1) Im antiken, auch der Bibel geläufigen Weltbild bezeichnet Himmel den oberen Raum, der die Erde überwölbt oder als Scheibe überspannt, oft in Stufen gedacht, an deren unterster die Gestirne aufgehängt sind, während die oberste als Wohnort und Thronsaal Gottes (außerhalb Israels: der Götter) gilt. Im AT heißt der untere Himmel Firmament, über dem Wasser versammelt sind und sich beim Öffnen der Schleusen auf die Erde ergießen (Gen 1, 6 ff.). Gott wohnt im Himmel (Dtn 26, 15 und ö.), hat dort einen Hofstaat um sich (Ez 1, 4–28), aus dem er Boten sendet, er sieht und spricht nach atl. Vorstellungen im Himmel, verlässt ihn beim Kommen zu Menschen und steigt wieder zu ihm auf, aber das AT selber „entmythologisiert“ dieses Bilddenken, wenn es sagt, dass Himmel und Erde Gott nicht fassen (1 Kön 8, 27; Jer 23, 24). Nach dem AT, das mehrfach die Hoffnung auf das Überleben des Todes in Geborgenheit bei Gott ausspricht, sagt dafür doch nicht „in den Himmel kommen“; nur bei Elija ist von einer Entrückung in den Himmel die Rede. Die prophetischapokalyptische Ansage verkündet ein Vergehen des Himmel und der Erde (Jes 34, 4; Jer 4, 23–28 u. ö.) und die Schaffung eines neuen Himmel und einer neuen Erde (Jes 65, 16–25; 66, 22). Das NT spricht ebenso im Sinn des antiken Weltbilds vom Wohnen Gottes und dem Standort seines Thrones im Himmel (Mt 5, 34; 6, 9 u. ö.; Hebr 8, 1; Offb 4, 2). Der johanneische Jesus ist vom Himmel „herabgekommen „ (Joh 6, 38; 6, 41: das Brot vom Himmel herabgekommen). Jesus wird zum Himmel „emporgehoben“ (Apg 1, 10 f.); Stephanus sah den Himmel offen und den erhöhten Jesus zur „Rechten“ Gottes (Apg 7, 55). Die Christen sollen nach dem streben, was „oben“ ist (Kol 3, 1), dort ist ihre Heimat (Phil 3, 20; Hebr 13, 14). Paulus berichtet von seiner Entrückung bis in den dritten Himmel (2 Kor 12, 2). Offb 21, 10 läßt das „himmlische Jerusalem“ vom Himmel herabkommen, nach Jes 60 die eschatologische Wohnstätte Gottes in der Gemeinschaft vollendeter Menschen auf der verwandelten Erde. Als gleichbedeutend mit dem Himmel als Ort der Seligkeit kann im NT und in frühjüdischen Schriften „Paradies“ stehen (Lk 23, 43; 2 Kor 12, 4; Offb 2, 7). In den ntl. Umschreibungen der 3Herrschaft Gottes mit Reich der Himmel oder „Himmelreich“ ist Himmel die ehrfürchtige Umschreibung des Namens Gottes und nicht die räumliche Verlegung der Gottesherrschaft in den Himmel.
2) In der religiös-theologischen Sprache kann Himmel auch eine Metapher für die Fülle des von Gott erhofften Heils, für die Seligkeit der in Gott vollendeten Menschen sein. In Meditationen, Visionen und künstlerischen Darstellungen nahm dieses Verständnis von Himmel in der Tradition breiten Raum ein. Christliche Spiritualität und Askese waren bis Mitte des 20. Jh. von einer Abwertung der Erde in irrtümlicher, irreführender Übersetzung des Baka-Tals Ps 84, 7 als „Jammertal“ oder „Tränental“ von „Sehnsucht nach dem Himmel“ und von dem Wunsch, sich den Himmel zu „verdienen“, geprägt. Der Theologie gelang es nicht, die Breite der biblischen Metaphern für die Vollendung in eine angemessene Redeweise vom Himmel zu übersetzen. Die Ankündigung einer „ewigen Ruhe“ mit der immerwährenden Betrachtung Gottes durch den menschlichen Intellekt in der thomistischen Theologie war nicht imstand, frohgestimmte Hoffnung zu erzeugen; die Betonung einer Zukunft radikaler Liebe zwischen Gott und seinen Geschöpfen in der skotistischen Schule kam nicht stark zur Wirkung. Für ein heutiges Verständnis der Vollendung „im Himmel“ sind folgende Momente relevant: Zur Vielfalt der biblischen Hoffnungstexte gehört, dass sie einmal in Bildern, das andere Mal in Kategorien personaler Begegnungen formuliert sind.
a) Die Verheißung, ins „Paradies „ zu kommen, beinhaltet als eschatologische Metapher die Vollendung der Schöpfung, die, ebenso wie die Vollendung des einzelnen Menschenlebens, nur durch völlige Transformation verwirklicht werden kann, weil die Signatur der Vergänglichkeit aus der Schöpfung entfernt werden muss. Sind das Universum, der Planet Erde und die ihn Bewohnenden in eine neue, bleibende Daseinsgestalt verwandelt, dann sind „der neue Himmel und die neue Erde“ da. Eine frühere Verkürzung der Eschatologie, als bestehe der Himmel nur aus Gott und den Menschen (und eventuell den Engeln), ist aufgegeben.
b) Gott zu schauen, „wie er ist“, ihm „auf dem Zion“ zu begegnen, stellt für viele Juden und Christen dasjenige dar, was mit Himmel gemeint ist. Das Eintauchen in Gottes Gegenwart, das Erfülltsein von Gottes Liebe wird seine Unbegreiflichkeit nicht aufheben, da Gott gerade in seiner Göttlichkeit nicht „geschaut“ oder begriffen werden kann.
c) Christlich glaubenden Menschen sind die Begegnung und das Zusammensein mit Jesus der Inbegriff höchsten Glücks. Mit ihm erfahren sie die bleibende Annahme des Menschseins einschließlich seiner Leiblichkeit durch Gott.
d) Für viele glaubende und hoffende Menschen gehört das „Wiedersehen“ mit Menschen, die im Tod vorangegangen sind, wesentlich zum Himmel In den biblischen Verheißungen wird das dadurch in Aussicht gestellt, dass die kommende Vollendung mittels der Metapher eines Gemeinwesens („neue Stadt“, „himmlisches Jerusalem“), von „Völkern“ bewohnt, bezeichnet wird.
e) Der Gedanke, dass der Himmel nicht langweilige Beschaulichkeit, sondern ein dynamischer Prozess sein wird, verbindet sich mit Hoffnung auf Wachstum, Ergänzung und Heilung, eine Hoffnung, die besonders wichtig ist im Hinblick auf Schulderfahrungen, auf allzu früh Verstorbene oder Ermordete, auf das behinderte und kranke oder auf das kaum begonnene Leben.
Quelle: Herbert Vorgrimler: Neues Theologisches Wörterbuch, Neuausgabe 2008 (6. Aufl. des Gesamtwerkes), Verlag Herder