Kirchentag der Ungleichzeitigkeiten

Vom 12. bis 16. Mai 2010 findet in München der 2. Ökumenische Kirchentag statt. Das Leitwort ist dem ersten Petrusbrief (1,21) entnommen: "Damit ihr Hoffnung habt". Erzbischof Reinhard Marx, dessen Erzbistum München und Freising zusammen mit der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Bayern Gastgeber ist, hat in seinem Fastenhirtenbrief betont, es gehe "um mehr als um ein Treffen naiver Weltverbesserer oder unaufhörlich klagender Schwarzseher. Als Christen sollten wir deutlich machen: Weil wir eine Hoffnung haben, die auf Christus gründet, können wir anderen Hoffnung machen."

Eine vollständige Einheit der getrennten christlichen Konfessionen ist nach wie vor nicht in Sicht. Die von Karl Rahner SJ und Heinrich Fries 1983 vorgelegten acht Thesen "Einigung der Kirchen - reale Möglichkeit" sind Geschichte. Lohnt es sich wirklich nicht, sie noch einmal aufzugreifen? Die Grundwahrheiten des Christentums sollten demnach "für alle Teilkirchen der künftig einen Kirche verpflichtend" sein. Als "realistisches Glaubensprinzip" schlugen die beiden Theologen vor: "In keiner Teilkirche darf dezidiert und bekenntnismäßig ein Satz verworfen werden, der in einer anderen Teilkirche ein verpflichtendes Dogma ist." Eberhard Jüngel und Edmund Schlink reagierten damals positiv. Joseph Ratzinger qualifizierte die Thesen als "Parforceritt zur Einheit" und "Kunstgriff theologischer Akrobatik" ab. "Man kann die Konfessionen", so der Kardinal, "nicht wie auf einem Kasernenhof zueinander dirigieren und sagen: Hauptsache, sie marschieren miteinander; was sie dabei denken, ist im einzelnen nicht so wichtig."

Inzwischen kam es am Reformationstag 1999 zwischen dem Lutherischen Weltbund und der Römisch-katholischen Kirche zur Unterzeichnung der "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre". Am 22. April 2001 unterschrieben die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und der Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) die Charta Oecumenica. Am 29. April 2007 einigten sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die Deutsche Bischofskonferenz, orthodoxe und altorientalische Kirchen sowie Freikirchen in Magdeburg auf die wechselseitige Anerkennung der Taufe.

Kleinreden sollte man den Stand der Ökumene also nicht. Als Präsident des Rates zur Förderung der Einheit der Christen eine Art Ökumene-Minister des Vatikans, hat Kurienkardinal Walter Kasper am zehnten Jahrestag der Augsburger Erklärung in einem ökumenischen Gottesdienst gemeint: "Das gottlose Gejammere über vermeintlichen Stillstand in der Ökumene und die elende Miesmacherei, die spießig nur sieht, was alles noch nicht erreicht ist, die aber vergißt, was uns auch in den letzten Jahren geschenkt worden ist, sind bare Undankbarkeit." Es gab und gibt Durchbrüche (auch wenn die Augsburger Erklärung praktisch in letzter Sekunde von namhaften deutschen protestantischen Theologen abgelehnt wurde), genauso wie Rückschläge (etwa das "Trauerspiel" um die gemeinsame Bibelübersetzung). Papst Benedikt XVI. wird vorgehalten, eine "Ökumene konservativer Christen" zu fördern. Sein Vorgänger Johannes Paul II. hatte einer "Rückkehrökumene" wiederholt eine entschiedene Absage erteilt.

Das Terrain ist abgesteckt, die Stichworte sind etabliert: Ökumene der Profile, Differenzökumene, differenzierter Konsens, versöhnte Verschiedenheit, Einheit in Verschiedenheit ... Aber der ökumenische Dialog ist mehr als der Austausch von Vokabeln, die der einfache Christ kaum versteht. Nach dem durch das Zweite Vatikanische Konzil ausgelösten ökumenischen Frühling scheint freilich Ernüchterung eingezogen: das "Ende der ökumenischen Illusionen"?

Unübersehbar machen sich Ungleichzeitigkeiten bemerkbar - eine Ökumene der unterschiedlichen Geschwindigkeiten auf praktisch-pragmatischer und theologischer Ebene. Konfessionsverbindende bzw. -verschiedene Ehen sind seit Jahrzehnten Realität, genauso wie vielerorts selbstverständliche Ökumene praktiziert wird, etwa wenn (einseitig) eucharistische Gastfreundschaft gewährt wird. "Basisökumene" funktioniert auf vielen Ebenen. Doch sie ist an den von Theologinnen und Theologen erarbeiteten Konsens- und Konvergenzdokumenten oft gar nicht (mehr) interessiert. Natürlich ist Ökumene nicht nur etwas für Spezialisten. Aber die Hypothek jahrhundertelanger Spaltungen läßt sich nicht einfach mit medienwirksam inszenierten Gesten oder netten Worten beiseite schieben. Vermeintliche Erfolge erweisen sich oft als Grenzüberschreitungen, die nicht wirklich weiterhelfen.

Ein Kirchentag will gelebte Ökumene sein. Relevanz und Stärke des Christentums hängen für Ellen Ueberschär, Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages, auch davon ab, ob vermehrt mit einer Stimme gesprochen wird (was zum Beispiel im deutschen Ethikrat nicht mehr der Fall ist). Von "theologischer Ökumene" erwarteten sich viele nichts mehr: "Wenn nicht mehr plausibel zu machen ist, worüber in den theologischen Debatten eigentlich geredet wird, ist das wie mit Gesetzen, denen keine soziale Realität entspricht."

Ist manchen ein getrenntes, scheinbar konfliktfreies Nebeneinander der christlichen Konfessionen insgeheim vielleicht lieber als ein anstrengendes Suchen nach einem wie auch immer gearteten Miteinander? Das wäre eine Bestätigung dessen, was der mittlerweile 85jährige württembergische Künstler und Priester Sieger Köder in seiner Heimatstadt Wasseralfingen in einem Kreuzweg dargestellt hat - in Anlehnung an die Kirchenväter, die im "Rock ohne Naht" ein Bild der unteilbaren Kirche Christi sahen: Köders Kreuzwegstation "Zerrissener Mantel" zeigt, wie sich ein evangelischer Pastor, ein orthodoxer Pope, ein katholischer Bischof und ein Revolutionär um das Gewand Jesu streiten, der halbnackt in der Mitte steht. Weil jeder in eine andere Richtung zieht, um ein Stück Stoff zu bekommen, entsteht ein neues Kreuz: das Kreuz der fortgesetzten Spaltung - das Gegenteil dessen, was Jesus wollte.

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