„Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Joh 20,21). Mit diesen Worten an seine Jünger stellte Jesus sicher, dass sein Werk auch nach seinem Tod fortgeführt wurde. Seine Jünger waren berufen, Sünden zu vergeben, Gottes Wort zu verkündigen und zu missionieren.
Auftrag an alle Christen
Der Apostel Paulus erklärte der Gemeinde in Rom, dass auch sie „von Jesus Christus berufen“ sei (Röm 1,5). Die Weitergabe der jesuanischen Ideale ist nicht die Aufgabe weniger Auserwählter, sondern ein Kernauftrag aller Christen. Im Christentum geht man davon aus, dass Gott sich jedem Menschen persönlich zuwendet, daher gilt auch die Berufung allen Menschen. Sie richtet sich dabei aber nicht nach den individuellen Leistungen, sondern beruht allein auf Gottes Gnade.
Diese allgemeine Berufung aller Christen hat die römisch-katholische Kirche mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil wieder anerkannt. In der „Dogmatischen Konstitution über die Kirche - Lumen Gentium“ heißt es, dass „alle Christgläubigen jeglichen Standes oder Randes zur Fülle des christlichen Lebens und zur vollkommenen Liebe berufen sind.“ Deswegen sind alle Christen „zum Streben nach Heiligkeit und ihrem Stand entsprechender Vollkommenheit eingeladen und verpflichtet“.
Geistliches Leben
Martin Luther verband die Berufung eng mit dem Beruf. Für ihn basierte die Tätigkeit – Beruf oder Ehrenamt - eines Menschen auf seiner inneren Berufung durch Gott. Daher sehen die Kirchen der Reformation keine Vorrangstellung der geistlichen Berufe, sondern erachten jede Berufserfüllung als Dienst an Gott. Die römisch-katholische Kirche kennt dagegen noch eine gesonderte Berufung zum „geweihten Leben“, zum Priester, zum Ordensmann oder zur Ordensfrau.
Die Entscheidung, der geistlichen Berufung zu folgen, habe auch in der heutigen Zeit noch ihre Daseinsberechtigung, erklärte der Bostoner Erzbischof Sean Patrick O’Malley in einem Interview mit der Herder Korrespondenz. „Die große Krankheit unserer modernen Gesellschaft ist der übertriebene Individualismus. Und wenn diese Leute auch meinen, dass sie glücklich sind und ihnen nichts fehlt – spätestens wenn sie alt sind, werden sie denken: War das die richtige Wahl? Hätte ich der Welt vielleicht etwas mehr von mir selbst geben können? Paul VI. hat gesagt, die Kirche braucht Zeugen mehr als Lehrer. Die Glaubensweitergabe spielt sich nicht nur im Reich der Ideen ab. Wenn wir uns bemühen, unseren Glauben kohärent zu leben, dann können wir ein Zeichen sein, dass eine andere Art zu leben existiert, und dass diese Lebensweise Freude und auch Erfolgsgefühl mit sich bringt. Ein Leben des Dienstes, ein Leben nach den Idealen Jesu, humanisiert eine Gesellschaft.“
Papst Franziskus über die Berufung
Auch Papst Franziskus hat sich in seinem jüngsten Gesprächsband „Die Kraft der Berufung“ dem geistlichen Leben gewidmet. Das seien vor allem die geweihten Menschen, „die die keine Ansprüche stellen, die keinen Lärm machen, sondern arbeiten, ohne sich selbst wichtig zu nehmen. Jene, die die Theologie des geweihten Lebens betreiben, indem sie sie leben, indem sie sie beten: jene Menschen, die so etwas wie eine Grunddemut besitzen. Es sind hart arbeitende Menschen, und sie nehmen ihr Leben als Geweihte sehr ernst, im Bildungsbereich ebenso wie in den Pfarreien, in den Krankenhäusern, in den Missionen oder wo auch immer sie im Dienst der anderen tätig sind.“
Dabei ist es dem Papst wichtig, dass die Berufenen nicht einfach Anweisungen befolgen, sondern zu eigenen Entscheidungen fähig sind. „Ein junger Mensch, ein Ordensmann, eine Ordensfrau muss in allem wachsen und nicht nur starre Regeln befolgen. Natürlich muss er auch gesunde Normen einhalten, die die Berufung unterstützen, aber diese starre Observanz oberflächlicher Dinge ist nicht christlich … Die wahre Liebe ist nie starr.“ Man müsse den Willen Gottes selbst suchen, in Gemeinschaft, mit den Oberen oder auch alleine. Aber „du musst hinausgehen und den Willen Gottes suchen.“
Es bringe jedoch nichts, „nach Berufungen zu ‚fischen‘“. Man müsse die Menschen, die sich zum geistlichen Leben berufen fühlen, sorgfältig prüfen, aber auch die Kandidaten müssten ihre Absichten genau hinterfragen. Wer im Kloster nur den Schutz vor der wirklichen Welt suche, sei kein geeigneter Kandidat. Menschen, die sich für das geweihte Leben entscheiden, müssen erwachsen sein. Sie müssen Entscheidungen treffen, sich ihrer selbst sicher sein und mit Leidenschaft für die Sache Jesu einstehen. „Du darfst dich nicht fürchten, du musst einen Dialog führen und zuhören können.“ Wichtig sei vor allem „das Zeugnis einer mit Freude gelebten Weihe. Mehr bedarf es nicht. Das ist die beste Werbung.“
Auch wenn es heute nach Ansicht von Papst Franziskus schwerer geworden ist, als geweihte Personen zu leben, dürfen sich die Priester und Ordensleute jedoch nicht hinter die Kirchen- oder Klostermauern zurückziehen, sondern müssen sich den aktuellen gesellschaftlichen Fragen stellen. „Das Heute ist die Gegenwart, und dort müssen wir aus unserem Charisma heraus antworten. Das ist eine Herausforderung, die Leidenschaft von uns verlangt.“ Es gehe darum, dorthin zu gehen, wohin Gott führe und „sich von seiner Verheißung leiten zu lassen“.
Das Entscheidende im Leben der Berufenen müsse aber immer Gottes Wort bleiben, erklärt Papst Franziskus. „Ein geweihtes Leben, in dem Jesus nicht gegenwärtig ist mit seinem Wort im Evangelium, mit seiner Inspiration: Das funktioniert nicht.“