Lois: Die erste christliche Großmutter

In der Bibel werden Nachkommen – Kinder und Kindeskinder – als Segen oder auch die „Krone“ des Lebens geschätzt. Über das Verhältnis von Großeltern und Enkeln erfahren wir allerdings wenig. Wer den Begriff „Großvater“ in der Lutherübersetzung 2017 sucht, wird gar leer ausgehen. In der Regel sind bei den Vätern die Großväter mitgemeint. Und die Großmutter?

Nur ein einziges Mal kommt in der Bibel der Begriff „Großmutter“ vor, und zwar im 2. Timotheusbrief 1,5. Dort heißt es: „Denn ich erinnere mich an den ungefärbten Glauben in dir, der zuvor schon gewohnt hat in deiner Großmutter Lois und in deiner Mutter Eunike; ich bin aber gewiss, auch in dir.“

Der zweite Timotheusbrief ist am Ende des ersten Jahrhunderts geschrieben. Ein unbekannter Verfasser bemüht sich darum, die sich festigende Kirche auf dem Weg der Kontinuität zur Lehre des Apostels Paulus zu begleiten. Wenn das so ist, gehörte Lois zur allerersten Generation von Menschen, die an Jesus Christus als Gottes Sohn geglaubt haben. Sie ist die erste christliche Großmutter sozusagen. Offenbar hat sie ihre Tochter Eunike in diesem Glauben erzogen und war für ihr Engagement bekannt. Sonst würde der Verfasser, der ja mit der Autorität des Apostels Paulus schreibt, sie nicht namentlich erwähnen.

Auch auf ihren Enkel Timotheus hat sie offensichtlich als Vorbild im Glauben gewirkt, ihn so in diesen Glauben mit eingeführt, dass er in jungen Jahren Verantwortung für die Gemeinde übernimmt. Er ist, so der Brief, in Ephesus zurückgeblieben, während der Apostel Paulus weiter reist nach Mazedonien und schließlich als Gefangener in Rom lebt. Dort in Ephesus nimmt er die Weisungen entgegen, was Lehre und Frömmigkeit, Ordnung der Gemeinde und Lebensführung betrifft.

Großmütter spielen seit den Zeiten der Lois in der Weitergabe des Glaubens bis heute eine große Rolle. Warum ist das wohl so? In Erinnerung an meine eigene Großmutter denke ich, es liegt zum einen daran, dass Großmütter mehr Zeit für Kinder haben als Mütter. Sie sind nicht unter dem Druck von Haushalt und vielleicht Beruf – wobei zu Lois’ Zeiten die Haushaltsführung einer vollen Berufstätigkeit gleichkam. Waschen, Putzen, Kinder versorgen, wieder schwanger sein, Ehefrau sein, das alles erzeugt eine enorme Belastung. Von Lebensstau ist heute in der Soziologie die Rede. Viele Mütter von heranwachsenden Kindern sind deshalb erschöpft, es bleibt wenig Zeit, Geschichten zu erzählen, miteinander zu beten. Großmütter haben Zeit zu erzählen, die Geschichten von der Arche Noah, von Josef, der bitter verraten und verkauft wurde, es geschafft hat in der Fremde und dann Versöhnung möglich machte. Von den Frauen am leeren Grab. Großmütter singen mit Kindern, sie beten mit Kindern.

Wahrscheinlich stehen Großmütter aber auch fester und überzeugter im Glauben, weil sie mehr Lebenserfahrung haben. Sie können davon erzählen, wie sich ihr Glaube bewährt hat in den guten und gerade auch in den schlechten Zeiten des Lebens. Das ist für Kinder wichtig zu hören. Wenn dieser Glaube für meine Großmutter ein Leben lang Halt und Orientierung geboten hat, warum sollte er nicht auch für mich der richtige Weg sein? Sicher, eines Tages werden Kinder selbst klar sagen, ob diese Religion ihre ist. Aber sie beheimaten sich in einer Religion auch durch die Erzählungen der Älteren.

Zudem sind Großmütter meist nachsichtiger als Mütter. Manches Enkelkind konnte der Großmutter anvertrauen, was es vor der Mutter geheim hielt. Das kann für die Mutter zwischen den beiden Generationen auch belastend sein. Wie stand wohl Eunike dazu, dass – wenn von ihrem Sohn die Rede war – beide, Mutter und Großmutter gleichermaßen, erwähnt wurden? Interessant ist dabei, dass weder der Vater noch der Großvater von Timotheus benannt werden. Frauen scheinen damals wie heute einen stärkeren Einfluss zu haben bei der Weitergabe des Glaubens an die nachfolgenden Generationen.

Spätestens seit sie Enkel haben, werden Großmütter zudem über die eigene Endlichkeit bewusst nachdenken. Gerade wer das eigene Sterben in das Nachdenken über das Leben integriert, wird klar über den Glauben sprechen. Wer die „letzten Dinge“ vor Augen hat, gewinnt auch eine größere innere Freiheit gegenüber den vorletzten. Manche Großmutter ist sicher auch bitter über das Leben. Aber viele bringen eine Art Glaubensheiterkeit hinein in das Gespräch über Gott und die Welt.

Und Großmütter haben aus dieser Lebenshaltung heraus wohl auch weniger Angst. Einerseits vielleicht weniger Angst, von der jüngeren Generation für ihren Glauben belächelt zu werden. Andererseits keine Angst vor Mächten und Gewalten, die den Glauben zurückdrängen wollen. Es wird beispielsweise den Großmüttern zugeschrieben, dass der christliche Glaube in der Sowjetunion nicht völlig ausgelöscht wurde.

So sei unter allen Müttern mit Lois den Großmüttern ein Denkmal gesetzt, die so viel Verantwortung für die Weitergabe des Glaubens übernommen haben – von Anfang an.

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