Wie Noah gern neu pflanzen

Noah, Zorn Gottes, Archebau unter Häme der Nachbarn, Rettung der Guten und von allen Tieren je ein Paar, Taube, grüner Zweig, neuer Anfang, Regenbogen... Kennen wir alle, aber merken wir noch, was für eine wunderbare Erzählung das ist? Wenige Autorinnen und Autoren der Menschheitsgeschichte haben so geschrieben, dass ihre Worte und Bilder über Jahrtausende eindrücklich blieben, ja weltweit Glauben, Sprache, Symbole geprägt haben.

In der biblischen Erzählung von der Sintflut wird Gott zornig, als aus der guten Ordnung Chaos wächst. Der Mensch entwickelt die eigenen Kräfte Begierde, Neid, Herrschsucht, Gewalt. Angesichts dessen zeigt uns die Bibel einen Gott, der Emotionen kennt, zürnt, sich ärgert geradezu, dass er sich hat verleiten lassen zu dieser Schöpfung Mensch. So wunderbares Potential gibt es im Menschen! Und so entsetzliches Versagen. Gott hat dem Menschen Freiheit gegeben, die beides birgt: Glück und Unglück, Bewahrung und Zerstörung.

Gott zerstört. Dafür zuallererst steht die Sintflut. Den Zorn Gottes sollten wir nicht klein reden, Gott nicht verniedlichen. Gott schickt nach der biblischen Erzählung eine Flut, die vernichtet, die Mensch und Tier und Pflanze mit sich reißt, dem Untergang preisgibt. Als meine vier Töchter klein waren, hatten wir ein Bilderbuch zur Arche Noah. Da gab es eine Seite mit einem Bild, das die Arche zeigt, wie sie in See sticht mit den Tieren an Bord. Und die Tiere an Land versinken langsam im Wasser. Ich musste diese Seite beim Vorlesen immer überblättern, weil die Kinder diese Vorstellung so grausam fanden. Die armen Tiere werden ertrinken! Warum hat Gott nicht alle auf die Arche gelassen? Das alles birgt Urängste menschlicher Existenz.

Nach vielen Jahrzehnten des Fortschrittglaubens können wir das heute wieder nachvollziehen. Eine wichtige Erfahrung, weil sie dem sich so allmächtig fühlenden Menschen Grenzen zeigt, Demut lehrt. Und gleichzeitig ist wichtig zu sagen: Nein, Gott will das nicht zulassen. Wir glauben nicht an einen Gott, der mal eben mit einem Handstreich ein paar tausend Menschen der Vernichtung preisgibt. Wir glauben an den Gott, der Leid, Not, Geschrei und sogar dem Tod ein Ende setzen will. Die Coronapandemie, aber eben auch die Klimakatastrophe können für viele Menschen zur Sintfluterfahrung werden. Mit Blick auf das Klima leiden zuallererst die Armen auf den Inseln des Pazifiks und an den Küsten von Indien und Bangladesh, die sie am wenigsten zu verantworten haben.

Aber nicht nur im wörtlichen Sinn haben wir eine Ahnung davon, was Sintflut bedeutet im Leben von Menschen. Was, wenn dein ganzes bisheriges Leben unterzugehen scheint, weil eine schwere Krebserkrankung diagnostiziert wird? Weil der Ehepartner dich verlässt? Auch das sind Untergangserfahrungen, in denen wir uns fragen, wie Gott uns retten kann. Ob es einen neuen Anfang geben wird. Ob wir wie Noah und seine Familie noch einmal unter einem Regenbogen Zukunftshoffnung entfalten können.

Es gibt eine zweite Chance. Gott ändert sich! Das ist das erstaunliche an der Geschichte: Gott schließt wiederum einen Bund mit dem Menschen. Müssen wir mit bitterem Unterton sagen: nachdem die Menschen bezahlt haben für ihre Sünden, ja auch völlig Unschuldige grausam bezahlen mussten? Oder weil Gott sich neu besinnt? Ich denke, weil aus dem Gott des Zorns ein Gott der Zuwendung wird, der auch das gebrochene Leben lieben kann. Auch diejenigen, die nicht wie Noah absolut untadelig sind. Weil Gott erkennt, dass kein Mensch und damit auch nicht Noah ohne jeden Fehl und Tadel ist. Rettung ist dann nicht mehr nur für diejenigen denkbar, die keine Gebote überschreiten, sondern auch für das „geknickte Rohr“, den nur noch „glimmenden Docht“.

Der Bund ist wesentlich Verpflichtung Gottes. Gott gibt ein Versprechen. Und zwar nicht nur dem Menschen. Nein, der ganzen Schöpfung, alles, was lebt und wächst und kreucht und fleucht. Gott sagt der eigenen Schöpfung zu, nicht mehr zu zerstören. Es ist nicht der Mensch, der die Lebenszusage auslöst durch sein Verhalten. Es ist Gott, in aller Freiheit, in aller Liebe. Und so führt uns die uralte Erzählung von der Sintflut sehr nah an die neutestamentliche Erkenntnis, dass Gottes Liebe immer eine zuvorkommende ist. Oder auch an die reformatorische Erkenntnis, dass es eine Rechtfertigung allein aus Gnade gibt, ohne Leistung des Menschen.

Luther übersetzt den Namen Noah mit „Ruhe“. Noah war nicht allein durch seine Existenz ohne Fehl und Tadel auserwählt. Sein Gottvertrauen war entscheidend. In all unseren Ängsten vor Versagen, vor Bestrafung, vor Katastrophen in unserem Leben werden wir ermutigt, zu vertrauen. Das ist das Wagnis des Glaubens. Noah hat sich vollkommen auf Gott eingelassen und daher seine Zukunft und die seiner Familie in Gottes Hand gelegt und aus Gottes Hand genommen. Das ist eine Lebenshaltung! Und aus diesem Vertrauen heraus ist der biblische Noah wahrhaftig aktiv geworden, mitten in der Welt, auch gegen den Zeitgeist, der den Archebau eher lächerlich fand.

Die Natur seufzt, wie der Apostel Paulus sagt, nach Erlösung. Und sie seufzt dabei ganz gewiss unter dem Menschen, der sie erbarmungslos benutzt und zerstört mit Artenvernichtung und Klimaerwärmung. Aber wir dürfen die Schöpfung auch nicht simpel romantisieren. Sturm, Gewitter, Flut gehören dazu, mächtige und schreckliche Naturkatastrophen, die nicht menschengemacht sind. Auch das Coronavirus ist doch - anders als Verschwörungstheoretiker meinen - nicht geplant.

Gott setzt mitten im Wüten der Gewalten seinen Bogen in den Himmel. Gott wendet sich dem Menschen zu, auch wenn der Mensch nicht so ist, wie Gott ihn sich erhofft, geträumt hat, ihn gesehen hat, als er ihn schuf. Das kennen wir ja auch, wenn wir Menschen lieben und sie sind nicht so, wie unser Idealbild sie malen möchte: die Ehepartnerin, der Vater, die Tochter. Sie sind alle Mängelexemplare. Natürlich könnten wir uns abwenden: So wollte ich das nicht. Gott zeigt uns eine andere Haltung: Die Liebe bleibt, auch über Enttäuschung und Scheitern hinweg. Und wir lieben doch auch Menschen mit all ihren Fehlern. Und dürfen uns selbst lieben als Mängelexemplare. Das ist das wunderbare am christlichen Glauben, finde ich. Es geht nicht um Perfektionisten.

Aber der Anspruch Gottes bleibt auch. Die zehn Gebote sind die unverrückbare Grundlage zu einem verantworteten, gelingenden, gemeinschaftsverträglichen Leben. Noah tut alles, um die Gebote zu halten. Bebauen und bewahren ist sein und unser Auftrag. Es gilt, Verantwortung zu übernehmen. Und dabei müssen Menschen mit Scheitern und mit Schuld leben, denn sie werden kein perfektes Paradies schaffen können. Die Hände in den Schoß legen, das gilt nicht, das widerspricht der Kreativität, die Gott uns als Geschöpfe geschenkt hat, der Verantwortung, die wir wahrzunehmen haben. Wir haben ja auch Freude daran zu gestalten, wenn wir dürfen. Wir haben eine unbändige Energie, einzutreten für Gerechtigkeit, wenn wir Unrecht wahrnehmen. Und wir können an unserem Ort, in unseren Zusammenhängen eine Spur legen von der uns geschenkten Kreativität, weil wir wie Noah gern neu pflanzen und auch wenn wir wissen, dass nicht alle Saat aufgehen wird.

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