Die Redeweise ist aus archaischen räumlichen Vorstellungen entstanden. Bestimmte Indizien aus den Bestattungsarten vor- und frühgeschichtlicher Menschen weisen auf den Glauben an ein Fortleben nach dem Tod hin. In den Hochkulturen entstanden Zeugnisse, die das Weltbild mit dem Jenseits in zeitgenössischen Auffassungen rekonstruieren lassen (z. B. Kult des verstorbenen Königs an den Pyramiden, 3. Jahrtausend v.Chr.; ägyptisches Totenbuch usw.). Es existieren vielfache Entwürfe einer Geographie des Jenseits, mit Zugängen, Weggabelungen in die Unterwelt und in die paradiesischen Gefilde, mit Gerichtsorten und gesonderten Stätten für Läuterungen, Strafen oder Belohnungen.
Von besonderem Einfluss auf spätere christliche Vorstellungen waren die Ausmalungen des Jenseits bei Platon († 347 v.Chr.). Das AT und das frühjüdische Schrifttum bezeugen zunächst den Glauben an das schattenhafte Fortexistieren der Verstorbenen in der Scheol, dann die Ausgestaltung der Unterwelt zur Straf-Hölle, während für Gerechte zuerst an die Entrückung in den Himmel, später auch an die Aufbewahrung in gesonderten Kammern gedacht wurde. Im biblischen Glauben stand die Erwartung einer Auferstehung der Toten bzw. in der Apokalyptik die Ansage eines Gerichts und die Umgestaltung der Erde in immer stärkerem Gegensatz zu räumlichen Vorstellungen des Jenseits.
Jesus teilte die Auferweckungshoffnungen weiter Teile des damaligen Judentums; er setzte die Redeweisen von Hölle und Himmel in seiner Verkündigung ein und unterstützte räumliche Ideen in seiner Erzählung vom jenseitigen „Schoß Abrahams“ (Lk 16, 19–31). In das NT drangen auch hellenistische Gedanken zum Überleben des Todes durch die Seele ein. Weite Texte des NT verzichten auf räumliche Redeweisen vom Jenseits, sie konzentrieren sich auf die Rettung zu Gott, auf die personale Begegnung mit Jesus und den Erwerb des Lebens in Fülle; zum Teil veranschaulichen sie den transzendenten Hintergrund mit Bildern und Symbolen.
Im Vergleich zu den Jenseits-Vorstellungen des antiken Mittelmeerraums und sonstigen Nahen Ostens sind die biblischen Materialien zum Jenseits spärlich. Dieses „Vakuum“ füllten im frühjüdischen und christlichen Schrifttum vom 2. Jh. n.Chr. an Berichte von „Jenseitsreisen“ und Visionen phantasievoll aus, die im Christentum bis ins 20. Jh. anhalten. Räumliche und physikalische Vorstellungen („arme Seelen“ im Fegfeuer, Höllenfeuer usw.) überdauerten in Verkündigung und Volksglauben ebenfalls bis ins 20. Jh.
Die Theologie der Gegenwart sucht die „diesseitige“ Dimension des Kommenden in dem Gedanken beizubehalten, dass die Vollendung (der Schöpfung und der Menschheitsgeschichte) der neue, verwandelte Zustand dieser Welt ist, in dem ihre ganze Geschichte „aufgehoben“ bleibt.
Quelle: Herbert Vorgrimler: Neues Theologisches Wörterbuch, Neuausgabe 2008 (6. Aufl. des Gesamtwerkes), Verlag Herder