Nach dem Willen des II. Vaticanum soll die Krankensalbung („unctio infirmorum“) besser nicht „Letzte Ölung“ genannt werden, da sie nicht nur das Sakrament für diejenigen ist, die sich in äußerster Lebensgefahr befinden (SC 73; LG 11). Nach der römischen Ordnung von 1972 ist es für die bestimmt, deren Gesundheitszustand bedrohlich angegriffen ist, und für die, die sich in Lebensgefahr befinden.
Zur Geschichte
Die biblische Begründung wird stets von Jak 5, 14 ff. abgeleitet, wonach die Vorsteher der Gemeinde (die „Ältesten“) über den Kranken beten, ihn mit Öl salben (gemäß der alten Verbindung von Salbung und Heilungshoffnung) und den Namen des Herrn anrufen sollen; diese Weisung ist mit der Verheißung verbunden, dass Gott den Kranken „aufrichten“ und ihm die Sünden vergeben wird; damit man Heilung finde, sollen die Gläubigen einander die Sünden bekennen und füreinander beten. Die spätere theologische Reflexion bezog sich darauf, dass die hier ausgesprochene „Vollmacht“ vor allem der Sündenvergebung nur von Gott geschenkt sein kann, so dass die Symbolhandlung als ein Sakrament aufgefasst werden darf, auch wenn ein ausdrückliches „Stiftungswort“ Jesu fehlt.
Das Verständnis und die Praxis der Krankensalbung erlebten im Lauf der Geschichte einschneidende Veränderungen. Die älteste im Zusammenhang mit der Krankensalbung relevante Tradition (erste Hälfte des 3. Jh.) bezieht sich auf die dem Bischof vorbehaltene Ölweihe; durch sie erlangt das geweihte Öl seine heilende und stärkende Kraft. Die Frage nach einer speziellen „Spendervollmacht „ stellt sich überhaupt nicht: auch „Laien“ können das geweihte Öl bei sich zu Hause aufbewahren, bei anderen und sogar bei sich selber in der ganzen Breite der von der Antike her bekannten Möglichkeiten anwenden. Die Intention der Zeugnisse geht dahin, Gläubige abzuhalten, sich Öl bei Zauberern zu beschaffen. Diese Sicht ist in einem Schreiben des Bischofs von Rom von 416 wiedergegeben, in dem die Krankensalbung erstmals „Sakrament“ genannt wird. Auffassung und Praxis änderten sich im germanisch-fränkischen Bereich („karolingische Renaissance“), als die Krankensalbung dem geweihten Priester vorbehalten wurde und für eine Krankensalbung (wegen der ntl. Mehrzahl der „Ältesten“) z.T. 7 Priester notwendig wurden und aufwendig entlohnt werden mussten; im Fall der Genesung musste der Geheilte weitgehend lebenslang auf die Freuden der Sinne, die mit der Krankensalbung Gott geweiht wurden, verzichten. Diese Faktoren bewirkten, dass die Krankensalbung auf das Lebensende verschoben, zur „Letzten Ölung“ („extrema unctio“) wurde. Eine ähnliche Entwicklung vollzog sich im Bereich der Ostkirchen: Krankensalbung nicht nur als Heilmittel der Kranken, sondern auch als Vollendung der Buße. Die Betonung verlagerte sich in Ost und West auf die Heilung der Seele.
Bei der sakramententheologischen Reflexion der Scholastik über Begriff und Zahl der Sakramente gehörte die Krankensalbung immer zur Siebenzahl; ihre sündenvergebende Wirkung (eigentliche Sünden oder nur Sündenstrafen?) wurde diskutiert. Während M. Luther († 1546) die Krankensalbung auf eine Empfehlung des Apostels Jakobus zurückführte, also ihre Sakramentalität bestritt, aber ihren Gebrauch freistellte, lehnte J. Calvin († 1564) die Krankensalbung strikt ab. Das Konzil von Trient verteidigte die Krankensalbung als von Jesus Christus eingesetztes, von Jakobus rechtskräftig verkündetes Sakrament v. a. für Kranke in Todesgefahr, das Gnade mitteile und Vergebung der Sünden bewirke, den Kranken zum leichteren Ertragen der Krankheit aufrichte, und manchmal, wenn es der Seele nütze, zur Genesung verhelfe; „eigentliche Spender“ seien die Priester. In diesem Sinn wurde die Krankensalbung in der katholischen Kirche 400 Jahre lang gelehrt und praktiziert.
Während sich die Theologie relativ wenig mit ihr beschäftigte, geriet das Sakrament mit zunehmender Aufklärung und Säkularisierung in eine Existenzkrise: Den mit der Krankensalbung herannahenden Priester empfanden viele Kranke, Angehörige und Ärzte als Todesboten, durch dessen Erscheinen die Ängste des Patienten vermehrt und die Widerstandskräfte vollends gebrochen würden. Im Glauben unterrichtete Patienten, die in der Krankheit Trost und Hilfe vom Gebet und vom Vollzug des Bußsakraments und von der Eucharistie (als der eigentlichen „Wegzehrung“) erhofften, dabei durchaus positiv zur Kirche gehören wollten, sahen nur noch historische Gründe für die Existenz der Krankensalbung und lehnten sie daher als überflüssig ab. In dieser Situation reformierte das II. Vaticanum Lehre und Praxis der Krankensalbung (siehe oben). Für diejenigen, die in traditioneller Religiosität die Praxis der Krankensalbung beibehalten wollen, bedeutet der Priestermangel in der Krankenhausseelsorge, dass Kranke in der Situation großer Not von der Kirche im Stich gelassen werden. Die Geschichte der Krankensalbung zeigt, dass sie ohne theologische Probleme in die Obhut von Diakonen und Laien gelegt werden könnte. Dies wegen der Berufsprofilierung der Priester zu verweigern, stellt ein Fehlurteil in der Abwägung von Gütern dar.
Zur Theologie
Die theologische Deutung der Krankensalbung kann nicht mehr von einem inneren Zusammenhang von Krankheit und Sünde ausgehen. Dass die Krankensalbung in einer Situation tiefer Krise des Leidenden eine spezifische „Begegnung mit dem leidenden Herrn“ sein soll, ist ein interessebedingtes ideologisches Konstrukt, ebenso die Forderung, die Krankensalbung als Tauferneuerung zu verstehen. So bleibt als theologische Basis offensichtlich nur der ekklesiale Aspekt: In einer andrängenden Not, mit Ängsten, Schmerzen und Hilflosigkeit verbunden, die an Mitleid und Solidarität appelliert, bekennt sich die Kirche in einem Sakrament, das wesentlich im fürbittenden Gebet (Epiklese) im Vertrauen auf Gott besteht, als mit dem leidenden Mitmenschen zutiefst verbunden.
Quelle: Herbert Vorgrimler: Neues Theologisches Wörterbuch, Neuausgabe 2008 (6. Aufl. des Gesamtwerkes), Verlag Herder