Das Bedürfnis, Erinnerungsstücke an Tote, auch körperliche wie Haare, aufzubewahren, ist allgemein menschlich verbreitet und stellt eine Äußerung der Liebe und Verehrung dar. Dass es sich auch in kirchlichen Zusammenhängen äußerte (bezeugt beim Martyrium des Polykarp †156), ist verständlich. In „gläubiger“ Sicht wird den Überbleibseln allerdings das Innewohnen der übernatürlichen Kraft des Heiligen zugeschrieben; ein guter Erhaltungszustand der Leiche gilt als Erweis besonderer Heiligkeit. Diese Auffassungen führten zu dem Glauben, die beigesetzten Reliquien wirkten Wunder; Wallfahrten zu Heiligengräbern mit entsprechender äußerer Verehrung verbreiteten sich seit der Zeit der Kaiserin Helena († um 328). Jahrhundertelang galten die Gräber als unantastbar (Ausnahmen: „Translationen“ von Heiligen in neue Grabstätten).
Vom 9. Jh. an bis heute werden körperliche Überbleibsel den Gräbern entnommen, Skelette in kleinste Teilchen zersägt usw. Im Spätmittelalter wurden Reliquien unter großen Kosten erworben; die Verehrung mit Ablässen gefördert. Der Export von Reliquien aus Rom wurde seit der Entdeckung der Katakomben (seit dem 16. Jh.; nicht alle waren christliche Begräbnisstätten, aber alle Gräber galten als die von Märtyrern) enorm gesteigert.
Die Aufklärung übte heftige Kritik am Reliquienwesen. Auf dem II. Vaticanum vorgetragene Forderungen, die Reliquienverehrung zu beendigen und die Reliquien „ehrfurchtsvoll zu begraben“, blieben folgenlos.
Das neue katholische Kirchenrecht von 1983 bleibt bei der Empfehlung, in alle Altäre Reliquien einzumauern. Selig- und Heiligsprechungen gelten als „Erhebung zur Ehre der Altäre“ (Aufbrechen der Gräber, soweit vorhanden, und Übertragung der Reliquien in eine Kirche).
Quelle: Herbert Vorgrimler: Neues Theologisches Wörterbuch, Neuausgabe 2008 (6. Aufl. des Gesamtwerkes), Verlag Herder