Ein Mann erzählte mir kürzlich, wie der Tod seines 25-jährigen Sohnes ihn völlig aus der Bahn geworfen und sein ganzes Leben in Frage gestellt hat. Er ist in eine schwere Depression geglitten, hat sich völlig zurückgezogen. Gespräche mit seiner Frau waren nicht mehr möglich, sie konnten als Eltern nicht über diesen Verlust sprechen. Sein Schmerz über dieses Leben, das nicht gelebt werden konnte, war unermesslich. Ein solcher Schmerz lässt Eltern an Gott verzweifeln, aus der Kirche austreten, sich im eigenen Leben nicht mehr zurechtfinden!
Umso irritierender ist da Hiob. Er hat alle seine Kinder verloren! Da muss der Mensch doch schreien, verzweifeln. Hiob aber ist wahrhaftig das Idealbild eines rechtschaffenen und frommen Mannes. Es heißt in der Bibel: „Da stand Hiob auf und zerriss sein Kleid und schor sein Haupt und fiel auf die Erde und neigte sich tief und sprach: Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen; der Name des Herrn sei gelobt!“ (Hiob 1, 20f.)
Dass jemand das sagen kann, nachdem ihm alles genommen wurde, ist nicht nachvollziehbar. Solches Gottvertrauen angesichts des Verlustes der eigenen Kinder, ist das überhaupt möglich? Nichts ist doch so schwer zurückzugewinnen wie erschüttertes Vertrauen! Das gilt in menschlichen Beziehungen, aber auch mit Blick auf die Politik oder die Wirtschaft.
Hiob ist von Geschwüren am ganzen Körper übersät. Mit einer Scherbe kratzt er sie sich ab. Er sitzt buchstäblich in Asche. Er ist am Ende, gescheitert, vollkommen am Boden. Aber auch angesichts seines eigenen Zustandes beginnt Hiob nicht, an Gott zu zweifeln. Das erscheint fast übermenschlich. Gehört nicht auch Zweifel dazu? Dürfen wir nicht Gott unser Leid klagen, zweifeln sogar?
Die Frage des Hiob-Buches ist: Warum lässt Gott das zu? Es gibt theologische Kommentare, die erklären, Gott dulde das Leiden der Menschen, um ihren Glauben zu prüfen. Ich selbst kann ein solches Gottesbild im christlichen Glauben nicht verankert sehen. Dass Gott Menschen prüfen will, wäre doch merkwürdig. Dann wäre Gott eine Art Marionettenspieler, der mal hier eine Krebsdiagnose, mal dort einen Unfall oder einen Terroranschlag schickt. Im Hiob-Buch wird am Ende klar, dass der Mensch nicht alles verstehen kann. Hiob wird mit Gott ringen, darf fragen, Gott stellt sich dem Gespräch. Die Frage nach dem Leid bleibt offen, der Mensch muss erkennen, dass er die Antwort nicht finden wird.
Es gibt Teu isches in der Welt. Und es gibt Menschen, die handeln wie Teufel. Der Satan steht dafür, Menschen vom rechten Glauben, vom rechten Weg abzubringen, sie von Gott zu entfernen. Satan versucht, selbst Jesus zum Angeklagten werden zu lassen durch die Versuchung von Macht und Herrschaft. Diese Verführbarkeit sehen wir auch heute. Wenn ein Mensch seine Macht benutzt, um ein Kind zu missbrauchen, dann ist für mich Satan im Spiel. Entschuldigen kann sich dieser Mensch damit nicht. Er bleibt in Verantwortung für seine Tat. Niemand kann sich selbst freisprechen von den ei- genen Verfehlungen. Und unsere Kirchen sind verp ichtet, nicht die Täter zu schützen, sondern die Opfer. Das hat vor vielen Jahren die Wahrheits- und Versöhnungskommission in Südafrika vorgelebt: Versöhnung kann es nur geben, wenn die Opfer gehört werden und die Täter ihre Schuld bekennen.
Die Passionsgeschichte zeigt paradoxerweise die Überwindung des Satans. Indem Jesus sich gerade nicht verführen lässt, das eigene Leid durch seine Macht zu beenden, entmachtet er den Teufel. Gott selbst wird Opfer des Bösen, der Gewalt. Dafür steht das Kreuz und damit ist unser Glaube eine Provokation. Nichts stellt die Macht der Mächtigen so sehr in Frage wie die aufrechte Haltung der Opfer. Ein Donald Trump wirkt lächerlich gegenüber dem namenlosen jungen Mann, der sich vor 30 Jahren mutig den anrollenden Panzern auf dem Tian'anmen-Platz entgegengestellt hat. Sein Bild wird als Mut und Freiheitssehnsucht in die Geschichte eingehen.
„Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ – Jesus spürt die Verlassenheit, wie wir alle anders als Hiob sie auch manchmal spüren. Für mich steht das Kreuz für Verlassenheit und Solidarität zugleich. Gott ist nach unserem Glauben das Emp nden von Gottverlassenheit nicht fremd. Jesus hat diese Verlassenheit überwunden, er geht nach dem Tod zu den Frauen und Männern, die ihn be- gleitet haben, und beauftragt sie. Unsere Konsequenz ist: Wir gehen an Jesu Statt zu den Verlassenen, zu denen, die einsam sind in unserem Land, arm, ausgegrenzt. Zu den Flüchtlingen und denen, die sie im Mittelmeer retten wollen.
Hiob klagt nicht. Er fragt in diesem ältesten Textteil des Hiob-Buches kein einziges Mal: Warum ich? Klaglos erduldet Hiob, was ihm widerfährt. Seine Frau kann das nicht verstehen, sie fragt: Warum hältst du noch an deiner Frömmigkeit fest? Ver uche Gott und stirb! Hiob erklärt, sie würde reden, wie es „törichte Frauen“ tun. Natürlich ärgert mich, dass die Frau als „töricht“ hingestellt wird. Ihre Frage, warum ein Mensch nach solchen Schicksalsschlägen noch an Gott glauben könne, ist doch eine Frage, die viele stellen. Gehen uns die allzu Glaubensgewissen nicht manchmal auf den Wecker? Frömmelnd kommt das daher, „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gepriesen.“ Da möchten wir Hiob mal rütteln und schütteln! Meine Güte, kann jemand so fromm sein?
Gott will das Leid nicht, selbst die Prüfung der Glaubenstreue ist nicht Gottes Idee. Es ist viel zu simpel zu meinen, Leid im Leben sei die Folge sündigen Verhaltens. Je länger ich darüber nachgedacht habe, desto mehr gefällt mir Luthers Wort „töricht“: Es ist töricht, zu meinen, dass Gott besonders bei den Reichen und Glücklichen sei. Was wäre das für ein Gottesbild? In der Bibel in gerechter Sprache wird das hebräische Wort mit „dumm“ übersetzt. Und das passt ja auch. Die Götter der Mega-Stars unserer Zeit sind das Geld, die Macht, die Gier. Und das ist am Ende schlicht dumm.