In der altgriechischen und römischen Religiosität wurde nach dem Heil unter dem Begriff des Glücks (griechisch "eudaimonia", lateinisch "beatitudo"; Seligkeit) gefragt. Religionsphilosophisch setzt die Beschäftigung mit einem möglichen Heil die Analyse des je jetzigen Daseinsverständnisses und die Untersuchung der Frage, was Menschen eigentlich erwarten, voraus.
Die Ätiologie im Alten Testament, die Zeugnisse, wie stark Lebensbedrohungen, Schuld und Tod erfahren werden, zeigen das Bewusstsein von der Heilungsbedürftigkeit jedes menschlichen Lebens. Der Glaube an die rettende und heilende Macht Gottes und die prophetischen Ankündigungen kommender Erlösung zeigen, woher das Heil erwartet wird. Die Verkündigung Jesu lässt ihre Verwurzelung in dieser Sicht erkennen; sie preist im Vertrauen auf das Eingreifen Gottes die Bedürftigen und Armen selig. Beide Testamente verstehen Heil in einem umfassenden Sinn; zu ihm gehören innerliche Freude und Tröstung ebenso wie die Aufhebung von Krankheit und Tod. Jesus, dessen Name identisch mit seinem Evangelium ist (Jehoschua = JHWH ist Heil), fasst die Heilsverheißungen in der Ankündigung der nahegekommenen Herrschaft Gottes zusammen. Bei Paulus besteht das Heil in der Gerechtmachung der Sünder (Rechtfertigung), im neuen "Sein in Christus", in der Begabung mit dem göttlichen Pneuma als Unterpfand der Auferweckung der Toten. Paulus, die Deuteropaulinen und die Offenbarung beziehen die Schöpfung auf unterschiedliche Weise in das kommende Heil ein. Im Johannes-Evangelium ist das Heil identisch mit dem Ewigen Leben.
Der jüdisch-christliche Glaube an die Möglichkeit und Verheißung eines umfassenden Heils, das sich "schon jetzt" in bestimmter Hinsicht erfahren lässt, bringt nicht jene Gewißheit der Heilung, des Trostes, der Versöhnung, der integralen Befreiung und des Bleibenden mit sich, die das Wort Heil eigentlich meint (ähnlich ist der Sachverhalt bei dem Wort Erlösung). Der Begriff Heil ist daher nicht einfach mit dem der Gnade identisch. Im Unterschied zu allen innerweltlichen Anstrengungen, Glück und Befreiung zu erlangen (die legitim sind), und zu allen Utopien sollte ihm jenes Merkmal der vollendeten Endgültigkeit belassen bleiben, das die Theologie mit Anschauung Gottes und Auferstehung der Toten ausspricht. Dieses Menschen und Schöpfung in jeder Hinsicht umfassende Heil ist in der Zeitlichkeit des jetzigen Lebens in keiner objektiven Erlösung, in keiner Gnade und in keiner Kirche geschenkt. Die beständige Erfahrung der Menschen bezeugt das. Besonders heftig sind die Heilserwartungen der gläubigen Juden und der mit ihnen solidarischen Christen durch "Auschwitz" verstört. So steht die weitergehende Glaubensgeschichte im Zeichen der Hoffnung "gegen alle Hoffnung".
Quelle: Herbert Vorgrimler: Neues Theologisches Wörterbuch, Neuausgabe 2008 (6. Aufl. des Gesamtwerkes), Verlag Herder