„Oratio est propriae religionis actus. – Gebet ist Akt der Gottesverehrung im eigentlichen Sinne“, schrieb einst der Kirchenlehrer Thomas von Aquin. Im Christentum nimmt das Gebet eine zentrale Rolle in der Beziehung der Gläubigen zu Gott ein. „Das Gebet ist der Eintritt in den Dialog mit Gott, an dessen Wesen und Geschichte der Mensch und seine Geschichte Orientierung und Stabilität gewinnen“, erklärt der Theologe Stefan Walser. Die verschiedenen Formen des Betens können das gesamte menschliche Leben in all seinen Facetten begleiten. Die Grundbewegung des christlichen Gebets führt im Heiligen Geist durch Jesus Christus zu Gott dem Vater.
Formen des Gebets
Das Wort „Gebet“ stammt ursprünglich vom Verb „bitten“. Unter dem Begriff werden heute jedoch viele verschiedene Gebetsformen verstanden, nicht nur das klassische Bittgebet. Ein Gebet kann frei formuliert werden oder aus der kirchlichen Gebetstradition stammen, wie etwa das von Jesus Christus selbst in den Evangelien überlieferte Vaterunser, die alttestamentlichen Psalmen oder das Stundengebet. Gebetet werden kann allein oder in Gemeinschaft, gesprochen, gesungen oder in Stille, an verschiedenen Orten und Zeiten sowie mit unterschiedlichen Ritualen und Gesten, beispielsweise dem Knien in der Kirchenbank oder dem Anzünden von Opferkerzen. Das liturgische Gebet unterscheidet sich durch seinen Ort innerhalb eines Rituals als standardisiertes Kommunikationsgeschehen von spontanen Gebetsäußerungen. Die Formen des Betens reichen vom Bitten und Fürbitten bis zum Loben und Danken, von der Anbetung bis hin zur Klage wie im biblischen Ijob-Buch.
Zeiten des Gebets
Gebetszeiten begleiten und rhythmisieren den Tag, den Abend und die Nacht. Sie werden in ihrer Regelmäßigkeit besonders in Klöstern gepflegt. Die meisten Ordensgemeinschaften beten sieben Mal täglich: Vigil, Laudes, Terz, Sext, Non, Vesper und Komplet werden die Gebetszeiten des Stundengebets genannt. Mit der Liturgiereform im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils (1970) wurde die Tagzeitenliturgie, das Stundengebet der katholischen Kirche, auf Lesehore, Laudes, Mittagshore, Vesper und Komplet reduziert, die Psalmen werden verteilt über vier Wochen ergänzt.
Die Institutionalisierung des Gebets als religiöse Pflicht sorgt beispielsweise mit Gebetszeiten für den festen Einbezug des Dialogs mit Gott in den Rhythmus des täglichen Lebens. So kann das Beten seine gestaltende Kraft entfalten. Geistliche Erfahrung führte zu der normativen Entwicklung, dass Morgen und Abend sowie gemeinsame Mahlzeiten als bevorzugte Gebetsanlässe wahrgenommen werden.
Gebetstexte beinhalten den Schatz der geistlichen Tradition des gelebten Christentums. Sie können die Überwindung der Sprachlosigkeit vor Gott und die Strukturierung der eigenen Gedanken unterstützen.
Das Bittgebet - Ein "Ernstfall des Glaubens"
Das Bittgebet nimmt unter den Gebetsformen eine besondere Stellung ein – es ist der „Ernstfall des Glaubens“, so formulierte Kardinal Walter Kasper. Es ist ein Prüfstein für die Gebetslehre: Warum und wie handelt Gott auf das vertrauende Bitten des Menschen, der sich im Gebet in seiner fundamentalen Angewiesenheit vor Gott bloßstellt? In seinem Beten erkennt der Mensch an, dass die Nöte seiner irdischen Existenz in der Verfügung Gottes stehen. Das Gebet ist dabei nicht frommes Mittel zum Zweck, um die eigenen Wünsche durchzusetzen – es ist die Einlassstelle für Gott in das menschliche Dasein. Das Bittgebet ist durch die vorausliegende Zugeneigtheit Gottes erhörungsgewiss (vgl. Mk 12,34). Es verleiht dem Menschen in der verlebendigten Gottesbeziehung als Glauben, Hoffen und Lieben neuen Stand. In Bezug auf nicht erhörte Bitten kann das Wort des Augustinus geltend gemacht werden: „Gut ist Gott, der oftmals nicht gibt, was wir wollen, auf dass er uns gebe, was wir lieber wollen sollen.“ So ist denn eine abgeschlagene Bitte nicht Willkür, sondern Antwort.
Der Rosenkranz - Ein meditatives Wiederholungsgebet
Ursprünglich stammt das Rosenkranzbeten vom meditativen Wiederholen eines kurzen Gebetes. Das kann ein kurzer Text aus der Heiligen Schrift sein. Seit dem Mittelalter stellten Ordensleute ihr Leben so bewusst in die Gegenwart Gottes und verbreiteten diese Gebetsform. Die Bezeichnung „Rosenkranz“ für eine Aneinanderreihung des „Ave Maria“ lässt sich auf Blumenkränze zurückführen, die im Mittelalter bei festlichen liturgischen Feiern getragen und mit denen Heiligenfiguren geschmückt wurden. Demnach entstand diese Gebetsform über Jahrhunderte in der christlichen Glaubenspraxis und wurde nachträglich durch die Kirche autorisiert.
Heute wird der Rosenkranz eingeleitet an seinem Kreuz durch das Apostolische Glaubensbekenntnis, das „Ehre sei dem Vater“, das „Vaterunser“ und drei „Ave Maria“ mit den Ergänzungen: „Jesus, der in uns den Glauben vermehre“, „Jesus, der in uns die Hoffnung stärke“ und „Jesus, der in uns die Liebe entzünde“. Dann wird das „Ave Maria“ jeweils mit einem Ereignis aus dem Leben Jesu und Mariens zehn Mal wiederholt. So bilden zehn „Ave Maria“ ein sogenanntes „Rosenkranzgesätz“. Sie werden jeweils eingerahmt vom „Vaterunser“ und einem „Ehre sei dem Vater“. Die ausgewählten Ereignisse werden unterschieden in die Geheimnisse des freudenreichen, schmerzhaften und glorreichen Rosenkranzes, jeweils mit fünf Einzelgeheimnissen. Im Jahr 2002 fügte Papst Johannes Paul II. den lichtreichen Rosenkranz hinzu, was einen Viererrhythmus ergibt, der auf Festzeiten, Tage oder Wochen verteilt dem Betenden ermöglicht, sich beim Rosenkranzgebet in 20 Szenen des Lebens Jesu und Mariens zu vertiefen. Die manuelle Hilfe ist der materielle „Rosenkranz“, eine Gebetsschnur mit fünfmal zehn Perlen, die der Betende durch die Finger gleiten lässt. Jeweils am Ende erinnert eine Perle an das abschließende „Ehre sei dem Vater“ und das „Vaterunser“. Auf diese Weise wird im kontemplativen Rosenkranzgebet das Evangelium zusammengefasst. Das Leben Jesu kann im Bedenken der einzelnen Geheimnisse nachempfunden werden.
Weitere Gebete
Als besondere Gebete der Kontemplation sind ebenfalls das Ruhegebet und das Herzensgebet oder Jesusgebet zu nennen. Letzteres nimmt Bezug auf 1 Thess 5,17 („Betet ohne Unterlass!“): In der Ewigen Anbetung soll Gott ununterbrochen gehuldigt werden. Für dieses immerwährende Gebet wird die Formel „Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner“ wiederholt. Darüber hinaus kennt die römisch-katholische Kirche die Eucharistische Anbetung, bei der die konsekrierte Hostie verehrt wird.
Zum Abschluss
Meine Brüder, schließen wir leise,
damit wir nicht Gottes stilles
und doch so mächtiges Gnadenwort in uns
durch das anmaßend laute
und schwache Menschenwort übertönen.
Sagen wir: "Herr, hilf meinem Unglauben!",
gib mir die Gnade des Glaubens
an Jesus Christus, unseren Herrn,
ein Evangelium und seine rettende Gnade.
(Karl Rahner S.J.)