Nach überwiegender exegetischer Meinung handelte es sich bei der Erwählung der Zwölf um eine Zeichenhandlung, die die Sendung Jesu zur Sammlung der zwölf Stämme Israels im vollendeten Reich Gottes (Naherwartung) symbolisieren sollte. Die Zwölf bildeten nach der Ostererfahrung das Leitungskollegium der Urgemeinde in Jerusalem mit Petrus an der Spitze. Die Vermutung liegt nahe, dass ihr Ansehen darauf beruhte, Empfänger einer besonderen Unterweisung durch Jesus, Augen- und Ohrenzeugen seines irdischen Lebens und Zeugen seines Lebens nach seiner Auferweckung gewesen zu sein (vgl. 1 Kor 15, 5). Nach der Ausdehnung der Verkündigung des Evangeliums über Jerusalem hinaus traten andere (Apostel) an ihre Stelle. Aus dem Kreis der Zwölf wird dann nur noch Petrus hervorgehoben.
Apostel (griech. = Bote, Gesandter), eine im NT häufig vorkommende Bezeichnung für solche, die zur Verkündigung des Evangeliums berufen sind, für die Leiter der Urgemeinde und für die Zwölf in ihrer besonderen Eigenschaft als Zeugen des auferweckten Jesus.
Älteste Belege für die Existenz der Apostel finden sich bei Paulus, der von einem festen Kreis von Aposteln in Jerusalem (in der Exegese auch „Alt-Apostel“ genannt) spricht und Kephas, Jakobus und Johannes mit Namen nennt; als Letzten zählt er sich selber zu den Aposteln, da auch ihm eine Erscheinung des Auferstandenen mit der Berufung, dies zu bezeugen und zur Verkündigung des Evangeliums zuteil wurde (Gal 1, 17; 1 Kor 15, 7 ff.). Eine andere Art von Berufung war die charismatische durch Mitteilung des göttlichen Geistes (Apg 13, 1 ff.; 1 Kor 12, 28); namentlich werden wiederum Paulus, dann Barnabas (Apg 14, 4–14), Andronikus und die Apostolin Junia genannt (Röm 16, 7). Als dritte Aufgabe neben der Zeugenschaft für den Auferweckten und der Verkündigung des Evangeliums erscheint die Gründung und Leitung von Gemeinden (2 Kor 8, 23, Phil 2, 25). Die Funktion der Apostel, die frühe Kirche an das Wirken Jesu selber zurückzubinden, kommt in der Szene der Berufung der Zwölf zum Ausdruck (Lk 6, 13–16 par.).
Eine vorübergehende Erscheinung des 2. Jh. waren die Wanderapostel. Schon in Zeugnissen des NT tritt die Entschlossenheit der frühen Kirche hervor, an der „Lehre der Apostel“ festzuhalten (Apg 1–15), nämlich an der Lehre der Zwölf und des Paulus (Pastoralbriefe, Apostolische Väter). So erscheinen die Apostel als ein fester Kreis, der in heutiger Sprache ein Kollegium genannt werden kann, das sich in den Bischöfen (und Diakonen) einen Nachfolgerkreis gab (1. Clemensbrief; Irenäus von Lyon † um 202; Successio apostolica).
Für die katholische kirchliche Lehre und die Systematik ergeben sich folgende Gesichtspunkte: Für die Apostel als Zeugen Jesu Christi und insbesondere seiner Auferweckung gibt es keine eigentliche Nachfolgerschaft, aber einen Fortbestand ihres Zeugnisses und darum die Aufgabe der Kirche, den Fortbestand dieses Zeugnisses mit Hilfe des Heiligen Geistes zu garantieren. So bekam die Kirche die (amtlich-öffentliche) Offenbarung Gottes ganz und ausschließlich durch die Apostel vermittelt; daraus ergibt sich die Lehre, dass diese Offenbarung „mit dem Tod des letzten Apostels“ abgeschlossen ist und darum zwar vertiefende Interpretation (Dogmenentwicklung), nicht aber inhaltliche Erweiterung erfahren kann. Dem entsprechend gibt es die Einmaligkeit des Anfangs bei den Aposteln des NT, aber auch eine legitime Entfaltung des Apostelamtes im Kollegium der Bischöfe.
Quelle: Herbert Vorgrimler: Neues Theologisches Wörterbuch, Neuausgabe 2008 (6. Aufl. des Gesamtwerkes), Verlag Herder