Die Religionsgeschichte vermeint in fast allen Religionen Engel zu finden, als außerirdische Geistwesen, doch mit wahrnehmbarer Gestalt ausgestattet, menschenähnlich (Jünglinge, Knaben oder Mädchen, Frauen) oder tierähnlich (wie die biblischen Kerubim und Seraphim), beflügelt (wie die griechische Göttin Nike), mit Intelligenz und Willen, unter Umständen in riesiger Zahl, hierarchisch gegliedert, als Hofstaat Gottes, von ihm mit irdischen Aufgaben betraut und daher imstand, die „himmlische“ Dimension zu verlassen und sich von Menschen im Wachzustand oder in Träumen wahrnehmen zu lassen. In der Diskussion über Engel herrscht Übereinstimmung darin, dass jüdische, christliche und muslimische Vorstellungen von Engeln auf Einflüsse aus Assur, Babylon und Persien sowie aus der griechisch- römischen Antike zurückgehen und dass von dort her in biblischer Zeit die Existenz von Engeln als selbstverständlich angenommen wurde.
Biblisch
Die Engel gehören in biblischer Sicht zum himmlischen Hofstaat Gottes bzw. sie bilden das „himmlische Heer“ (1 Kön 22, 19–22; Lk 2, 13; Mt 26, 53), führen göttliche Befehle auf Erden aus, verkünden Gottes Ratschlüsse, wirken fürbittend, strafend und zum Schutz. Hebr scheint vor übermäßiger Einschätzung der Engel zu warnen: sie sind nur Diener (1, 14), und der erhöhte Jesus Christus steht ungleich höher als alle Engel (2, 16). Zu den biblischen Einzelheiten über Engel gehören die Nennung der hebräischen Namen der Engel Gabriel (= Mann Gottes oder Stärke Gottes), Michael (bedeutet wahrscheinlich nicht „Wer ist wie Gott?“, sondern = der Übermächtige) und Raphael (= Gott heilt) sowie eine Erwähnung von Erzengeln (1 Thess 4, 16). Das frühjüdische Schrifttum kannte eine Vielzahl von Engelsnamen und -funktionen. In den Umkreis der Engelsvorstellungen, meist einfach mit den Engeln identifiziert und zum Anlass von Spekulationen über eine Engelshierarchie genommen, gehören die (vier) Wesen am Thron Gottes (Ex 25, 18–22; 1 Kön 6, 23–28; Ps 18, 11; Ez 1, 8–11; Offb 4, 6 ff.), die tiergestaltigen Kerubim (Gen 3, 24 als Wächter; Ez 28, 14; Hebr 9, 5) und Seraphim (Jes 6, 2), die Gewalten und Mächte, Fürstentümer, Throne und Herrschaften (Jos 5, 14; Dan 10, 20; Eph 1, 21; Kol 1, 6).
Ein Thema, das im frühjüdischen Schrifttum breit entfaltet ist, spielt im NT nur in späten Texten eine Rolle, ein Aufstand von Engeln gegen Gott, dessen Folge ihr Sturz aus der Herrlichkeit des Himmels war (Jud 6; 2 Petr 2, 4).
Eine besondere Gestalt im AT ist der Gottesbote „malak JHWH“ (Gen 16, 7–14; 18, 1 ff. u. ö.), dessen Erscheinen zugleich als Manifestation Gottes selber wie als die eines Engels gezeichnet wird; vielleicht ein Indiz dafür, dass Gott, je mehr er transzendent gedacht wird, sich eher durch geschaffene Größen als durch sich selber in der Geschichte bekundet.
Theologiegeschichtlich
Kirchenväter verteidigen die bloße Geschöpflichkeit der Engel gegen gnostische Vorstellungen, es handle sich um göttliche Kräfte (nach Art des Demiurgen); sie nehmen so selbstverständlich wie die Bibel die Existenz einer Fülle von Engeln im Dienst Gottes an. Bei Augustinus († 430) ist die Zuordnung der Erschaffung der Engel zur Erschaffung des Lichts bemerkenswert, und trotz seiner breiten Erörterungen zum Wesen der Engel erklärt er, dass „Engel“ der Name einer Aufgabe und nicht einer Gattung sei. Er widersetzte sich den Versuchen, Kirchen Engeln zu weihen, und wollte die Verehrung von Engeln strikt von der Anbetung Gottes unterschieden wissen. Im kirchlichen Osten taucht der Gedanke einer himmlischen, von Engeln parallel zur irdischen verrichteten Liturgie auf. Nachhaltigen Einfluss auf die späteren Engellehren übte Ps.-Dionysios Areopagites (um 500) mit seinen detaillierten Darlegungen über die Hierarchie der Engel aus, deren „Chöre“ Stufen von der geschaffenen Welt zum trinitarischen Gott bilden, mit deren Hilfe der Kirche und ihren Mitgliedern Erleuchtung zuteil wird. Thomas von Aquin († 1274) zieht aus seinen spekulativen Überlegungen zur Vollkommenheit des Universums und zu dessen Aufbau in Stufen die Schlussfolgerung, dass Engel „reine Formen“, d. h. auch reine Geister seien, an Erkenntnis und Willen den Menschen weit überlegen. Damit prägt er die katholische Angelologie bis ins 20. Jahrhundert. Die evangelische Theologie beteiligte sich an solchen Spekulationen nicht. Trotz gelegentlicher Neuansätze ging das theologische Interesse an Engeln zurück, ein Konsens, was Engel eigentlich sind, war nicht zustande gekommen. Zurückhaltung charakterisierte die offizielle kirchliche Lehre. Dem IV. Laterankonzil 1215 lag nur daran, entschieden zu lehren, dass alles, was nicht Gott ist, von Gott geschaffen wurde, und in diesem Zusammenhang sagt es infolge eines Irrtums bei der Übersetzung des hebräischen „tohu wabohu“ („wüst und öde“: Gen 1, 2) mit griechisch „sichtbar und unsichtbar“, Gott sei der Schöpfer der sichtbaren und der unsichtbaren Dinge, er habe beide Ordnungen der Schöpfung aus dem Nichts geschaffen, die geistige und die körperliche, d. h. die Engelwelt und die irdische Welt. Auch hier wird die Existenz der Engel einfach vorausgesetzt und eine Erklärung des Wesens der Engel nicht angeboten.
Volksfrömmigkeit und Kunst
Verbreitete Verehrung erfuhren die drei „Erzengel“, beginnend mit Michael vom 4. Jahrhundert an. Nach der Einbeziehung der Engel in liturgische Texte wegen der erhofften Verbindung der irdischen Liturgie mit der himmlischen und nach dem Aufkommen der Vorstellung von individuellen Schutzengeln wurde in der römischen Kirche ein Schutzengelfest im 17. Jh. eingeführt. Breiten Raum nehmen die Engel in der Ikonographie (mit Einflüssen der antiken Eroten auf die barocken Putten) und in der Literatur, auch außerhalb des kirchlichen Christentums, bis zu Filmen in der Gegenwart ein. In der Zeit des Rückgangs der kirchlichen und glaubensmäßigen Bindung wanderte die Beschäftigung mit den Engeln in den Bereich esoterischer Naturkulte ab; vom religiösen Kitsch führt eine gerade Linie zu den Engeln in der Werbung.
Hermeneutische Überlegung
Angesichts der heterogenen Herkunft der Engel und ihrer offenbaren Zugehörigkeit zum antiken, mythologischen Weltbild und der Selbstverständlichkeit, mit der sie im Bereich der biblischen Zeugnisse einfach vorausgesetzt werden, aber nicht Gegenstand einer göttlichen Offenbarung sind, stellt sich die Frage nach der Bedeutung ihres Vorkommens in der Hl. Schrift. Ein offenbarungsmäßiger Gehalt kann darin gesehen werden, dass Gott im Zusammenhang mit der Läuterung anthropomorpher Gottesvorstellungen zwar in seiner absoluten Transzendenz erkannt wird, dass er aber deshalb die lebendige Beziehung zu seiner Schöpfung nicht aufgibt. Er realisiert sie nach den Offenbarungszeugnissen durch seine Selbstmitteilung im Heiligen Geist und durch die Inanspruchnahme geschöpflicher Botinnen und Boten. Die Engel der christlichen Tradition sind nicht göttliche Kräfte, sondern geschaffene Wesen. Von geschöpflichen Wirklichkeiten gilt, dass sie grundsätzlich menschlicher Erkenntnis (Erfahrung), wenn auch nicht wissenschaftlicher Empirie zugänglich sind. Das in menschlichen Erfahrungen Erkennbare bildet keinen Glaubensgegenstand. Die biblischen Engelszeugnisse, soweit sie nicht literarkritisch und psychologisch (Traumdeutung!) erklärt sind, brauchen nicht bezweifelt zu werden. Aber es stellt sich die Frage, welche Engelserfahrungen (von fragwürdigen Visionen abgesehen) in der Gegenwart gegeben sind. Hier könnte der biblische Sprachgebrauch hilfreich sein, dass Gott auch menschliche Botinnen und Boten in Anspruch nimmt. So wird z. B. Johannes der Täufer Engel („angelos“) genannt: Mk 1, 2 unter Zitation von Mal 3, 1. In diesem Sinn könnte sich die Frage nach Engeln heute darauf beziehen, ob nicht Gottesbotinnen und -boten nach wie vor begegnen.
Die Frage nach Schutzengeln, die ebenfalls ihre biblischen Anhaltspunkte hat (z. B. Ps 91, 11), gerät unweigerlich in die harte Problematik der Theodizee.
Quelle: Herbert Vorgrimler: Neues Theologisches Wörterbuch, Neuausgabe 2008 (6. Aufl. des Gesamtwerkes), Verlag Herder