Wenn ein Leben sterblich ist, dann heißt das, daß seine Existenz "von außen her" beendet wird oder dass es als biologisches Leben eine endliche Zeitgestalt hat, so daß es "von innen her" beendet wird. Gott ist als absolut unsterblich zu denken; sein Leben muss als unbedrohbar und unbedroht, als Lebensfülle gedacht werden. Menschen haben in ihrem biologischen Leben eine endliche und endigende Zeitgestalt und ihr Leben kann "von außen" beendigt werden. Aber der theologische Begriff von menschlicher Unsterblichkeit besagt, dass ein Mensch – nicht autonom, sondern durch Wollen und Wirken Gottes! – sich innerhalb seiner biologischen Zeit als geistige Person in Freiheit vollendet (bzw. dass er, wenn ihm dieses Freiheitsgeschehen versagt bleibt, von Gott in seine Vollendung eingesetzt wird). Das bedeutet nicht, dass ein Mensch, wenn er im Tod seine biologische Gestalt aufgibt, "zeitlich fortdauert".
In der klassischen Theologie wurde diese Unsterblichkeit damit begründet, dass die menschliche Seele ein "übermaterielles" Lebensprinzip ist, das, wie die hier und jetzt mögliche Erfahrung der Transzendenz zeigt, sich nicht auf die Gestaltung des Zeitlich-Materiellen beschränkt. Der Einspruch der reformatorischen Theologie gegen eine Autonomie der Unsterblichkeit hat dazu geführt, dass die Ermöglichung der Unsterblichkeit durch Gottes gnadenhafte Einwirkung stärker betont und die Unsterblichkeit als dialogisches Gottesverhältnis des Menschen verstanden wird. Damit wird die Überzeugung nicht aufgegeben, dass die alte Lehre von der Unsterblichkeit insofern ihr Recht behält, als Gott die Identität des Menschen über seinen biologischen Tod hinaus erhält und ein Mensch nicht nach seiner Vernichtung in einem "Ganztod" neu erschaffen wird.
Quelle: Herbert Vorgrimler: Neues Theologisches Wörterbuch, Neuausgabe 2008 (6. Aufl. des Gesamtwerkes), Verlag Herder