Hanna: Hanna wäre so gerne Mutter

Es ist nicht die einzige Geschichte über Kinderlosigkeit und ihre Folgen in der Bibel. Und oft gibt es eine zweite Frau, die dem Mann dann den Nachwuchs gebärt. Bei Hanna, der Mutter Samuels, zeigt sich allerdings eine erstaunliche Variante: Sie übergibt den sehnlichst erhofften, so spät bekommenen Sohn in großer Dankbarkeit dem Tempel, in den Dienst Gottes.

Wer erinnert sich an die Geschichte von Hanna in der Bibel? Ihr Sohn wird eine gewichtige Rolle spielen: Samuel. Als Pro­phet des Volkes Israel hat er entscheiden­ de Bedeutung etwa als Kritiker des Königs Saul oder auch mit Blick auf die Krönung Davids als König. Seine Mutter geht als die Frau in die Geschichte ein, die spät ein Kind bekommt, Gott dafür lobt und es zum Dank in die Erziehung in den Tempel gibt. Es scheint fast, als würde sie aus Dankbar­keit zur Rabenmutter (1. Samuel 1ff.).

Erinnern wir uns: Hanna wäre so gerne Mutter. Sie muss erleben, wie ihr Mann Elkana, den sie liebt und der sie liebt, mit seiner zweiten Frau Peninna Kinder zeugt. Was für eine Demütigung! Du liebst einen Mann, er liebt dich, ihr sehnt euch nach gemeinsamen Kindern, aber eine Schwan­gerschaft stellt sich nicht ein. Am Potenzi­al des Mannes kann es ja wohl nicht liegen, er schwängert eine andere. Hanna ist ver­zweifelt, auch die liebevolle Zuwendung ihres Mannes tröstet sie nicht. Sie fühlt sich erniedrigt.

Was mich an dieser Geschichte rührt, ist die Zuneigung des Elkana. Er liebt seine Frau Hanna, auch wenn sie keine Kinder bekommt, und er leidet geradezu mit ihr. Leider nutzt Peninna die Situation aus, sie kränkt Hanna. Vielleicht weil sie spürt, wie sehr Elkana Hanna liebt? Will sie mit Kindern trumpfen? Die Spannungen in der Familie sind leicht vorstellbar. Gelit­ten haben sicher alle drei: der Ehemann, hin­ und hergerissen zwischen der Liebe zu der einen Frau und dem Respekt vor der anderen, die ihm Kinder schenkt, auf die er stolz ist. Die geliebte Frau, die sehen muss, dass sie ihrem Mann nicht geben kann, was sie sich beide wünschen. Die sich deshalb gedemütigt fühlt und überflüssig, die untröstlich ist, auch wenn sie um seine Liebe weiß. Die zweite Frau, die ihren Stolz aus ihren Stolz aus ihren Kindern zieht und verletzt ist, weil sie sich nicht geliebt weiß, immer nur die zweite, die nützliche ist. Jahrelang geht das so. Eine Quälerei für alle Beteiligten, ganz gewiss.

Hanna ist gekränkt. Sie weint. Sie isst nicht mehr. Wir können diese Verzweif­lung, ja vielleicht sogar Magersucht gut nachvollziehen. Liebevoll bleibt Elkana: „Hanna, warum weinst du, und warum is­sest du nichts? Und warum ist dein Herz so traurig? Bin ich dir nicht mehr wert als zehn Söhne?“ (V. 8) Ja, dieser Mann liebt seine Frau. Und er will ihr sagen, dass nicht Kinder seine Zuneigung bestimmen, sondern sie selbst. Aber Hanna kann das nicht trösten, sie hat sich festgesogen in der Hoffnung auf ein Kind. Als könne allein eine Schwangerschaft ihre Demütigung lindern.

In dieser Situation geht Hanna in den Tem­pel und betet zu Gott um eine Schwanger­schaft. Sie legt ein Gelübde ab, wenn sie nur ein Kind bekäme, würde sie es aus Dankbarkeit dem Tempel übergeben. Der diensthabende Priester Eli vermittelt ihr Zuversicht, dass sie schwanger werden wird. Hanna geht getröstet und gestärkt nach Hause, sie hat neuen Mut gefasst, isst wieder „und sah nicht mehr so traurig drein“ (V. 18). Ob es daran lag, dass sie an­ders auftrat, wieder Energie gefunden hat, neuen Lebensmut? Jedenfalls „erkannte“ Elkana seine Frau, vielleicht können wir sagen, er erkennt die Frau wieder, die er so geliebt hat, er schläft mit ihr. Sie erkennen, mit ihr Geschlechtsverkehr haben – dass dies im Hebräischen dasselbe Wort ist, finde ich spannend für die Beziehung von Mann und Frau.

„Und Hanna ward schwanger; und als die Tage um waren, gebar sie einen Sohn und nannte ihn Samuel; denn, so sprach sie, ich hab ihn von dem HERRN erbeten.“ (V. 20) Was für ein Glück wird das gewesen sein für die Eltern! Für die Mutter sogar eine Art Triumph mit Blick auf Peninna. Einen Lobgesang stimmt Hanna an wie später auch Maria (Lukas 2), in dem sie Gott preist, sich an der Überwindung ihrer tief empfundenen Erniedrigung freut und die Erhöhung der Gedemütigten zum Kennzeichen göttlichen Wirkens wird. 

Hanna sagt in aller Deutlichkeit, dass ihr Kind im Tempel groß werden soll. Sie will es weggeben, ihr Gelübde einhalten. Elkana scheint ohne Rückfragen zuzustimmen. Das ist schwer nachvollziehbar. Da hat sie sich jahrelang nach einem Kind gesehnt und dann gibt sie es weg! Ist das nicht eine Rabenmutter? Sie wartet nur darauf, bis es „entwöhnt“ ist, auf das Ende der Stillzeit also, dann bringt sie es in den Tempel. Einen maximal Dreijährigen! Was für ein Abschieben! Wie mag sich das Kind gefühlt haben? Wie mag Hanna diese Trennung wahrgenommen haben?

Wahrscheinlich meinte sie, es sei das Richtige vor Gott. Ich werde nicht richten über eine Mutter, die so etwas tut. Auch in der christlichen Tradition wurden Kinder ins Kloster gegeben. Ob es ihr tiefstes Ge­fühl war: Dieses Kind ist Gottes Geschenk und im Tempel am besten aufgehoben? All das sind Fragen, die sich der biblische Er­zähler nicht stellt, sondern eher die Mutter von heute.

Aber das wissen wir: Kinder sehnen sich nach den Eltern. Selbst wenn das Zuhause mehr als mangelhaft ist, wollen sie in der Regel mit den Eltern leben. Ein Dreijähri­ger heute, der in eine Krippe oder eine Kita geht, ist mit dem kleinen Samuel nicht zu vergleichen. Er geht am Abend nach Hause in die Geborgenheit einer Familie, so defizitär manches auch sein mag. Ein Dreijähriger, der komplett in eine Fremd­betreuung kommt, muss eine tiefe Erfah­rung von Verlassenheit machen. Vielleicht erklärt das manche späteren Nöte des Propheten.

Und Hanna? Die Bibel erzählt, dass sie dem Jungen Jahr für Jahr, wenn sie zum Tempel kommt, ein „kleines Oberkleid“ (1. Samuel 2,19) mitbringt. Elkana seg­net den Jungen und sie. Und Hanna wird mehrfach wieder schwanger, drei Söhne und zwei Töchter wird sie gebären. Samuel aber wächst im Tempel bei dem Priester Eli auf. Was wird das für eine Empfindung ge­wesen sein, diesen besonderen Sohn Jahr um Jahr zu sehen, so nahe ihrem Herzen und doch so unerreichbar?! Tränen wer­ den geflossen sein, Jahr für Jahr, wenn sie sah, wie er heranwuchs, ohne dass sie ihm geben konnte, was eine Mutter an Liebe, Zuneigung, Zärtlichkeit und Schutz gern gibt. Da waren gewiss Dankbarkeit und Trauer im Ringen der Gefühle präsent.

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