Brannte nicht unser Herz in uns, da er mit uns redete?
(Lukas 24,32)
Wenn ich mich mit meiner Kollegin über unseren Lieblingskarikaturisten, Erich Ohser, unterhalte, kommt es uns manches Mal so vor, als würde er bei uns am Tisch sitzen. Es ist, als ob uns dieser Mensch, den wir nie persönlich kennenlernen konnten, weil er mit 41 Jahren 1944 den Freitod gewählt hat, mit seinen Ängsten, Hoffnungen und Konflikten ganz vertraut wäre. Dies ist deshalb so, weil uns beiden viel daran gelegen ist, dass wir und andere mit unserem Wissen und Denken, ihm und seiner Person und Geschichte gerecht werden wollen.
Ich versuche, mir auf diese Weise klar zu machen, was jene beiden aus der Geschichte des Lukas empfunden haben, als sie womöglich Hals über Kopf aus Jerusalem davongelaufen waren. Ihnen lag etwas an dem, über dessen Tod und Sterben sie so maßlos entsetzt waren. Ein Ereignis, das Schlagzeilen gemacht hatte und über dem die Meinungen weit auseinandergingen. In einer seltsamen Koalition hatten die religiösen Führer des Volks und die Verantwortlichen der Besatzungsmacht einen aus der Welt geschafft, der beiden Seiten Probleme gemacht hatte. Sie konnten zur Tagesordnung übergehen.
Anders die beiden in der Geschichte des Lukas. Sie waren mit ihm vertraut gewesen. Auch ihnen lag etwas daran, ihm und seiner Person und Geschichte gerecht zu werden. Was sollten sie denken und glauben? Waren er und seine Sache und sie mit ihm gescheitert? Es kam ihnen so vor, als stünden sie vor dem Nichts.
Da kommt der Fremde ins Spiel, dem sie ihr Herz ausschütten. Und ohne dass es ihnen so recht bewusst ist, findet sich unter dem, was ihnen auf dem Herzen liegt, nicht nur die Enttäuschung und verzweifelte Trauer, sondern auch all das Andere, was ihnen am Herzen liegt. Sie merken, welche Bedeutung all das nach wie vor für sie hat. Und während sie erzählen, wird all das lebendig, was ihnen am Herzen liegt. Und dann, bei ihrer abendlichen Einkehr, sitzt er, der all dies bei ihnen angeregt, angestoßen hat, mit ihnen am Tisch.
Im selben Augenblick lässt ihn der Erzähler Lukas vor ihren Augen verschwinden. Seine sichtbare Gegenwart ist nicht mehr erforderlich. Als sie noch geredet haben, war es ihnen noch nicht klar. Erst im Rückblick merken sie, worum es ging: Ihr Herz brannte. Sie durften wieder entdecken, wofür sie brennen.
Warum braucht es dafür den Fremden? Weil so etwas nicht vom Himmel fällt. Es braucht ein Gegenüber, mit dem wir uns darüber austauschen, mit dem wir es teilen, damit die Bedeutung sichtbar werden kann, die es für uns hat. Lukas erzählt eine Beziehungsgeschichte. Es erfordert Vertrauen und Hingabe, wenn das zum Tragen kommen soll, wofür wir brennen. Vertrauen und Hingabe sind es, was Jesus gelebt und vermittelt hat und worin Christus Gestalt annimmt. In dieser Weise ist er für die Jünger gegenwärtig.
Es liegt mir fern, mit dieser Nacherzählung erklären zu wollen, was Auferstehung ist. Aber ich bin überzeugt, dass diese Geschichte unsere Geschichte werden kann. Sie lädt dazu ein, dass in den widrigen Ereignissen nicht verloren geht, was uns am Herzen liegt und die Hoffnungen, die wir resigniert begraben, wieder Bedeutung bekommen. Vorausgesetzt, dies wäre uns ein Anliegen. In jedem Fall hätten wir dann den auf unserer Seite, der sich durch Vertrauen und Hingabe unter uns erweist. In der Begegnung mit ihm und im Teilen dessen, was uns bewegt, kann Veränderung geschehen und Hoffnung Früchte tragen.