unsere Arbeit, unseren Verdienst entstanden. Und wir. Wir tun so als gehöre die Welt uns. Als könnten wir damit umgehen wie wir wollen.

Gottes Segen ist da. In jedem einzelnen Atom, jedem Molekül. Aber er braucht uns Menschen. Um alles zu bewahren und zu beschützen und um es uns zugutekommen zu lassen. Nicht nur heute – nach uns die Sintflut. Sondern morgen für unsere Kinder, für die Konfis. Und übermorgen für alle, die nach uns kommen. Und darum hat dieses Lied weiterhin seine Bedeutung. Denn in seinem Refrain steht der Dank für alles, was uns gegeben wurde. Der Dank für Sonne und Regen. Für jeden Baum und Strauch, jedes Tier und jede Pflanze. Es ist Erntedank. Nehmen wir das ernst.

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