Als Begriff kommt er nur im NT vor, doch weist die Exegese auf seine Hintergründe hin: Hellenistisch bezeichnet Parusie das Erscheinen eines Würdenträgers oder eines Gottes. Im AT und in der jüdischen Apokalyptik ist oft die Rede vom „Kommen Gottes“, sei es in einer Epiphanie, sei es am Ende der Geschichte. Das NT sieht die Parusie als ein Geschehen am Ende des katastrophischen, von vielen Vorzeichen angekündigten „Endes der Welt“ (Mk 13 par.), und zwar als Kommen des Menschensohnes „in den Wolken mit großer Macht und Herrlichkeit“ (Mk 13, 26) oder als Herabsteigen Jesu Christi vom Himmel (1 Thess 4, 16 f.). Das unmittelbare Ziel dieses Kommens ist die Abhaltung des eschatologischen Gerichts. Die Parusie in diesem Sinn mit der Rettung der Treuen aus den irdischen Bedrängnissen ist Gegenstand der Naherwartung bei Paulus und der Urgemeinde; auf die „Verzögerung“ der Parusie reagieren Texte des NT in unterschiedlicher Weise. Die Parusie stellt insofern ein wichtiges Thema im Verhältnis von Judentum und Kirche dar, als der von jüdischen Kreisen erwartete Messias eine siegreiche Herrschergestalt der Endzeit war, als welche der irdische Jesus mit Sicherheit nicht gelten konnte. So wird gelegentlich die P. als das wahre Erscheinen des Messias dargestellt.
In der theologischen Systematik wurden früher die biblischen Ankündigungen unreflektiert wiederholt und die Parusie im Zusammenhang mit der allgemeinen Erweckung der Toten und dem universalen Gericht thematisiert. In der gegenwärtigen Theologie wird in unterschiedlicher, nicht einfach harmonisierbarer Weise von der Parusie gesprochen. Eine Sicht fasst die Parusie zwar traditionell als (blitzartiges) Ereignis am Ende der Zeiten auf, betont aber die Identität des irdischen Jesus mit dem in Herrlichkeit kommenden erhöhten Jesus Christus und begreift das Gericht als Gnadengericht seiner erbarmenden und heilenden Liebe. Darin liegt eine wichtige Korrektur einer kirchlichen Verkündigung u. Pastoral der Einschüchterung. In einer zweiten Sicht wird behauptet, die Parusie habe sich bereits ereignet, da Jesus in der Kirche gegenwärtig sei und insbesondere in ihren Sakramenten wirke; die mit den biblischen Verheißungen gemeinte sichtbare Herrlichkeit ist hier allerdings nicht fassbar, überdies ist die Parusie wesentlich mit dem Gedanken der Vollendung verbunden, in der ja die Sakramente und Institutionen der Kirche vergangen sein werden. Eine dritte Sicht versteht die Parusie nicht als plötzlich eintretendes Ereignis, sondern als Prozess der Vollendung der Schöpfung und Menschheitsgeschichte: „Die Vollendung dieses Prozesses (dessen innerweltlich gemessene Zeitdauer niemand weiß) nennen wir Parusie Jesu Christi, insofern dann für alle offenbar ist (weil alle vollendet sind in der Endgültigkeit ihrer Rettung oder Verlorenheit), dass Anfang der Irreversibilität und tragender Grund dieses Prozesses, seine Sinnmitte und sein Höhepunkt die Wirklichkeit des Auferstandenen ist, der ›wiederkehrt‹, insofern alle bei ihm ankommen“ (Rahner-Vorgrimler 1961, 279).
Quelle: Herbert Vorgrimler: Neues Theologisches Wörterbuch, Neuausgabe 2008 (6. Aufl. des Gesamtwerkes), Verlag Herder