Im Zentrum des Fairen Handels steht der partnerschaftliche Umgang mit Personengruppen, die vom globalen Warenhandel marginalisiert werden. Er versteht sich als Alternativansatz zum herrschenden Welthandelssystem und will durch die Förderung von Kleinproduzenten in Entwicklungsländern mehr Gerechtigkeit in der Weltwirtschaft herstellen. Zu seinen Instrumenten zählen die faire Entlohnung der Beschäftigten, die Sicherstellung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen, langfristige Kooperationsbeziehungen, die Umgehung "ausbeuterischer", also Benachteiligung hervorbringender Strukturen, sowie eine Reihe von Zusatzleistungen, welche Kleinbauern und Kleinhandwerkern aus Entwicklungsländern eine verbesserte Teilhabe am Weltmarkt ermöglichen sollen. Der Entwicklungstheorie des indischen Wirtschaftswissenschaftlers und Nobelpreisträgers Amartya Sen unbewußt und gleichwohl konsequent folgend, bemüht sich Fairer Handel, durch korrigierende Eingriffe das Funktionieren von Märkten zugunsten dieser im Weltmarktgeschehen benachteiligten Produzenten und Produzentinnen zu optimieren.
Im Unterscheid zu anderen Initiativen betätigt sich Fairer Handel nicht in erster Linie lobbyistisch, sondern bringt sich selbst als wirtschaftlicher Akteur ein. Er will als parteiischer Marktteilnehmer in Verbindung mit kritischen Konsumenten neue Wege eines von ethisch-solidarischen Optionen bestimmten Wirtschaftens aufweisen. Zwar formulieren Fair-Handels-Organisationen durchaus ordnungspolitische Forderungen für eine Rahmensetzung, die den Teilhabechancen von Entwicklungsländern am Weltmarkt ausreichend im Sinn der Entwicklungsförderung und Armutsbekämpfung Rechnung tragen soll. Die Antriebsfeder der Fair-Handels-Bewegung ist es jedoch, mit Hilfe des Warenhandels wirksame Verbesserungen und konkrete Entwicklungsschritte auf der Produzentenseite zu erreichen.
Gleichwohl muß kritisch vermerkt werden, daß in den ersten drei Jahrzehnten (1970-2000) dieses Handeln allzusehr auf eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Nische beschränkt war. Nach einem knappen historischen Rückblick soll daher im folgenden der Frage nachgegangen werden, was den Entwicklungsweg dieses Ansatzes geprägt hat und ob der derzeitige Übergang zu einer Fair-Handels-Branche ein zukunftsträchtiges Szenario bietet.
Von der Aktion zum Markt
In Deutschland geht die Idee des Fairen Handels auf eine Initiative kirchlicher Jugendorganisationen zurück. Sie verstanden die im Jahr 1970 ins Leben gerufene "Aktion Dritte Welt Handel" als ein handlungsorientiertes Modell für Bildungsarbeit zu entwicklungspolitischen Themen: Jugendgruppen wurden aufgerufen, bei Basaren Kunsthandwerk "aus der Dritten Welt" zu verkaufen, um damit sich und andere über die Entwicklungsproblematik zu informieren. Mit "Indio-Kaffee" aus Guatemala und der Simba-Singa-Teeaktion setzte man auf weltmarktrelevante Verbrauchsprodukte, um die Vermittlung weltwirtschaftlicher Problemstellungen zu erleichtern. Bekanntheit erlangte die Aktion "Jute statt Plastik" ab 1978. Jutetaschen wurden zum Inbegriff eines alternativen Lebensstils, der Entwicklungs- und Umweltprobleme im Zusammenhang sah. Im Gefolge der linksgerichteten Revolution der Sandinisten in Nicaragua entwickelte sich in den 80er Jahren "Kaffee aus Nicaragua" zu einem politischen Bekenntnis und zum Symbol einer neuen Gesellschaftsordnung.
Obwohl seit Mitte der 70er Jahre eine Reihe sogenannter alternativer Importorganisationen gegründet wurden - die bis heute wichtigsten sind GEPA, El Puente und dwp - und bis 1990 rund 550 ehrenamtlich geführte Weltläden und 5000 Aktionsgruppen entstanden waren, bewegte sich die Initiative weiter in einer Marktnische. Somit drängte sich die Frage nach einer Zusammenarbeit mit den Vertretern konventioneller Handelsstrukturen auf. Mit der Gründung der Siegelorganisation TransFair e.V. wurde 1992 eine wichtige Voraussetzung für den Zugang zum Massenmarkt geschaffen: ein unabhängiges Produktsiegel. Mit dessen Einführung wurde zugleich der Begriff "Fairer Handel" (Fair Trade) geboren.
Die neue Konkurrenz in den Supermärkten spornte die Weltladenbewegung zu Profilierung und Professionalisierung an. Die Import-Organisationen stellten mit weiterverarbeiteten Produkten ein breiteres Sortiment zur Verfügung, und in den ehrenamtlich geführten Weltläden wurden die Aktionen und politischen Kampagnen verstärkt: Ob Bananen-Kampagne gegen EU-Verordnung, "Made in Dignity" zugunsten menschenwürdiger Arbeitsbedingungen oder die Ernährungssouveränität der Entwicklungsländer - kein entwicklungspolitisches Thema war ihnen zu kompliziert, um es auf die Straße zu tragen oder ins Schaufenster zu stellen.
In den zurückliegenden fünf Jahren hat der Faire Handel neuen und enormen Aufschwung erfahren: Verarbeiter, Supermarktketten, Discounter und multinationale Lebensmittelkonzerne haben den Fairen Handel entdeckt, einzelne ihrer Produkte den Kriterien und der Kontrolle des inzwischen internationalen Fairtrade-Siegels unterworfen oder gar eigene faire Handelsmarken eingeführt. Das Umsatzwachstum bewegte sich seit 2005 jährlich zwischen 22 und 38 Prozent und die Zahl der Supermärkte, die Fairtrade-Produkte führen, ist seither von 24000 auf über 30000 gestiegen. Nimmt man die Ankündigungen der multinationalen Kaffee- und Süßigkeitenkonzerne ernst, so werden diese in den kommenden Jahren noch weitaus mehr Produkte mit Fairtrade-Siegel anbieten.
Fairer Handel als Solidaritätsbewegung
Dieser Abriß der Geschichte des Fairen Handels1 zeigt, daß aus einer Aktionskampagne kirchlicher Verbände eine Solidaritätsbewegung entstanden ist, die wiederum durch Wachstum und Ausdifferenzierung schließlich zu ersten Veränderungen in Richtung Marktbranche geführt hat. Werfen wir zunächst einen Blick auf den Bewegungscharakter des Fairen Handels.
Zu den wesentlichen Eckpunkten sozialer Bewegungen gehören ein kollektiver Akteur, Dauerhaftigkeit sowie weitreichende Ziele, die auf den Wandel sozialer oder anderer Rahmenbedingungen abzielen oder diesen verhindern wollen. Weitere Merkmale sind eine geringe Rollenspezifikation, variable Organisations- und Aktionsformen, eine hohe symbolische Integration sowie die Mobilisierung von Unterstützung. Ohne sich in eine einzelne Organisation hinein zu institutionalisieren (und sich damit als Bewegung aufzulösen), bringt eine soziale Bewegung ihre eigenen Organisationen hervor, die - teils untereinander konkurrierend - arbeitsteilig an der Zielverwirklichung mitwirken. Außerdem steht die Bewegung zu anderen Organisationen in Kontakt, die sie zur Unterstützung mobilisieren kann, ohne daß diese zu Trägern der Bewegung aufsteigen2.
Kennzeichnend für eine Bewegung - und damit auch in Abgrenzung zu single-issue-Gruppierungen - ist die Grundsätzlichkeit ihrer Zielrichtung. Diese suchte die Fair-Handels-Bewegung auf zwei Ebenen zu bearbeiten: durch Information und Bewußtseinsbildung auf der einen und durch Handel und Verkauf auf der anderen Seite. Die schon früh aufgestellte Zwei-Standbeine-Theorie der "Aktion Dritte Welt Handel", Bildungsarbeit und Verkauf3, findet ihren bewegungstheoretischen Hintergrund im Mobilisierungsbestreben sozialer Bewegungen sowie in der Aktionsorientierung als ihrer öffentlichkeitsbezogenen Dimension.
Mit der Zweigleisigkeit von Bewußtseinsbildung und Verkauf hat die Fair-Handels- Bewegung einen modus vivendi entwickelt, mit dem sie die für soziale Bewegungen typischerweise prekäre Ressourcenlage mit einer öffentlichkeitsträchtigen Aktionsform kompensieren konnte. Mobilisierung - und auch das scheint für soziale Bewegungen typisch - setzt zwar inhaltlich auf ein "ad extra", wenngleich sie sozial ihre Kraft vor allem "ad intra" entfaltet. Dies läßt sich auch an der Bildungsarbeit im Fairen Handel ablesen, welche eine klare Außenorientierung beansprucht, wenngleich sie nach innen, also bei den Engagierten selbst, besonders wirksam wurde4. Auch die Organisationsstrukturen im Fairen Handel spiegeln deutlich den Ansatz sozialer Bewegungen wider: Neben "Bewegungsorganisationen" wie den Importfirmen, der Siegelinitiative oder Basisgruppen und ihren Zusammenschlüssen stehen "mobilisierte Organisationen", die für den Fairen Handel selbst wichtige mobilisierende Akteure darstellten oder die diese Aktion bzw. Bewegung überhaupt auf den Weg brachten, jedoch keineswegs in der Bewegung aufgingen.
Das Zusammenwirken von mobilisierten Organisationen und Bewegungsorganisationen artikulierte sich im zweiten und dritten Jahrzehnt der Fair-Handels-Bewegung vorwiegend als Konfliktfalle. Aus theoretischer und zeitlicher Distanz jedoch gilt: Mobilisierte Organisationen wie die kirchlichen Hilfswerke und Jugendverbände haben den Aufbau von Bewegungsorganisationen maßgeblich getragen. Damit haben sie zur Institutionalisierung des Fairen Handels Wesentliches beigetragen und die Fortentwicklung von der (zeitlich befristeten) Aktion zur (unbefristeten) Solidaritätsbewegung ermöglicht. Gleichzeitig darf die Bedeutung der Basisorganisationen der Bewegung nicht unterbewertet werden, sind sie doch der Mutterboden, ohne den aus einer Aktion keine Bewegung hätte entstehen können. So muß schließlich das konfliktträchtige Zusammenwirken als Sachgrund der erreichten gesellschaftlichen Einwurzelung verstanden werden.
Zwei Herkunftsmilieus und ein alter Zielkonflikt
Die Fair-Handels-Bewegung gründet sowohl im kirchlichen als auch im studentischen Milieu. Das erklärt ihre sozialstrukturelle Heterogenität. Franz-Josef Stummann hat bereits 1976 - zutreffend und zugleich aufschlußreich - eine Differenzierung innerhalb der Dritte-Welt-Bewegung beobachtet. Er unterscheidet zwischen Vertretern und Gruppen einer "integrierten Aktion Dritte Welt", die sich zustimmend und unterstützend der Arbeit der Hilfswerke anschlössen und Unterstützern einer "kritischen Aktion Dritte Welt", die sich von offiziellen Institutionen distanzierten und eine "Neue Gesellschaft" und "richtiges Bewußtsein" anstrebten5. Diese soziologische Einteilung erklärt schließlich auch den Visionskonflikt innerhalb der Fair-Handels-Bewegung, welcher zwischen den Polen Systemveränderung und Systemüberwindung häufig äußerst konfliktreich verlaufen ist.
Die spannungsgeladene interne Debatte über die "richtige Solidarität" durchzieht wie ein roter Faden die Geschichte der Fair-Handels-Bewegung seit Anfang der 70er Jahre bis heute. Ob in der Bewertung des Verhältnisses von Bildung und Verkauf bei der Aktion "Jute statt Plastik" Ende der 70er, in der Debatte über die effektivste Form der Unterstützung des sandinistischen Gesellschaftsmodells in Nicaragua in den 80ern oder in der Auseinandersetzung über die politische Korrektheit der Zusammenarbeit mit dem konventionellen Handel Anfang der 90er bzw. mit Discountern und multinationalen Konzernen im zurückliegenden Jahrzehnt: Die Prioritätenfrage zwischen Bildungsauftrag und Handelsausweitung und das Spannungsfeld zwischen ideologischer Korrektheit und ökonomischer Ausrichtung stellten sich als prinzipiell unauflösbar heraus, wenngleich es sich pragmatisch unablässig zugunsten der je letzteren verschob.
Allerdings sollen die Konfliktlinien hier nicht nachträglich schöngeredet werden. Letztlich sind sie dafür verantwortlich, daß der Faire Handel viel zu lange in einer Nischenexistenz verharrte und daß durch interne Querelen die Mobilisierung der Bevölkerung für sein Anliegen vernachlässigt wurde. Möglicherweise hat die FairHandels-Bewegung dadurch selbst dazu beigetragen, daß heute für die Abdeckung eines mittlerweile attraktiv gewordenen ethischen Marktsegments kommerzielle Firmen über genügend Potential verfügen können. Anderseits hat die sich letztlich latent durchsetzende Priorität der Umsatz- und Verkaufsorientierung auch die wirtschafts-, gesellschafts- und konsumkritische Aktion vernachlässigt. Damit überließ die Fair-Handels-Bewegung - wohl eher unbeabsichtigt - den Platz neuen globalisierungskritischen Aktionen und Netzwerken, wie zum Beispiel Attac, welche heute die gesellschaftspolitischen Debatten weltweit aufrecht erhalten, die in den 80er und 90er Jahren wesentlich in der deutschsprachigen Weltladen-Szene beheimatet waren.
Wunsch und Wehe: Überwindung der Nischenexistenz
Die leitende Entwicklungsperspektive und Vision der Fair-Handels-Bewegung bestand lange Zeit darin, aus der eigenen Markt- und Gesellschaftsnische auszubrechen. Dieses Anliegen war jedoch Wunsch und Wehe zugleich: Neben der Überzeugung von der eigenen Idee artikulierte sich darin auch die Sehnsucht nach Anerkennung. Doch der Weg in den Massenmarkt erforderte (und erfordert bis heute) Kompromisse und Entscheidungen, die weite Kreise der Bewegung nur mit Zähneknirschen eingehen konnten. Die Kooperation mit Supermärkten, mit Discountern und multinationalen Konzernen bedeutete immer auch die Kooperation mit denjenigen, die man für Ungerechtigkeitssituationen und Ausbeutungszustände mit verantwortlich gemacht hatte und die somit mittelbar den Grund für das eigene Engagement verkörperten.
Zugleich verkannte (und verkennt) die Solidaritätsbewegung aber, daß ihre Vision, den Fairen Handel zu einem ernstzunehmenden Wirtschaftsfaktor zu machen, einen konsequenten Wachstumsimpetus - vor anderen Zielen und Methoden - erfordert. Im Sinn einer möglichst umfangreichen und spürbaren Verbesserung der Lebenssituationen und Marktzugänge der Produzenten sowie im Horizont einer gerechten Welthandelsordnung findet dies zwar breite Zustimmung. Allerdings hat die Fair-Handels-Bewegung in ihrer 40jährigen Geschichte zu wenig gelernt, mit ihren Bedenken bezüglich Trittbrettfahrern, einer möglichen Verwässerung der Prinzipien oder der Gefahr des Glaubwürdigkeitsverlusts umzugehen und neue Akteure nicht per se damit in Verbindung zu bringen. Angesichts solcher Besorgnisse sei daran erinnert: Fairer Handel ist nicht als Firma, nicht als Produktmarke und nicht als Handelskette gegründet worden, sondern als eine Solidaritätsaktion, aus der heraus sich Vertriebs- und Importfirmen, Siegelmarke und Einzelhandel (Weltläden) entwickelten. Aus der Solidaritätsaktion wurde eine kontinuierlich arbeitende soziale Bewegung, zu deren Eigenheiten ihre Pluralität gehört. Aus dieser Charakteristik heraus betrachtet wäre Trittbrettfahrertum nichts "Abwegiges", sondern Selbstvollzug des pluralistischen Bewegungscharakters und Öffnung der Idee über angestammte Milieus hinaus.
An der Schwelle zur Fair-Handels-Branche
Die Bestrebungen zu Handelsausweitung und "Markteroberung" in den verschiedenen Stadien der Fair-Handels-Bewegung führen zu der Annahme, daß eine solche Entwicklung auf den Wandel hin zu einer Handelsbranche hinauslaufen muß. Dies entspricht zwar zunächst nicht herkömmlichen Branchenklassifikationen; gleichwohl ist es mit den gängigen Beschreibungen vereinbar, denen zufolge eine Gruppe von Unternehmen, die ähnliche Produkte herstellen oder verkaufen oder ähnliche Dienstleistungen erbringen, als Branche oder Wirtschaftszweig zusammengefaßt werden. Die Fortentwicklung der Fair-Handels-Bewegung zur Fair- Handels-Branche liegt auf einer Kontinuitätslinie - nicht nur, was die Gewinnung möglichst vieler "fairer" Konsumentinnen und Konsumenten anbelangt, sondern auch was die Selbstverfassung des Fairen Handels betrifft.
In der Fair-Handels-Geschichte gibt es dafür drei wesentliche Ankerpunkte: erstens die a priori entstandene organisatorische Trennung von Einzelhandelsebene (Weltläden) und Import- und Großhandelsebene (GEPA, El Puente, dwp); zweitens die bewußt angestrebte Öffnung für die konventionellen Handelsstrukturen durch die Einführung einer unabhängigen Siegelvergabe (TransFair); drittens die (daraus erwachsenen) Professionalisierungsbestrebungen der Weltläden. Dies zusammengenommen kann als übliche Differenzierung und Profilierung von Funktionen innerhalb einer Marktbranche verstanden werden.
Ein solcher Wandlungsprozeß mag in den ursprünglichen, politisch und solidarisch motivierten Kreisen des Fairen Handels zunächst Befürchtungen auslösen, beinhaltet auf der anderen Seite jedoch auch Chancen im Sinn der Bewegung. Diese gilt es klar zu unterscheiden und zu bewerten. Denn eine Fair-Handels-Branche, in der auch hierzulande zunehmend Menschen ihren Lebensunterhalt verdienen möchten und welche sicher für Umsatz- und Absatzsteigerungen im Interesse der Produzenten sorgen dürfte, widerspricht nicht der Verbreitung eines fairen Konsums, sondern kann diesen weiter voranbringen. Im Sinn von "Hilfe durch Fairen Handel" entspricht dies dem jahrzehntelangen Anliegen der Fair-Handels-Bewegung. Gleichwohl brächte der Wandel hin zu einer Branchenexistenz eine veränderte Rolle für das ehrenamtliche Engagement mit sich, besonders auf dem Feld der (kirchlichen) Aktionsgruppen und insofern vielleicht auch für den Bereich der bewußtseinsbildenden Arbeit6, denn eine branchenförmige Fortentwicklung könnte auch eine weitere Professionalisierung und Profilierung der Informations-, Bildungs- und Kampagnenarbeit im Fairen Handel bedeuten. Fraglich ist gleichwohl, inwiefern deren Charakter durch eine möglicherweise notwendig werdende und Entscheidungen leitende wirtschaftliche Tragfähigkeit verändert wird. Im schlimmsten Fall könnte entwicklungsbezogene Bewußtseinsbildung und Information über Produkt und Produzent zur bloßen Werbung für den Kauf von Fairtrade-Produkten verkommen. Dies ist jedoch kein zwangsläufiges Szenario. Vielmehr kann im positiven Sinn damit gerechnet werden, daß über einschlägige Werbekanäle und -botschaften einem weiter gefaßten Adressatenkreis das Anliegen der Fair-Handels- Bewegung theoretisch (bewußtseinsbildend) und praktisch (handlungsleitend für eigenes Einkaufsverhalten) erschlossen werden könnte7.
Herausforderung: Den Wandel meistern
Basistrends wie die Moralisierung der Märkte8 und die Ausrichtung der Lebensweise auf Gesundheit und Nachhaltigkeit (Lifestyle of Health and Sustainability - "LOHAS"), die ausdrücklich auch den Fairen Handel umfassen9, legen die Vermutung nahe, daß die Wachstumstendenz im Fairen Handel bislang noch nicht an ihrem Scheitelpunkt angekommen ist. Marktforschungsdaten aus dem Jahr 200910 belegen, daß es ein noch unerreichtes "Käuferpotential" gibt: Trotz deutlicher Verlagerung von Nichtkäufer-Sympathisanten zu Gelegenheitskäufern umfaßt die Gruppe derer, die zwar die Produkte nicht kaufen, aber die Idee für unterstützenswert halten, 29,7 Prozent der deutschen Bevölkerung. Sie liegt damit in derselben Größenordnung wie diejenigen 30,7 Prozent, die gelegentlich (mehrmals im Jahr) oder regelmäßig (mindestens monatlich) faire Produkte kaufen.
Die Erwartung eines fortdauernden Wachstumstrends stellt eine große Herausforderung für die Fair-Handels-Bewegung dar - nicht nur, weil jegliche Art von Wachstumsprozeß bewältigt sein will. Insbesondere weil sich bei einer sozialen Bewegung wie dem Fairen Handel fortdauernd wachsende gesellschaftliche Akzeptanz, Steigerung der öffentlichen und medialen Aufmerksamkeit und nicht zuletzt auf der wirtschaftlichen Ebene des Vertriebs, des Handels und des Marketings die von außen an die Fair-Handels-Bewegung gestellten Anforderungen erhöhen, ist ein fundamentaler Veränderungsdruck auf die Bewegung gegeben. Speziell die Seite des ehrenamtlichen Engagements ist davon betroffen, weil es eine erhebliche Veränderungsbereitschaft erfordert, mit den Anforderungen Schritt halten zu können, und der Außendruck anderseits auch nicht dadurch verringert werden kann, indem er ignoriert oder pessimistisch bewertet wird. Die Reichweite dieses Veränderungsdrucks läßt sich am Beispiel des Fairen Handels in den USA skizzieren, wo sich das Fair-Handels-Siegel mittlerweile von einer "radikalen Solidaritätsbewegung" zu einem "Mainstream-Trend" im Einzelhandel entwickelt hat11.
Kehrseite der Entwicklung
Auch die seit Jahrzehnten tätigen Fair-Handels-Organisationen können nur bedingt an dieser Entwicklung teilhaben, was entwicklungspolitisch von Bedeutung ist. Sie stehen in besonderer Weise für einen partnerschaftlichen Handel und langfristige Entwicklungsförderung, weil sie nicht nur am Verkauf der Produkte, sondern auch an Entwicklung und Veränderung bei ihren Partnern in den Ländern des Südens interessiert sind. Deshalb begnügte man sich nicht nur mit der Erfüllung von Siegelkriterien, sondern beschäftigte sich flexibel mit den Bedingungen der Produzenten.
Die negativen Auswirkungen solcher Wachstumsprozesse zeigen sich in der Praxis der Partner im Süden: Kleine, im Aufbau befindliche Produzentenorganisationen stehen in der Gefahr, an den Bedürfnissen eines Fairtrade-Massenmarktes mit großen Mengen, professionellen Ansprüchen, Effizienzerfordernissen und hoher gleichbleibender Produktqualität zu scheitern. Doch Fairer Handel wurde ins Leben gerufen, um gerade benachteiligten Kleinproduzenten eine Perspektive zu schaffen. Von langjährigen Produzentenorganisationen wird hier zunehmend Kritik laut. Sie befürchten, daß unerfahrene und kleine Organisationen auch innerhalb der Fair-Handels-Branche an den Rand gedrängt werden könnten.
Für multinationale Konzerne hat die Solidarität mit Kleinbauern kaum Priorität, sondern die Teilhabe an einem zunehmend attraktiveren ethischen Markt. Dies an sich wäre nicht das Problem (und eine mitmenschliche Motivation sollte auch Konzernmanagern nicht grundsätzlich abgesprochen werden), solange nicht der Marktdruck dazu führt, Standardsetzung, Siegelkontrolle, Produzentenauswahl und Lieferantenbeziehung allein nach den Wünschen der einflußreichen und zahlungskräftigen Abnehmer und Vermarkter auszurichten. In manchen Fällen sind die Berichte der Vertreter von Produzentenorganisationen hierüber schon sehr kritisch, und dies sollte zu Recht von der Solidaritätsbewegung aufmerksam verfolgt und begleitet werden.
Identitätskonflikt: Alternative oder Modell?
Neben der Verhaftung der Fair-Handels-Bewegung im Herkunftsmilieu diagnostizierte vor zehn Jahren die Studie "Entwicklungspolitische Wirkungen des Fairen Handels" eine ungelöste bzw. uneindeutige Identitätskonstruktion: "Die Abgrenzung des Fairen Handels ist aber nicht mit in einer psychologisch nachvollziehbaren (Selbst-)Beschränkung auf das eigene Milieu zu erklären, sondern ist auch wesentlich in einer konzeptionellen Unklarheit begründet, die - kurz gesagt - auf den Nenner 'Fairer Handel als Alternative oder Modell' gebracht werden kann." 12
Das damit benannte Spannungsfeld dreht sich um die Frage, ob Fairer Handel sich eher als ein auf den konventionellen Handel hin verallgemeinerbares Modell versteht oder ob er vielmehr eine Alternative gerade zu diesem konventionellen Markt darstellt. Geht es darum, ein in sich geschlossenes, mit eigenen Kriterien, Logiken, Akteuren, Strukturen und Wegen ausgestattetes Handelssystem zu praktizieren, das gerade in dieser Exklusivität seine Beispielhaftigkeit und Vorbildlichkeit zum Ausdruck bringt und von daher das vorherrschende Handelssystem in Frage stellt? Oder geht es primär darum, mit den Ansprüchen eines fairen und gerechten Wirtschaftens sowie den Fairtrade-Produkten den konventionellen Markt zu durchdringen und unter Beweis zu stellen, daß Fairer Handel auch unter den normalen Bedingungen des Marktes (und nicht nur im Sonderbereich eines Alternativmodells) eine gangbare und realistische Alternative darstellt?
Anders ausgedrückt: Ist der Faire Handel im wesentlichen Symbol einer gerechteren Weltwirtschaft, oder ist er deren Instrument? Im letzteren Fall wäre die Eroberung von Absatzwegen und Marktanteilen unumgängliche Notwendigkeit in der Zielverfolgung des Fairen Handels, im ersteren Fall könnte eben dies eine Verletzung seiner Symbolhaftigkeit bedeuten.
Allerdings hat die Marktentwicklung der Fair-Handels-Bewegung die Entscheidungsmacht in dieser Identitätsfrage wohl aus der Hand genommen: Indem die Akteure des konventionellen Handels sich immer stärker den Fairen Handel aneignen und (in Zukunft) auch ökonomisch dominieren werden, wird sich die Option einer "Alternative zum bestehenden Handelssystem" von selbst erledigen und könnte die Vorstellung eines "Symbols für Veränderung" praktisch ad absurdum geführt werden. Die andere Option, Modell und Instrument eines gerechteren Welthandels zu sein, ist gleichwohl ebenfalls kein Automatismus. Möglicherweise leitet sich daraus für die Zukunft eine neue Aufgabenkonstellation zwischen Fair-Handels-Bewegung und Fair-Handels-Branche ab: die Branche, die wirtschaftlich und unternehmerisch Fairen Handel betreibt und die hinsichtlich der Entwicklungs- und Gerechtigkeitswirkungen ihres Wirtschaftens von der Bewegung kritisch begleitet und kontrolliert wird. Dies entspräche - auf anderem Niveau - der altbekannten Aufgabenteilung zwischen Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen.
Sofern dies nicht das Zukunftsszenario der Fair-Handels-Solidaritätsbewegung werden soll, werden die ehrenamtlich wie beruflich Engagierten grundsätzlich neu darüber nachdenken müssen, was sie dem schleichenden Verlust an Marktanteilen am boomenden Fair-Handels-Markt entgegensetzen möchten. Andernfalls könnte das wiederholt befürchtete Auseinanderfallen von Fair-Handels-Bewegung und Fair-Handels-Branche unausweichlich werden.