Umfassender sind die Voraus-Ansagen, die sich auch auf negative Ereignisse (Leiden, Gericht) beziehen können. Die Rede von Verheißungen dient im AT dazu, die geschehende Geschichte als bewirkt durch Gott zu verstehen. Gottes Eingreifen wird in seinem Wort angekündigt, wenn es auch auf sich warten lässt; damit wirkt die Verheißung gegen Resignation und Verzweiflung. Naheliegend ist die Tendenz, geschehene Ereignisse als Erfüllungen früherer Verheißungen bzw. Ankündigungen zu interpretieren und das Wort Gottes damit als glaubwürdig zu erweisen (so in Geschichtsdeutungen der Apokalyptik oder in den Leidensweissagungen Jesu).
Das NT deutet in vielfachen Konkretionen (z. B. in „Reflexionszitaten“; in der Redeweise „gemäß den Schriften“) das „Christusereignis“ als Erfüllung alttestamentlicher Verheißungen. Diese Verfahrensweise hat wesentlich zur wachsenden Entfremdung zwischen Judentum und Kirche beigetragen.
Heute wird eingesehen, in wie vielen Bereichen das Vertrauen Israels auf die göttlichen Verheißungen durch Jesus von Nazaret nicht erfüllt wurde, also ein „Verheißungsüberschuss“ bestehen bleibt, durch den Juden und Christen gemeinsam in einem „Noch nicht“ stehen und auf eine Erfüllung in der Zukunft verwiesen sind.
Quelle: Herbert Vorgrimler: Neues Theologisches Wörterbuch, Neuausgabe 2008 (6. Aufl. des Gesamtwerkes), Verlag Herder