(Vorbemerkung: Das Lied sollte vor dem Impuls gehört werden.)
Zugegeben: Rückblickend war es nicht meine beste Idee. Doch der See sah so wunderbar verzaubert aus von der Schneeschicht, die mit leichter, unsichtbarer Hand hingestreut war auf das Eis. Es war ein paar Tage schon kalt gewesen, die Kapuze hatte ich tief ins Gesicht gezogen, und obwohl die Wangen heiß glühten, spannte die Haut im Gesicht. In meiner Erinnerung glitzerte alles im Sonnenlicht – und vielleicht war es nicht so, aber es hätte so sein können, und das zählt. Im Bann dieses Anblicks verloren, glühten nun nicht nur meine Wangen heiß, sondern auch mein Geist, meine Seele, und sie schwangen sich über den Mut hinaus, ins Ungewisse, ins Unvernünftige, ins vielleicht allzu offene, und dann tat ich es – ich setzte einen Fuß auf das Eis, erst vorsichtig, aber dann fester, hörte das Knirschen des Schnees, das Zersplittern der Eisschicht, zog den Fuß aber nicht zurück, könnte sein, dass ich noch ein bisschen mehr zutrat, jetzt erst recht, durchstieß die Eisdecke, zog dann, um alles abzurunden, den zweiten Fuß nach, und brach ein, in das eiskalte Wasser.
Dunkle Regenwolken sind aufgezogen,
die Dämmerung fällt auf einmal ganz schnell.
Überm Stahlwerk flackert blau der Neonbogen,
die Fenster im Ort werden hell.
Wo hast du dich nur wieder rumgetrieben,
zieh‘ die klatschnassen Schuh‘ erstmal aus.
Manchmal wünscht ich, es wär nochmal Viertel vor sieben,
und ich wünschte, ich käme nach Haus.
Und es soll Sonnabend sein, und es soll Topfkuchen geben,
und der soll schon auf dem Küchentisch stehen.
Und eine Kanne Kakao und meine Tasse daneben.
Und ich darf die braune Backform umdrehen.
Schokoladenflocken, mit der Raspel gerieben,
in der Schaumkrone meines Kakaos.
Manchmal wünscht ich, es wär nochmal viertel vor sieben,
und ich wünschte, ich käme nach Haus.
Die Kindheit ist das erste Paradies, aus dem wir vertrieben werden. Ungefragt und nicht mit einem Ruck, sondern schleichend entwachsen wir dieser verwunschenen, verheißungsübervollen Welt. Das Einbrechen im Eis, es klingt nicht wie eine Paradieserzählung, aber für mich ist sie eine. Wann waren nasse Socken und die Angst vor ein bisschen Ärger beim Heimkommen die größten Sorgen eines verzauberten Wintertags? Wann erliege ich ihr noch, dieser Verlockung einer viel zu dünnen Eisdecke, weil das Glitzern des Schnees mich in Beschlag nimmt und mich verführt, weil ich mich allzu gern verführen lasse? Wann lasse ich mich noch über den Mut hinaustreiben, ins Unvernünftige hinein, ins viel zu Offene, ins Wagnis, eine zu dünne Eisdecke zu betreten, mit heißen Wangen und heißem Herzen, das Scheitern suchend, aber ein Scheitern, von dem ich weiß, tief in mir, dass es umfangen ist von einem viel größeren Getragen-sein.
Das Fell wird dünner und leerer der Becher,
der Zaubertrank wirkt nur noch schwer.
Der Kummer ist tiefer, der Trost scheint schwächer,
und es heilt nicht alles mehr.
Wo ist meine Sorglosigkeit geblieben,
was machte Erkenntnis daraus?
Manchmal wünscht ich, es wär nochmal viertel vor sieben,
und ich wünschte, ich käme nach Haus.
Nur einen Augenblick noch mal das Bündel ablegen
und mit arglosem Übermut
durch dunkle Wege der Zuflucht entgegen,
und glauben können: alles wird gut.
Manchmal wünscht ich, die Dinge wär‘n so einfach geblieben
und die Wege gingen nur gradeaus
Zugegeben: Rückblickend war es nicht meine beste Idee, oder? Der Moment, als ich den Fuß auf das Eis setze, das zarte Knirschen des Schnees, das Splittern der Eisschicht, dann die nasse Kälte, das Erstaunen, das in mir aufsteigt, aber am Grunde meiner Seele die Gewissheit: Dir kann nichts passieren. Weil ich gelacht habe, als ich einbrach im Eis, weil mein bester Freund gelacht hat, weil wir beide gelacht haben, von ganzem Herzen, und weil mein Fuß dann auf den Grund des flachen Sees stieß; weil sich zwar Schlick und Schlamm in meinem Schuh sammelten und meine gute Hose, wie meine Mutter mir hinterher mehrmals versicherte, ruiniert haben, ich aber an Leib und Seele heil blieb; weil die Mutter meines Freunds mir trockene Sachen gab, als wir noch überhitzt, aber auch ein bisschen reumütig zu ihr gegangen waren; weil ich eine heiße Tasse Kakao bekam, um mich zu wärmen, und weil ich mit dieser Tasse das Versprechen bekam, dass das zwar nicht meine beste Idee gewesen war, aber dass das an der Zuneigung und Freundlichkeit, die mich in diesem Haus immer empfing, nichts änderte; weil mir das Gewissheit war, bevor ich den zweiten Fuß übermütig nachzog, deswegen war hier das Paradies, aus dem auch ich vertrieben worden bin. In meiner Erinnerung ist diese Geschichte ja aber noch da. Und ob es sich so zugetragen hat oder nicht: Es hätte sich so zutragen können, und das zählt.