Hier geht es nicht um die immensen Kulturleistungen des Judentums oder um seine moderne Geschichte, sondern um die religiös-theologisch relevante Geschichte Israels und um die fundamentalen Inhalte seines Glaubens.
Zur Geschichte
Die Existenz des alten Israel (hebräisch, Deutung unsicher, vielleicht "Gott = El möge streiten" oder "Gott möge herrschen") ist nicht nur in der Bibel, sondern auch in außerbiblischen Quellen bezeugt. Die Bibel berichtet von Wanderungen der Patriarchen (Abraham) in Palästina, von der Knechtschaft in Ägypten mit dem Exodus als fundamentaler Befreiungserfahrung und von anschließender Wüstenwanderung der Mosegruppe. Trotz unterschiedlicher Hypothesen wird der Beginn der Geschichte Israels von vielen mit der 2. Hälfte des 13. Jahrhundert v. Chr. und der sogenannten Landnahme (wohl ein Umschichtungsprozess innerhalb Kanaans) angesetzt. (Aus dieser Zeit ist außerbiblisch ein Stamm "Hapiru" bezeugt, von dem sich möglicherweise der Begriff "Hebräer" ableitet.) Ein Verband von Stämmen hatte den Gott El verehrt und sich daher Israel genannt. Nomadische Einwanderer aus dem Sinai brachten die Jahwe-Verehrung nach Kanaan, wo El allmählich mit JHWH gleichgesetzt wurde. Soziologisch war dieses Volk durch Blutsverwandtschaft, relative Armut und Struktur in 12 Stämmen ohne zentrale Leitungsinstanz (aber mit "Richtern") charakterisiert. Infolge verschiedener Bedrängnisse wurden Versuche zur Staatsbildung unternommen, die schließlich zur Einsetzung Sauls (um 1014 v.Chr.) als König führten.
David begründete Israel als (multinationales) Großreich und machte Jerusalem zur Hauptstadt. Sein Nachfolger Salomo (965–926) erbaute den Tempel als Staatsheiligtum: JHWH als in der Nachbarschaft des Königs auf dem Zion thronender Gott. Nach Salomos Tod zerfiel das Reich in zwei Teile. Das Nordreich erhielt den Namen Israel mit eigenen Heiligtümern und erst später der Hauptstadt Samaria, mit heftigen Auseinandersetzungen der Anhänger des Gottes Baal mit den Verehrern JHWHs (die Propheten Elija und Elischa), später mit dem warnenden Wirken der Propheten Amos und Hosea, mit vielen Bedrängnissen und Unruhen, bis das Staatsgebiet sukzessiv von Assyrien erobert wurde; die Hauptstadt Samaria fiel 722 v. Chr., viele Bewohner wurden nach Assyrien deportiert. Das Südreich führte den Namen Juda mit Jerusalem als Hauptstadt und dem Zion als Heiligtum, war aber ein assyrischer Vasallenstaat (Wirken des Propheten Jesaja im 8. Jahrhundert v. Chr.); nach einem Aufschwung (Reform des Joschija) zuerst Vasallenstaat Ägyptens, dann Babyloniens (Wirken der Propheten Jeremia und Ezechiel); nach Aufständen Eroberung und Zerstörung Jerusalems 586 v.Chr., Deportation vieler Bewohner ins babylonische Exil, wo sie ihre Religion behalten durften. Unter der Herrschaft der Perser wurden die Rückwanderung und der Wiederaufbau des Tempels (515 v. Chr. eingeweiht) sowie ein eigenes Recht gestattet (Esra und Nehemia). Von der selbständigen Provinz Juda im 5. Jahrhundert leitet sich nun der von außen gegebene und verwendete Name "Juden" ab; "Judentum" wird die Bezeichnung einer offiziell anerkannten Religion, deren Grundlagen die gemeinsame Geschichte und die ein Volk bildenden Verwandtschaftsverhältnisse sind.
Im 4. Jahrhundert begann die Zugehörigkeit dieses jüdischen Gebietes zum hellenistischen Staat der Ptolemäer unter Beibehaltung einer relativen Selbständigkeit (von nun an bedeutende Rolle der Hohenpriester und des Hohen Rats). Auf dem Gebiet des früheren Nordreichs spalten sich die Samaritaner mit einem eigenen Tempel auf dem Garizim ab. Eine bedeutende Judengruppe lebt in Alexandrien, führt zur Vermittlung von jüdischer und griechischer Mentalität und hat eine hohe Kultur (Entstehung der LXX). Als auf die Ptolemäer die Seleukiden folgten, wurden die jüdischen religiösen Rechte beseitigt (167 v. Chr. wird der Tempel dem griechischen Hauptgott Zeus gewidmet), so dass es zu den Aufständen der Hasmonäer und Makkabäer kam. Trotz religiöser Freiheit nahm die Verweltlichung zu, so dass oppositionelle fromme Gruppen entstanden (Chassidim, Qumran-Leute, Essener, Pharisäer). 63 v. Chr. erfolgten die Besetzung durch die Römer unter Pompeius und eine territoriale Neugliederung unter Beibehaltung der religiösen Rechte. Der Idumäer Herodes († 4 v. Chr.) war römischer Vasallenkönig eines großen Reiches; er suchte die Juden unter anderem durch Umbau, Vergrößerung und Verschönerung des Tempels für sich zu gewinnen. Unruhen gegen die Römer begannen schon zu seiner Zeit und führten 66 n. Chr. zu dem großen Aufstand, der 70 n. Chr. mit der Zerstörung Jerusalems und des Tempels endete. Ein neuer Aufstand unter Bar Kochba endete äußerst verlustreich 135 n. Chr. Von nun an durften Juden das frühere Jerusalem, nun Colonia Aelia Capitolina, nicht mehr betreten; das ganze Territorium war die römische Provinz Syria Palaestinae (Palästinas Name von den früheren jüdischen Feinden, den "Philistern", abgeleitet).
Zum Glauben Israels
Israel versteht sich laut ältestem Beleg im Debora-Lied (Ri 5) als "Volk JHWHs", geeint durch gemeinsamen Glauben, gemeinsame Geschichte und besondere Beziehung zu seinem Land, als JHWH-Gemeinschaft, Volk Gottes (Ri 20, 2; 2 Sam 14, 14), gerade auch in seiner Stämmeordnung eine Gründung JHWHs. Diese Zugehörigkeit äußerte sich schon früh in der ausschließlichen Verehrung JHWHs, neben dem zunächst die Existenz anderer Götter nicht geleugnet wurde (Monolatrie). Die Identifizierung JHWHs mit dem kanaanäischen Schöpfergott El führte zum Bekenntnis Israels zu seinem Gott als dem einzigen Schöpfer des Himmels und der Erde. Die Bejahung der Gutheit der Schöpfung als solcher (nicht der Zustände in ihr) und daher der dankbare Genuß ihrer Güter gehört wesentlich zur jüdischen Religiosität. Diese Glaubensinhalte hielten sich auch nach der Teilung in zwei Reiche durch. Unerschüttert blieb das Bewusstsein, erwähltes Gottesvolk zu sein, vertieft durch den Glauben an den Bund (Dekalog) und durch die Verpflichtung auf die Tora. Die Umwandlung der Monolatrie in den Monotheismus ist höchstwahrscheinlich der Besinnung während des Exils in Babylonien zu verdanken (Dtn 4, 35 39: "JHWH ist der Gott, keiner sonst außer ihm").
Eine theologische Krise stellte das babylonische Exil insofern dar, als die Frage aufkam, ob die Deportierten oder die Verbliebenen das "wahre Israel" seien. Nach der Rückkehr wurde an die alten Traditionen angeknüpft, aber immer wieder wurde nach der Identität Israels gefragt (sind es die Armen? die Frommen?). Je mehr die staatliche Souveränität verlorenging, umso stärker wurde die Gemeinschaftsbildung durch die kultische Gottesverehrung und durch das Ritual von Beschneidung und Sabbat betont. Allerdings führten äußere und innere Gründe dazu, dass die Bildung kleiner Glaubensgemeinschaften abseits des Tempelkults mit seinen Opfern notwendig für das religiöse Überleben wurde: Wortgottesdienste in Synagogen wurden eingeführt. Je größer die äußeren Bedrängnisse nach dem Wiederaufbau des Tempels waren, umso größer wurde die eschatologische Hoffnung, sowohl auf individuelle Rettung durch Gott als auch auf radikale, verwandelnde Erneuerung der Schöpfung, genährt durch prophetische und apokalyptische Verheißungen. Der Glaube hielt daran fest, daß Gott Israel "wiederherstellen" werde, mit oder ohne Hilfe eines Messias. Je unbedeutender Israel in der Politik war, desto deutlicher wurde seine Erwählung als Dienst auch für andere wahrgenommen (Universalismus des Heilswillens Gottes, geoffenbart in der Prophetie der Völkerwallfahrt). Seit der Katastrophe des Jahres 586 v. Chr. kam es in Israel immer wieder und kommt es auch im heutigen Judentum zu Widersprüchen zwischen weltoffenen, reformorientierten Tendenzen und der Religiosität von Sondergruppen, die sich als "Kern-Israel" und als Hüter der alten Glaubens- und Sittentraditionen verstehen. Diese Pluralität verbietet es, von "den Juden" oder "dem Judentum" zu sprechen.
Quelle: Herbert Vorgrimler: Neues Theologisches Wörterbuch, Neuausgabe 2008 (6. Aufl. des Gesamtwerkes), Verlag Herder