Die 50 gilt im Allgemeinen als wichtige Marke. Das dürfte auch auf die beiden großen Kirchen in Deutschland zutreffen. Deren Vertreter betonen immer wieder, dass die Zeit der "Volkskirchen" unwiderruflich vorbei ist, als sich nahezu jedermann hierzulande entweder als Katholik oder Protestant zu erkennen gab. Gleichwohl spielt die Zahl der Mitglieder für die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz eine Rolle.
Und da blieben die beiden großen Kirchen zusammen auch im vergangenen Jahr im Verhältnis ihres Anteils zur Gesamtbevölkerung von 82,7 Millionen über der 50-Prozent-Marke. Das geht aus den Statistiken der Deutschen Bischofskonferenz und der EKD für 2017 hervor. Bundesweit hatte die katholische Kirche demnach rund 23,3 Millionen Mitglieder, was 28,2 Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht. Die EKD bezifferte die Zahl ihrer Mitglieder in den 20 Landeskirchen auf 21,5 Millionen, ein Anteil von etwa 26 Prozent.
Das macht zusammen rund 54,2 Prozent. Rechnet man noch die evangelischen Freikirchen, die Orthodoxen sowie die Angehörigen anderer christlicher Kirchen oder Gemeinschaften hinzu, steigt dieser Wert sogar auf 57,6 Prozent. Doch der Trend, das räumen Bischofskonferenz und EKD ein, zeigt weiter nach unten. Ein Grund ist der demografische Wandel. Es sterben mehr Mitglieder als neue hinzukommen. So verzeichnet die katholische Kirche für das Jahr 2017 fast 244.000 Bestattungen - bei knapp 170.000 Taufen und 9.332 Neuaufnahmen oder Wiedereintritten. Die EKD zählte für 2017 rund 350.000 verstorbene Mitglieder gegenüber circa 180.000 Taufen und 25.000 Aufnahmen.
Weiterhin viele Kirchenaustritte zu verzeichnen
Weiterhin auf hohem Niveau bleibt die Zahl der Austritte. Der katholischen Kirche kehrten im vergangenen Jahr 167.504 Menschen den Rücken; in den EKD-Landeskirchen waren es rund 200.000 Austritte. Von schmerzlichen Zahlen spricht der Sekretär der Bischofskonferenz, Pater Hans Langendörfer, und würdigt die Bemühungen einzelner der 27 katholischen Bistümer, den Gründen "sowohl für die bleibende Kirchenmitgliedschaft als auch für den Kirchenaustritt" nachzugehen. Das Bistum Essen stellte im März seine Studie "Kirchenaustritt - oder nicht? Wie Kirche sich verändern muss" vor. Gerade jüngere Menschen liegen demnach mit kirchlichen Moralvorstellungen über Kreuz, halten die Kirche insgesamt für wenig glaubwürdig. Von einer "Katastrophe" spricht Generalvikar Klaus Pfeffer angesichts dieser Befunde im Interview mit WDR 5, wirbt aber zugleich um eine differenzierte Sicht auf die Kirche.
Trotzdem ist zwischen den Zeilen Unbehagen darüber herauszulesen, dass in den Gemeinden zwischen Flensburg und Passau der Nachwuchs ausbleibt. "Uns beschäftigt nicht nur die konstant hohe Zahl der Austritte, sondern auch die signifikant überdurchschnittlichen Austritte in der Altersgruppe der 15- bis 44-Jährigen", sagt beispielsweise der Generalvikar des Bistums Rottenburg-Stuttgart, Clemens Stroppel.
Dies wiederum dürfte mittelfristig auch Auswirkungen auf die Finanzlage haben. Zwar erreichten die Kirchensteuereinnahmen mit rund 6,43 Milliarden Euro für die katholische beziehungsweise 5,67 Milliarden Euro für die evangelische Kirche abermals neue Rekordwerte. Doch die EKD weist darauf hin, dass schon jetzt ein Ende dieser Entwicklung absehbar ist. Einen großen Teil des Aufkommens brächten derzeit nämlich die geburtenstarken Jahrgänge zwischen 1955 und 1969 auf. Durch das Ausscheiden dieser "Babyboomer-Generation" aus dem Erwerbsleben werde deren Beitrag deutlich sinken.
Die von der Bischofskonferenz außerdem veröffentlichten Vergleichszahlen von 1997 machen noch einmal deutlicher, um welche Größenordnungen es langfristig geht. Vor 20 Jahren betrug die Zahl der Katholiken noch 27,38 Millionen (rund ein Drittel der Gesamtbevölkerung) - sie verminderte sich fast flächendeckend um bald 15 Prozent. Im gleichen Zeitraum sank die Zahl der Protestanten, die 1997 letztmalig leicht über derjenigen der Katholiken lag, um mehr als 21 Prozent.
Höchste Verluste in Magdeburg - Berlin stemmt sich gegen den Trend
Die höchsten Verluste der deutschen Bistümer hatte in dieser Zeit Magdeburg zu verbuchen: Die Katholikenzahl in Sachsen-Anhalt halbierte sich von 190.000 auf zuletzt 82.000. Auf evangelischer Seite verlor die kleine Landeskirche Anhalts seit 2001 (damals 60.000) fast die Hälfte ihrer Mitglieder (32.611 im Jahr 2017). Im mitgliederschwächsten Bistum Görlitz sank die Zahl von 50.000 auf 29.000, wobei in den beiden zurückliegenden Jahren erstmals wieder ein leichter Zuwachs zu verzeichnen war - wegen der Zuwanderung aus Polen. Bemerkenswert ist, dass Görlitz nach wie vor Spitzenreiter beim Gottesdienstbesuch ist: Mit 18,8 Prozent liegt die Quote hier wieder deutlich über dem Durchschnitt der deutschen Bistümer von 9,8 Prozent.
Eine besondere Entwicklung ist in Berlin zu verzeichnen: Entgegen dem allgemeinen Trend konnte sich die katholische Kirche hier recht stabil bei rund 9 Prozent der Bevölkerung behaupten und in absoluten Zahlen zuletzt um gut 8.000 auf knapp 340.000 zulegen - dabei profitiert das Erzbistum Berlin von der Zuwanderung in die mittlerweile mehr als 3,6 Millionen Einwohner zählende Hauptstadt. Dagegen hat die evangelische Kirche hier dramatisch an Mitgliedern verloren: Waren es 2001 noch 784.000 Protestanten (23,1 Prozent der Bevölkerung), so sind es jetzt nur noch 576.000 (16 Prozent). Beide "großen" Kirchen repräsentieren zusammen nur noch ein Viertel der Einwohner.
Die Herausforderungen für beide Kirchen sind groß, und es bleibt die Frage, wie sie sich in der Gesellschaft behaupten. "Wir müssen neue Wege finden, wie wir Menschen erreichen, sie begleiten und ihnen nah sein können", fasst Bischofskonferenz-Sekretär Langendörfer zusammen. Immerhin: Die EKD stellt eine weiter zunehmende soziale Bedeutung kirchlicher Arbeit fest, zum Beispiel in der Kinderbetreuung. So böten evangelische Kirche und Diakonie in ihren Kindertagesstätten und Horten inzwischen mehr als eine halbe Million Plätze an.