Die christliche Kirche ist in einem leidvollen Trennungsprozess aus der jüdischen Glaubensgemeinschaft ausgeschieden, ohne jemals ihre Verwurzelung im jüdischen Glauben und ihre Übernahme (nicht: Erbe) jüdischen Eigengutes (Gemeinschaftscharakter, Hauptbegriffe, Liturgie, Gebete, Heilige) ignorieren zu können.
Die Entstehung und Existenz der Kirche sind in Israel nicht vorausgesagt oder („typologisch“) vorausbedeutet worden. Der ntl. Begriff für Kirche (griechisch „ekklesia“, wörtlich: das Herausgerufensein, von da her: Versammlung, wie hebräisch „qahal“) umfasst sowohl die Gesamtkirche als auch die Ortskirche (Kirche Gottes in Korinth) als auch die Hauskirche. Absichten Jesu, eine eigene, von Israel getrennte Glaubensgemeinschaft zu gründen, sind nicht erkennbar, auch nicht in der Berufung von Jüngern und Jüngerinnen zur Nachfolge. In den Evangelien begegnet „ekklesia“ im Sinn von „Gesamtkirche“ in der Verheißung an Petrus (Mt 16, 17 ff.) und im Sinn von „Ortskirche“ oder auch Gemeindeversammlung (Mt 18, 17), jeweils einmal, nach exegetischer Auffassung erkennbar nachösterliche Bildungen.
Die ältesten Zeugnisse für eine Kirchengründung, diejenigen bei Paulus, führen die Existenz der Kirche auf das Wirken des Heiligen Geistes zurück (1 Kor 12), noch deutlicher im lukanischen Doppelwerk (Lk 4, 18 21; Apg 2: das Pfingstereignis). Die ersten Lebensäußerungen der Kirche bestanden darin, dass diejenigen Jünger (und Jüngerinnen), die durch die Erscheinungen des auferweckten Jesus die Gewissheit erlangt hatten, dass der Hingerichtete als zu Gott Erhöhter lebt, sich in seine Sendung einbezogen wussten und seine Verkündigung des Evangeliums aufnahmen. Das entscheidende Ereignis der Urkirche war die Entscheidung, sich für „Heiden“ (Heidentum) zu öffnen (Apg 15, 1–29; Gal 2,1–10) und damit die Mission zu bestätigen, die einige im Bewusstsein ihrer Berufung schon vorher begonnen hatten.
Das tiefere theologische Selbstverständnis der Kirche in ntl. Zeit äußert sich in Metaphern, die teils dem jüdischen Sprachgebrauch entnommen, teils spezifisch christliche Neubildungen sind. Die Übernahme von Prädikaten, die Israel gehören, geschah in den ntl. Schriften noch nicht in der Absicht, eine „Beerbung „ Israels zu behaupten; sie bezeugen vielmehr ein Stadium, in dem Israel einfach „aus dem Blick“ geraten war. Dazu gehören die Selbstbezeichnungen als “Volk Gottes“ und als „königliche Priesterschaft“ (3Priestertum). Christlich sind die Metaphern vom Leib (Jesu) Christi, vom Bau und Tempel Gottes (1 Kor 3, 9–17; Eph 2, 19–22; 1 Petr 2, 5; Hebr 3, 6 u. ö.), von der Braut Christi (Offb 19, 7 9; 23, 17; Eph 5, 25 ff.), im johanneischen Schrifttum die Metaphern von Hirt und Herde (Joh 10) und vom Weinstock mit den Rebzweigen (Joh 15). Alle diese Metaphern zeigen, dass die Kirche sich nicht als menschlicher Zusammenschluss von Glaubenden, sondern als Gründung Gottes im Heiligen Geist verstand, mit den Aufgaben, einander im Glauben zu stärken, die Vielfalt der Gaben (Charisma) in den Dienst des Ganzen zu stellen, in der Lebensführung der Berufung als „Heilige“ zu entsprechen und nach „außen“ hin glaubwürdig (durch die „Früchte des Geistes“ ausgewiesen) das Evangelium Jesu Christi zu bezeugen.
Als wesentliche sakramentale Selbstvollzüge der jungen Kirche erscheinen Taufe und Eucharistie, doch sind auch Ansätze zu weiteren Sakramentsbildungen zu erkennen. Diesen Zielen, die als Wille Gottes erkannt und geglaubt werden, dient der immer deutlichere Ausbau kirchlicher Dienste und Ämter (Amt). Während die Apg ein Idealbild des christlichen Gemeinschaftslebens zeichnet, das sowohl konkret nie existiert hat, wird aus Briefen und Evangelien (Mt 18; Joh 20) deutlich, dass die frühe Kirche unter dem Vorkommen massiver Schuld in ihrer Mitte litt, dass Parteien, Spaltungen und (in den „johanneischen“ Brudergemeinden) ein sektenhaftes Konventikelwesen existierten; ferner musste die Identität des Evangeliums mühsam gegen abweichende Interpretationen (Häresien) unter Rückbezug auf die Tradition des Anfangs gesichert werden. So sind auch Anfänge der Bildung des biblischen 3Kanons zu erkennen, in dem sich die frühe Kirche ihre normative Heilige Schrift gab.